Natur im Osterzgebirge

Hüteschafe fürs Müglitztal!

Schafhutungskonzeption im Oberen Müglitztal –

im Auftrag der Naturschutzstation Osterzgebirge

(als pdf lesen)

Blütenbunte Bergwiesen gehören zu den artenreichsten, wertvollsten, auch heute noch charakteristischen Biotopen in der strukturreichen Offenlandschaft des Ost-Erzgebirges. Ihre Existenz – mitsamt der darin lebenden Biologischen Vielfalt – ist von naturschutzgerechter Pflege bzw. schonender Nutzung abhängig. Gemeinhin verstehen Natur­schützer darunter vor allem: ein- bis zweischürige Mahd, entsprechend der „traditionellen“ Bewirt­schaf­tungsform. Die Berichte und Aufzeichnungen der Urgroßeltern über die frühmorgens ihre Bahnen ziehenden Schnitter, die sorgsam heuwendenden Frauen und Kinder, die hoch­beladenen Pferdewagen auf dem Weg zum großen Dresdner Heumarkt vermitteln gleicher­maßen Romantik wie Ehrfurcht.

Doch dieses Mähwiesen-Zeitalter umfasste gerademal rund 100 Jahre der über acht­hundert­jährigen Landnutzungsgeschichte des Ost-Erzgebirges. Zuvor prägten vor allem große, guts­herrschaftliche (Hüte-)Schafherden die Landschaft – und die Biologische Vielfalt. Nach dem Zusammenbruch des Wollmarkts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden nahezu alle diese Schafherden abgeschafft, sie gerieten in Vergessenheit.

Dasselbe geschah ab 1989, als auch für die Schafherden der DDR-Landwirtschaft ein ganz plötzliches Ende kam.Mittlerweile wird immer deutlicher: mit „normaler“ ein- bis zweischüriger Wiesenmahd lässt sich zwar der Artengrundstock einer Bergwiese erhalten. Auch einigen „Zielarten“ des Naturschutzes langt diese Mindestpflege offenbar zu (wie zum Beispiel der Breitblättrigen Kuckucksblume, die inzwischen wieder spektakulär große Populationen aufweist). Vielen anderen heutigen „Rote-Liste-Arten“ artenreichen Grünlands aber eben nicht. Dazu gehören – aller Wahrscheinlichkeit nach – die Relikte der früheren, jahrhundertelangen Schafs-(und Ziegen-)Beweidung im Ost-Erzgebirge.

Seien es die nun fehlenden Keimnischen durch den scharfen Tritt der Schafe („Goldene Klaue“), seien es Nährstoffungleichgewichte oder gestörtes Bodenleben ohne den Schafdung, vielleicht auch nur die Nichtnutzung des Zweit- oder Drittaufwuchses der Grünlandflächen: ohne zusätzliche Beweidung mit leichten (!) Tieren wird sich der Artenreichtum der wertvol­len Wiesen auf Dauer nicht erhalten oder gar regenerieren lassen.

Was in der heute fragmentierten Kulturlandschaft ebenfalls fehlt, sind dynamische Prozesse, die den Transport von Samen, Früchten und Kleintieren von einer arten­reichen „Naturschutzfläche“ zur nächsten oder die Wiederbesiedlung von anderen geeigneten Biotopen ermöglichen würden. Eine ziehende, gehütete Schafherde würde in perfekter Weise den notwendigen „dynamischen Biotopverbund“ sichern.

Wiederbelebung von Hüteschäferei ist jedoch unter den heutigen agrarökonomischen Bedin­gun­gen erstens kaum profitabel, und zweitens innerhalb der kleinteiligen Agrarstruktur des Ost-Erzgebirges besonders schwer zu organisieren. Dazu bedarf es umfangreicher Vorarbei­ten und der Mitwirkung vieler Akteure – sowie einer ausreichenden Finanzierung.

Ein erster Versuch der Grünen Liga Osterzgebirge Anfang der 2000er Jahre („Machbarkeits­studie zur Wiedereinführung von Hüteschafhaltung“) blieb leider ohne Erfolg. Selbst im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts „Bergwiesen im Osterzgebirge“ gab es kaum Chancen für Schafe. Damals wurde gerade die EU-Agrarförderung grundlegend umgekrempelt (einschließlich Abschaffung der Mutterschafprämien); in den flächendominanten LPG-Nachfolgeunternehmen gab es kaum jemanden, der für „Experimente“ außerhalb des Kerngeschäfts offen gewesen wäre; und auch in den meisten Naturschutz-Amtsstuben herrschte der feste Glaube, allein mit Mahd sei artenreiches Grünland im Ost-Erzgebirge zu erhalten.

Gegenüber der Situation vor 15, 20 Jahren ist heute doch einiges anders geworden. In mancherlei Hinsicht: leider eher noch schwie­riger. So teilen sich jetzt viel mehr Landnutzer in die Grünlandflächen des Ost-Erzgebirges – was generell für die Arten- und Strukturvielfalt durchaus positiv sein mag, aber das Organisieren eines durchgehenden Triftzugs für eine Hüteschafherde vor große Herausforderungen stellt. Die gegen­wärtige Agrarförderung, und da besonders deren sächsische Ausformung, bietet keine Anreize für die Hauptlandnutzer, zusätzliche Beweidung durch eine externe Schafherde willkommen zu heißen.

