Berg-Ahorn (†) an der Biotoppflegebasis
Da waren es nur noch zwei. Am 22. Januar legte sich mit lautem Krachen einer der drei großen Bäume gegenüber der Biotoppflegebasis darnieder. Einige Jahre lang war der Berg-Ahorn schon (fast) tot – zum Schluss brachte noch ein einziger Zweig eine Handvoll grüner Blätter hervor. Und doch kam das Ende jetzt eher unerwartet bei einem gar nicht so heftigen Sturm.
Seit 1868 befand sich an der „Communikationsstraße“ nach Falkenhain eine Schankwirtschaft: der „Gasthof zum Bielatal“. Schon früh müssen dort über dem Biergarten einige Bäume Schatten gespendet haben, wie alte Postkarten zeigen. Das Gasthaus schloss in den 1950er Jahren (und wurde später zum Kinderferienlager), die Straße wurde ausgebaut, der Verkehr nahm ab Ende der 60er Jahre mit der Inbetriebnahme der Zinnerz-Spülkippe samt Steinbruch zu. Und dennoch durften drei der großen Bäume hier weiterhin wachsen: zwei Winter-Linden und ein Berg-Ahorn. Eine wunderschöne, harmonische Baumgruppe am Abzweig der Steinbruchstraße.

Postkarte 1917
Genau diese Lage setzte den drei Bäumen immer mehr zu. Zunächst kam Anfang der 1990er ein junger Glücksritter aus Baden-Württemberg und ließ sich von seinem reichen Vater den Steinbruch an der Kesselshöhe schenken. Er steckte mächtig Geld in das Unternehmen und ließ die Straße steinbruchlastertauglich ausbauen. Viel Schwerverkehr folgte, ließ die Bäume leiden. Jedoch paar Jahre später war der junge Glücksritter pleite. Dann kam das nächste
Steinbruchunternehmen – und alsbald das übernächste. Letzteres gehörte einem Größenwahnsinnigen, der das Bielatal „entwickeln“ wollte, mitsamt Gleisanschluss, Asphaltmischanlage und Einfamilienhaussiedlung (auf der Müllerwiese, heute FND). Die Steinbruchlaster tobten im Minutentakt um die scharfe Kurve der Straßenabzweigung am ehemaligen Gasthof zum Bielatal (das Gebäude war inzwischen schon ziemlich heruntergekommen).
Ein paar Beinahe-Unfälle später kam der größenwahnsinnige Steinbruchbesitzer auf eine tolle Idee, um die Verkehrssituation seiner Lasterflotte zu entschärfen: Er ließ auch hinter den drei Bäumen den Boden plattmachen, mit dicker Splittpackung aufschütten und per Walze kräftig verdichten. Direkt neben den drei Bäumen, im Wurzelbereich derselben, vor allem direkt auf den Füßen des Berg-Ahorns.
Ende der 1990er war auch dieses Steinbruchunternehmen insolvent. Der Konkursverwalter verkaufte die Liegenschaften, und zwar die Grundstücke des einstigen Gasthofs/Ferienlagers getrennt vom Steinbruch Kesselshöhe. Hannelore und Harald Voß, die großzügigen Förderer des Naturschutzes im Bielatal, konnten den Gebäudekomplex kaufen – und anschließend sanieren. Heute wohnen dort wieder Mieter, außerdem hat der Förderverein für die Natur des Osterzgebirge hier seinen Sitz, die Grüne Liga Osterzgebirge nutzt den Scheunenanbau als „Biotoppflegebasis“ für Heulager und andere Naturschutzeinsätze. Die „Müllerwiese“ gehört dazu mitsamt inzwischen prächtigem Orchideenbestand, und natürlich auch die drei alten Bäume gegenüber der Bielatalstraße am Abzweig Steinbruchzufahrt.
Eine der ersten, wichtigsten Maßnahmen war die Entfernung der Monate zuvor aufgebrachten Splittpackung hinter den Bäumen und die Renaturierung der Fläche, so gut es eben ging. Ein kräftiger Pflegeschnitt sollte für Kronenentlastung und „Verkehrssicherung“ der zweifellos geschädigten Gehölze dienen. Mehr war kaum machbar.
