Ende Mai wurde bekannt, dass die Pläne des staatlichen tschechischen Energieversorgers ČEZ konkreter werden, in Tušimice bei Chomutov ein SMR-Atomkraftwerk zu errichten. SMR steht für Small Modular Reactor, also sogenannte kleine modulare Reaktoren, einen neuen Typ von Atomkraftwerken, von dem noch keines vollständig in Betrieb ist. Geplant sind wohl drei SMR je 470 MW, was insgesamt einer Leistung des (ehemaligen) leistungsstärksten deutschen AKW Isar 2 entspricht – „klein“ ist hier also relativ zu sehen.
Bereits am 14. Mai hatte das Amt für Umwelt und Landwirtschaft der Region Ústí nad Labem (Ústecký kraj) die Absichtserklärung zu diesem Projekt veröffentlicht und über die geplante Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) informiert.
Es handelt sich noch um die sogenannte Scoping-Phase. Beim „Scoping“ werden Inhalte und Umfang der Untersuchungen festgelegt, die für die UVP durchzuführen sind. Anders als nach deutschem Umweltrecht, wo Scoping oft sowas wie behördeninterne Geheimverhandlungen sind, erfolgt dies in Tschechien generell öffentlich – jeder kann seine Forderungen zum Untersuchungsumfang vorbringen.
Und anders als bei den Lithiumbergbauplanungen, wo sowohl auf deutscher wie auf tschechischer Seite alle Planungen nur bis zur Staatsgrenze reichen und sich die Behörden einer grenzüberschreitenden UVP bisher verweigern, wurde für das AKW-Vorhaben das sogenannte Espoo-Verfahren aktiviert. „Espoo“ regelt die staatliche Zusammenarbeit bei Projekten mit potentiell grenzüberschreitenden Auswirkungen. Vorausgehen muss aber der erklärte Wille der beteiligten Regierungen zur Zusammenarbeit. Das scheint in diesem Fall gut zu funktionieren.
Unter www.strahlenschutz.sachsen.de/smr-projekt-tusimice-31978.html hat das SMUL die Dokumente auch in deutscher Sprache bereitgestellt. Es gibt eine Fristverlängerung bis zum 14. Juli 2025, bis zu der jeder und jede seine Meinung zu der AKW-Planung an das Tschechische Umweltministerium mitteilen kann: smr_tusimice@mzp.gov.cz (oder per Post: Ministerstvo životního prostředí, Vršovická 1442/65, 100 10 Praha 10, Česká republika). Die Stellungnahme kann auch auf Deutsch verfasst sein. Sicherheitshalber sollte man die entsprechende Abteilung im SMUL mit ins CC setzen: referat21.gz@smul.sachsen.de.
Wirklich relevant sind allerdings im Scoping-Verfahren nur solche Forderungen, die sich auf den UVP-Untersuchungsumfang beziehen. Zur Orientierung nachfolgend die Stellungnahme, die im Namen der Grünen Liga Osterzgebirge an die Umweltministerien in Prag und Dresden geschickt wurde:
„… Wir halten generell die Errichtung und den Betrieb eines Atomkraftwerks in der dicht besiedelten, von bisherigen Umweltschäden ohnehin belasteten, aber trotzdem noch immer sehr biodiversen Region für nicht verantwortbar. Dies gilt umso mehr für die bisher noch nirgends praxiserprobten SMR-Technologien. Die Menschen und die Natur in Nordtschechien und Sachsen dürfen nicht zu Experimentierfeld für Hochrisiko-Technologie werden!
Sollte ČEZ a.s. trotz der grundsätzlichen Ablehnung durch viele Bewohner der Region an seinen Plänen festhalten, so ist im Rahmen einer grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung unbedingt folgendes mit zu analysieren:
1. Welche Mengen und welche Art von radioaktiven Stoffen können in die Umwelt entweichen, wie weit könnten sich Emissionen von Strahlung bzw. radioaktiven Partikeln in der Region auswirken?
Dies muss sowohl für den laufenden Betrieb (Emissionen z.B. über Kühltürme), als auch für alle denkbaren Havariefälle kalkuliert werden. Aufgrund der oft vorherrschenden Südwest-Wetterlagen mit dem dann im Erzgebirge auftretenden „Böhmischen Nebel“ ist von erheblichen Auswirkungen auch auf der deutschen Seite auszugehen.
2. Welche Kombinationswirkungen sind bei potentiellen Freisetzungen von radioaktiven Stoffen aus den SMR (im Normalbetrieb und bei Havarien) mit der nicht unerheblichen Vorbelastung im Erzgebirge zu erwarten?