Andererseits hat bei mehreren der „großen“ Agrarunternehmen inzwischen ein Generationswechsel auf den Leitungsposten stattgefunden. Die neuen, jüngeren Geschäftsführer zeigen eine erfreulich große Offenheit für unkonventionelle Beweidungskonzepte.

Außerdem tritt der Wolf zunehmend als Akteur in die Landschaft und macht zusätzliche Vorkehrungen nötig, was sehr wahrscheinlich für Hütehaltung spricht. Hüteschäferei wird schließlich auch in anderen Wolfsregionen Europas praktiziert und kann langfristig mehr Sicherheit für die Schafe gewährleisten als Stromzäune.

Mehr als je zuvor sind  inzwischen die Auswirkungen des Klimawandels auch im Ost-Erzgebirge überdeutlich geworden. Um so höhere Bedeutung kann damit dem „dynami­schen Biotopverbund“ zukommen: In der Wolle, zwischen den Klauen oder im Kot könnten Diasporen von Hügellandswiesen ins Bergland verfrachtet werden.

Zu den wichtigsten Voraussetzungen für ein Hüteschafvorhaben indes gehört die Existenz eines Schäfereibetriebs mit einem (besser natürlich: mehreren) Schäfer, der das Hütehand­werk beherrscht – und auch daran interessiert sind, dieses tatsächlich auszuüben. Entgegen aller romantisierenden Stereotypen handelt es sich um anstrengendes, entbehrungsreiches, in der Regel unterbezahltes Handwerk, für das aber enorm viel Wissen und Können erforderlich ist. Dies gilt umso mehr, wenn nicht nur die Schafe satt und gesund sein sollen, sondern auch noch zielgerichtete Biotoppflege erwartet wird.

Mit dem Schäferei-Familienbetrieb Körtel steht ein Partner bereit, mit dem die Wiederein­füh­rung von Hüteschafhaltung gelingen könnte. Körtels Zackelschafe (eine aus Ungarn stammen­de Rasse) werden derzeit für die Beweidung wertvoller Flächen am Geisingberg und in Schel­ler­hau eingesetzt, noch allerdings in klassischer Koppel­haltung. Doch der Sohn der Familie ist nicht nur ausgebildeter Schäfer, sondern kann auch auf mehrere Jahre intensive Hüteerfah­rung in anderen Bundesländern verweisen.

Bevor jedoch der Traum in Erfüllung gehen kann, dass irgend­wann eine Schafsherde im Frühjahr von Glashütte zum Geising­berg und im Herbst wieder zurück zieht, wird noch mehr als reich­lich Vorarbeit nötig sein. Was alles erforderlich ist, hat die Naturschutzstation Osterzgebirge e.V. in einer „Schafhutungs­konzeption Oberes Müglitztal“ (innerhalb des  Projekts „Osterzgebirge entdecken, Flächen pflegen, Gutes schmecken“, finanziert über die Richtlinie Natürliches Erbe) zusammentragen lassen. Vorausgegangen war eine sehr wertvolle Bachelorarbeit von Luise Lott an der TU Dresden, Institut für Landschaftsarchitektur (Die Idee dafür entstand übrigens beim Schellerhauer Naturschutzpraktikum 2019).

Im Rahmen der Konzeption wurde im Bereich des oberen Müglitztalgebiets nach Möglichkeiten für zusammenhän­gen­de Triftzüge gesucht, die sowohl den Interessen und Erfordernissen der Schäferei, denen der „Hauptlandnutzer“ und den Belangen des Naturschutzes gerecht werden. Die dabei zu be­trach­tenden Aspekte sind außerordentlich mannigfaltig: Flächenverfügbarkeit; Futtermenge und Futterwert; Reserve in Dürrejahren (sowohl für Schäferei wie Hauptlandnutzer); Durchgängigkeit der Trift; Tränk­möglichkeiten; Nachtpferche; Tiergesundheit; Wolfsprä­ven­tion; Überquerung von Straßen, Bahn, Müglitz; Agrar­förderung; Weideverträglichkeit gefährdeter Pflanzenarten; Biotopverbund; … – um nur einige der wichtigsten Gesichts­punkte zu nennen.

Herausgekommen ist ein Triftzugvorschlag von Glashütte (April) über Schlottwitz-Neudörfel (Mai), Dittersdorf (Juni – je eine Variante östliche Flur, Trebnitzgund, und westliche Flur, Kohlbachtäler), Bärenstein (Juli), Geising (August), Geisingberg (September), Bärenstein-Bielatal (Oktober), Johnsbach (November).

Vor allem aber zeigte sich: Wiedereinführung von Hüteschafhaltung kann nur als Gemeinschaftsprojekt vieler Akteure gelingen. Neben der Schäferei, den Hauptlandnutzern und „dem Naturschutz“ sollten auf alle Fälle auch Tourismus, Gastronomie, Schulen und Umweltbildungseinrichtungen ein­gebunden werden. Das Projekt ist anspruchsvoll, und vermutlich lauern noch weit mehr Hindernisse als bislang absehbar sind. Doch gemeinsam umgesetzt, verspricht die Hüteschafhaltung einen erheb­lichen Mehrwert für alle Beteilig­ten: Diversifizierung der landwirt­schaftlichen Einkommensmög­lichkei­ten, Biotoppflege, Land­schaftserleben und Umweltbildung, Imagegewinn.

Schafe schaffen Verbindung, nicht nur zwischen Biotopen.

Jens Weber

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