Die beiden Linden trieben schließlich auch wieder kräftig aus. Trotz hohlem Stamm (mit Ulli-Uhu-Geocache!) erholten sie sich, haben den mehrmonatigen Angriff auf ihr Wurzelsystem offenbar ganz gut weggesteckt. Linden schaffen das – sonst hätten manche von ihnen nicht das Zeug zu tausendjährigem Leben.
Aber ach, der Ahorn! Zunächst sah auch der recht hoffnungsversprechend aus, üppig grün. Doch Jahr für Jahr zeigten sich immer mehr dürre Wipfelteile. Ganz offenkundig: das Wurzelsystem hatte irreparablen Schaden erlitten. Berg-Ahorne sind besonders allergisch gegen Bodenverdichtungen. Und je schütterer die Krone wurde, um so mehr Sonne prasselte auf den Stamm. Die Borke dieser Baumart ist ziemlich dünn und empfindlich gegenüber „Sonnenbrand“. Immer größere Rindenbereiche platzen ab.
Jeder „normale“ Baumbesitzer hätte spätestens jetzt die Säge angesetzt, und zwar ganz unten. So nah an der Straße – gefäääährlich! In Absprache mit Familie Voß setzte 2016 ein Baumpfleger der Grünen Liga Osterzgebirge tatsächlich die Säge an, allerdings von der Hebebühne aus im Kronenbereich. Die Linden wurden verkehrssicherungsgerecht beschnitten, auch für die darunter verlaufende Stromleitung. Der inzwischen halb-/dreivierteltote Berg-Ahorn indes bekam eine kräftige Einkürzung seiner weitgehend abgestorbenen, noch immer weit ausladenden Äste. Der Schwerpunkt sollte nun so verlagert sein, dass der Baum aller Wahrscheinlichkeit nach in eine unkritische Richtung kippen würde. Und vielleicht sogar noch lange als ökologisch wertvolles Totholz hätte stehen bleiben können, so die Hoffnung.
Nun ja, es wurden knapp neun Jahre, in denen sich noch Schwarz-, Bunt-, Mittel- und Grauspecht an den sich im Inneren des Holzes entwickelnden Insekten gütlich tun konnten, in denen Star, Kleiber und möglicherweise sogar der Wendehals in den Höhlen brüteten. Ein kräftiger Stachelbeerbusch hatte sich im Totholzmulm der untersten Astgabel festgesetzt, diverse Pilzkörper zeigten sich. Und kaum zu glauben: ein einzelner Zweig brachte immer noch grünes Laub hervor, obwohl der knorrige, wulstige Stamm inzwischen nahezu komplett borkenfrei war. Auch ein fast toter Baum kann voller Leben sein – und wunderschön!
Nun liegt er lang, das spröde Holz in dutzende Teile zersprungen. Wir werden es demnächst sicher zu einem ökologisch ebenfalls noch wertvollen Totholzstapel auftürmen. Trotzdem schade drum, der alte Berg-Ahorn gehörte einfach dazu, zu den Bewohnern der Bielatalbiotope!
Warum es den alten Freund umgelegt hat, ist unschwer zu erkennen: er hatte faktisch keine Wurzeln mehr. Einfach weg, zersetzt, verrottet. Ein Prozess, der sich über 25 Jahre erstreckte und mit der rücksichtslosen Verdichtung seines Wurzelraumes während weniger Monate Ende des letzten Jahrhunderts begann.
Um anderen alten Bäumen ähnliche Schicksale zu ersparen, organisiert die Grüne Liga Osterzgebirge ein Baumdenkmalpatenprogramm. Naturfreunde sind aufgerufen, mindestens ein-, zweimal im Jahr Patenbäume ihrer Wahl zu besuchen und zu versuchen, rechtzeitig den Bäumen drohende Gefahren zu erkennen. Wenn den Wurzeln erstmal Luft und Wasser abgewürgt wurden durch rücksichtslose Bodenverdichtung, dann kann es schon zu spät sein.
www.baumdenkmale.org! Jens Weber
Bitte vormerken: Sonnabend, 5. April – Baumdenkmal-Praxistag in Sayda, Allee Alte Mortelgrundstraße! |