Seit vielen Jahrzehnten unterliegt das Erzgebirge Immissionsbelastungen aus der Braunkohleverbrennung. Insbesondere bis Ende der 1990er Jahre emittierten die Kohlekraftwerke (auch von ČEZ!) gigantische Mengen an Asche-Stäuben. (Allein die beiden Kraftwerksblöcke von Tušimice entließen im Jahr 1992 über 20.000 Tonnen in die Atmosphäre über dem Nordböhmischen Becken und ins Erzgebirge! – https://osterzgebirge.org/de/natur-schuetzen/gefahren/waldsterben-im-20-jahrhundert). Neben vielen anderen gesundheitsschädlichen und naturzerstörenden Substanzen enthalten Aschen aus der Kohleverbrennung auch radioaktive Stoffe, im Falle der nordtschechischen Lagerstätten offenbar vor allem 210Pb und Uran (Hupka, Ivan & Kotík, Lukáš, 2023: Dissolution characterisitics of uranium and lead in simulated lung fluid using fly ash samples from soal-fired power plants in Czech Republic. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0265931X22002545)
3. Wie sollen die Atomanlagen gegen Havarien und Anschläge geschützt werden?
Der Egertalgraben gehört zu den seismisch aktiven Zonen Mitteleuropas. Es kommt relativ oft zu kleineren Erschütterungen der Erdkruste, und ein größeres Erdbeben ist keineswegs ausgeschlossen. Auch Hochwasserereignisse im Einzugsgebiet der Ohře sind einzukalkulieren.
Die jüngsten geopolitischen Ereignisse verdeutlichen aber vor allem auch die Verwundbarkeit von Nuklearanlagen gegenüber Gewalteinwirkungen: terroristischen Attacken ebenso wie kriegerischen Handlungen. Ohne höchstmöglichen Schutz gegenüber Sabotageakten, aber auch gegenüber Flugzeugabstürzen etc. sollte im 21. Jahrhundert kein Kraftwerk mehr gebaut werden – schon gar nicht im dicht besiedelten Mitteleuropa!
Extrem wichtig ist insbesondere die hundertprozentige Sicherstellung, dass kein Plutonium, das bei SMR anfällt, in „unbefugte Hände“ fällt!
4. Was wird mit dem anfallenden Atommüll geschehen?
Es gibt auch in der Tschechischen Republik nach wie vor keinen geeigneten Endlagerstandort für radioaktive Abfälle aus den Atomkraftwerken. (Ein – in der Vergangenheit immer wieder diskutiertes – Atommüllendlager im Duppauer Gebirge ist grundsätzlich abzulehnen.) Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass auch am geplanten neuen AKW-Standort die Abfälle für lange Zeit zwischengelagert werden müssen. Dies erfordert hohe zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen.
5. Lassen sich negative Auswirkungen auf faunistische Migrationsrouten ausschließen?
Absehbar wird ein weiteres Kraftwerk mit hohem Kühlbedarf zusätzlich die ohnehin angespannte ökologische Wasserbilanz im Nordböhmischen Becken belasten. Über die schwerwiegenden Konsequenzen in der Region hinaus kann dies auch indirekte Folgen für die biologische Vielfalt auf der deutschen Seite der Grenze nach sich ziehen. Die Eger/Ohře und die angrenzenden Gewässer sind insbesondere für viele Zugvögel außerordentlich wichtige Rastflächen.
Diese grundsätzlichen Fragestellungen mit grenzüberschreitender Relevanz müssen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung mit höchstmöglicher Sorgfalt untersucht und bewertet werden.
Wir möchten Sie bitten, uns über den weiteren Verlauf der Planungen auf dem Laufenden zu halten. …“
Übrigens plant die Firma Geomet gleich in der Nähe von Tušimice auch die neue Chemiefabrik für die Aufbereitung der Lithium-Erze aus Cínovec. Einer der Hauptanteilseigner von Geomet s.r.o. ist wiederum der staatliche tschechische Energiekonzern ČEZ a.s.. Nach allen bisherigen Recherchen wäre die Gewinnung von batterietauglichem Lithium aus Zinnwaldit mit extrem energieintensiven Verfahren verbunden. Ebensowenig wie von Geomet gibt es auch von Zinnwald Lithium bisher irgendwelche Angaben zum veranschlagten Energiebedarf. Fakt ist: das, was derzeit in Liebenau (oder sonstwo im Ost-Erzgebirge) über bestehende Gas- und Stromnetze zur Verfügung steht, dürfte nicht ansatzweise reichen für die vermeintlich „grüne“ Technologie.