Natur im Osterzgebirge

Baum des Monats: Naturdenkmal Vogel-Kirsche am Küchenhau Lauenstein

Baum des Monats

„Hey Leute, hier ist die dicke

Vogelkirsche vom Küchenhau bei Lauenstein,

und ich muss euch was erzählen. Ziemlich übel, was mir letztes Jahr widerfahren ist!

Vorab für diejenigen, die mich nicht kennen: ich bin eine alte dicke Schönheit. Womöglich stecken schon über hundert Jahre in meinem Stamm (bereits auf einem Foto von ca. 1940 ist an der Stelle, wo ich jetzt stehe, ein Baum zu erkennen). Ebendieser Stamm ist fast so breit wie hoch, jeweils rund einen Meter, und er trägt sieben große dicke Hauptäste,  bzw. jetzt leider nur noch sechs. Einige davon strecke ich fast waagerecht in alle Richtungen, so dass sich daraus eine riesige Krone aufbaut. Auf die bin ich besonders stolz, und zweimal im Jahr schmücke ich mich zu vollster Pracht: Zur Mai-Blüte und zur Herbstfärbung kamen in den letzten Jahren immer wieder Baumfreunde zum Photo-Shooting. Welch Ehre, was für wohliges Kribbeln bis in die Zweigspitzen!

Aber ach! Es gibt leider viel zu wenige Baumfreunde, die wahre Naturschönheit zu schätzen wissen! Die meisten Wanderer gingen doch achtlos an mir vorbei. Obwohl ich bereits 2014 zum „Naturdenkmal“ gekürt worden war (offizieller Titel: wrk141), verweigerte die zuständige Naturschutzbehörde noch über zehn Jahre lang die Anerkennung in Form eines Naturdenkmal-Schildes. (Anderen Gewinnern des ND-Schönheitswettbewerbs von 2014 ging es übrigens genauso, der erste davon lebt inzwischen schon nicht mehr. Hingegen vielen früheren Naturdenkmal-Bäumen aus Kostengründen die ND-Würde abzuerkennen, da war die Naturschutzbehörde jedoch schnell).

Neben den Ignoranten unter den Menschen, denen Schönheit, Wert und Würde eines alten Baumes schlicht egal sind, gibt es aber leider auch die Motorsägenbewaffneten, die uns nicht mögen – aus was für Gründen auch immer. Vielleicht weil wir ihrer Landwirtschaft im Wege stehen. Oder weil sie der Überzeugung sind, wir müssten alle weg, damit die Steinrücken wieder so kahl aussehen wie früher. „Steinrückenpflege“ nennen sie das, kriegen dafür ordentliche Fördergelder – und schießen allzu oft über das Ziel hinaus. Auch vor altehrwürdigen Baumdenkmalen wie mir machen sie kein Halt. Zumindest nicht, wenn sie nicht wenigstens durch ein Naturdenkmal-Schild oder eine wachsame Naturschutzbehörde zum Nachdenken aufgefordert werden.

Jedenfalls tobte letztes Jahr hier wieder ein solches Kettensägenmassaker auf der wunderschönen Lauensteiner Flur zwischen Pavillon und Küchenhau. Die Ebereschen in meiner Nachbarschaft fielen der Aktion zum Opfer, ebenso Dornsträucher und andere Lebensräume der Vögel, die zuvor auch mich oft besucht und mir etwas vorgesungen hatten. Das klang immer so schön!

Doch plötzlich heulten die Motorsägen auch direkt an meinem Stamm auf. Panikattacke! Sollte das schon mein Ende sein? Dabei hatte ich doch noch so viel vor im Leben: Sauerstoff produzieren und Kohlendioxid binden, Bienen Pollen und Vögeln Früchte bieten, mich jedes Jahr aufs Neue schick machen für die Baumfreunde, die natürliche Schönheit zu schätzen wissen. Uff, nein, das Leben ließen sie mir nochmal, die Kettensägenmassakrierer. Mit kaum fassbarer Brutalität begannen sie stattdessen, mich zu verstümmeln! Ast für Ast heulte die Höllenmaschine auf allen Seiten, mindestens ein Dutzend Gliedmaßen wurden mir lebendigen Leibes amputiert. Könnt ihr euch diese Schmerzen vorstellen?! Noch schlimmer aber: durch die großen Wunden, etliche davon über zehn Zentimeter im Durchmesser, drangen danach Krankheitserreger ein, die sich nun in mir breitmachen. Wie soll ich nun diese Pilze wieder loswerden? Ich bin ja nicht nur schön, sondern eben auch schon alt! Na, und wirklich schön nun leider auch nicht mehr. Wie kann man einer betagten Vogelkirschdame nur sowas antun? Und wie kann eine Naturschutzbehörde, die einen zehn Jahre zuvor zum Naturdenkmal erklärt hatte, nur sowas zulassen? Ich stehe schließlich auf einem Grundstück, das vom Landratsamt mal aus Naturschutzgründen gekauft worden war, und wo die Behörde unmittelbar zuständig ist.

Immerhin wird sich künftig keiner mehr auf Ahnungslosigkeit berufen können, was meinen Naturdenkmalstatus betrifft. Seit kurzem steht vor mir ein Schild, der Grünen Liga Osterzgebirge sei Dank, elf Jahre nach der Unterschutzstellung.

Und ich werde mir alle Mühe geben, die Verstümmelungen in meiner Krone wieder auszuwachsen. Es gibt ja zum Glück auch all die Naturfreunde, die Alter und Schönheit zu würdigen wissen, sich an Baumdenkmalen wie mir erfreuen wollen. Kommt mich einfach mal besuchen!

Meinen Standort verraten die Karten bei osterzgebirge.org/baum-naturdenkmale und baumdenkmale.org.

Die Blütenpracht im Mai 2022 brachte die Vogel-Kirsche auch in die Baumdenkmal-Totoausstellung im Botanischen Garten Schellerhau (Foto: Gerold Pöhler)

Nach der Verstümmelung im Frühjahr 2023

Jetzt endlich mit Naturdenkmalschild – über zehn Jahre nach der Unterschutzstellung

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