Die Anreise der Freunde aus Madagaskar wurde zum Krimi. Aufgrund wochenlanger Proteste von Jugendlichen in den Städten des Inselstaates gegen die korrupte Staatsführung hatte Air France ohnehin schon die Direktverbindung nach Europa gekappt. Doch dann stellte sich plötzlich eine Militäreinheit auf die Seite der „Gen Z“-Demonstranten. Der mutmaßlich oberkorrupte Präsident tauchte unter. Es hieß, er wolle aus dem Land fliehen, und zwar womöglich genau mit dem Flug über das französische Überseegebiet Reunion, in dem dann auch schon unsere madagassischen Partnerschüler saßen. Ein Militärchef ordnete die sofortige Schließung des Flughafens an. Doch die Maschine hob noch ab, eine Viertelstunde vorfristig – und ohne den flüchtenden Präsidenten. (Der gelangte erst einen Tag später außer Landes, mit französischer Militärhilfe, und sitzt jetzt wohl auf seinem luxuriösen Anwesen in Dubai.)
Die alles bekam das „Empfangskomitee“ der Altenberger Madagaskar AG im Zug nach Berlin mit, dank der Verbindungen unserer madagassisch-deutschen Freundin Marie zu den Studentennetzwerken in Madagaskar. Die Spannung war groß – und noch viel größer die Freude, als die jungen Freunde dann tatsächlich aus dem „Arrivel“-Tor des Flughafens herauskamen!
Es folgte eine wunderbare Woche im Schellerhauer Mayenhof, in fröhlichem Zusammenleben von elf Madagassen und etwa ebensovielen Jugendlichen der Altenberger Madagaskar AG. Von Berührungsängsten oder gar Vorbehalten von Anfang an keine Spur. Es ist einfach fantastisch zu erleben, wie gut junge Menschen miteinander harmonieren können, ungeachtet völlig unterschiedlicher sozio-kultureller Hintergründe!
Doch es geht bei der von ENSA („Entwicklungspolitisches Schulaustauschprogramm“) geförderten und überhaupt möglich gemachten Schülerbegegnung nicht nur um gegenseitiges Kennenlernen und Zusammen-Spaß-haben. Ebenso wie die Altenberger Madagaskar-AGler engagieren sich die Besucher von der Partnerschule in Anjahambe zum Teil seit vielen Jahren für Wiederaufforstung, Umweltbildung und Naturschutz in ihrer Heimatregion. Das Ziel der gemeinsamen Zeit hier im Ost-Erzgebirge (wie auch der im Juni/Juli vorausgegangenen Reise von sechs Madagaskar-AG-Schülern nach Anjahambe) besteht darin, zusammen längerfristige Umweltprojektideen zu entwickeln, an denen in den nächsten Jahren die Jugendlichen beider Seiten gemeinsam arbeiten können.
Und so stehen, neben diversen Exkursionen zum Kennenlernen der Region, auch immer wieder Workshops auf dem Programm, bei denen die Schülerinnen und Schüler zusammen die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Aktivitäten herausfinden, und daraus gemeinsame Perspektiven herausfiltern. Es besteht die Hoffnung, am Ende ein madagassisch-deutsches Schülerprojekt zu entwickeln, das dann zur Förderung beantragt werden kann – etwa beim Programm „genialsozial“ der Sächsischen Jugendstiftung.
Die Ideen dafür entstehen jedoch nicht nur bei Seminaren in geschlossenen Räumen. Mindestens ebenso wichtig und sinnstiftend sind die gemeinsamen praktischen Naturschutzaktionen. Dazu zählten in der ersten Woche ein Wiesenpflege-Einsatz auf der seit Jahren von der Madagaskar AG betreuten „Raupennestwiese“ sowie ein Pflanzeinsatz im Forstrevier Schellerhau mit Rekordbeteiligung.
In der zweiten Woche ziehen die madagassischen Schüler zu Gastfamilien um und nehmen am Unterricht am Gymnasium Altenberg teil. Doch diese zweite Woche begann mit einem ganz schlimmen Ereignis: dem Beschuss der Schule durch Nazis am Wochenende zuvor. Einschusslöcher an der Eingangstür und mehreren Fenstern (sowie einer Lok am Bahnhof) – unfassbar! Unfassbar schlimm!
Unfassbar aber auch das darauf folgende Medien- und Politecho. Während die Öffentlichkeit von all den positiven Initiativen der Madagaskar AG im allgemeinen und des Schülerbesuchs im Besonderen fast überhaupt keine Notiz nimmt (die Presse war zu verschiedenen Aktionen der ersten Besuchswoche eingeladen, hatte diese jedoch ignoriert, wie fast immer), brachte uns der Besuch unserer madagassischen Freunde plötzlich bis in den „Spiegel“, die „Zeit“ und ins Fernsehen. Man bekam das Gefühl, dass die Anwesenheit von afrikanischen Gästen einfach zu gut als Staffage in die Berichterstattung passten. Auch der sächsische Bildungsminister machte sich am Folgetag gleich auf nach Altenberg und suchte das Gespräch mit den Jugendlichen. Mag alles eine nachvollziehbare Betroffenheitsreaktion sein. Aber muss es wirklich immer erst solche ganz schlimmen Anlässe brauchen? Vielleicht wären solche schlimmen Ereignisse zu vermeiden, wenn die überaus positiven Initiativen der Jugendlichen in Altenberg und anderswo mehr Aufmerksamkeit bekommen würden?
Die Schülerbegegnung dauert noch bis zum Sonntag, wo auf der Johannishöhe das Abschlusswochenende stattfinden wird. Danach gibt es in Berlin noch einen Empfang auf der madagassischen Botschaft – und am Dienstag heißt es leider schon wieder, „Veluma“ (Tschüss) zu sagen. Doch mit Sicherheit wird dieser Besuch nicht der letzte sein. Sondern vielmehr die wunderbare Umweltpartnerschaft zwischen der Altenberger Madagaskar AG und dem Analasoa Club in Anjahambe noch weiter intensivieren.
Großes Dankeschön an alle beteiligten Schülerinnen und Schüler, ihr seid super!



