Die Kontraste könnten kaum größer sein: Zumindest vor der Corona-Pandemie gingen Zigtausende junge und ganz junge Menschen auf den Straßen, um für mehr Klima- und Naturschutz zu demonstrieren (zumindest vor der Corona-Pandemie). Dann besucht man eine Veranstaltung der Ehrenamtlichen Naturschutzhelfer – und blickt in wettergegerbte, längst ergraute Altherrengesichter. Bereits die 2011 vom Dresdner Institut für Ökologische Raumentwicklung IÖR herausgegebene „Ehrenamtsstudie“ brachte das Bild einer „aussterbenden Spezies“ zutage: Durchschnittsalter 60 plus, und sehr unzufrieden wegen des Nachwuchsmangels. 78 % der damals befragten Naturschützer meinten: „viel zu wenig Nachwuchs“, weitere 19 % hielten die „Nachwuchsarbeit (für) verbesserungswürdig“.
Dabei gibt es ja in Sachsen durchaus erfolgreiche Projekte zielgerichteter Naturschutz-Nachwuchsarbeit. Die Dresdner „Naturschutzjugend“ fällt einem spontan ein, aber auch Umweltbildungsorte wie die Grüne Schule grenzenlos in Zethau oder die „Naturdetektive“ des NABU Freiberg. Und auch bei all den vielen jungen Leuten, die – mit ihren Eltern zumeist – beim Heulager mithelfen, wird sicherlich einige Bereitschaft zum Selbst-Aktiv-Werden geweckt. Doch solche Initiativen hängen meistens vom Engagement Weniger ab, bleiben mehr oder weniger isoliert und ohne wirklich „nachhaltige“ Wirkung für den Naturschutz. Zu wenig, um es mit den vielen sonstigen Kräften aufzunehmen, die heute an Kindern und Jugendlichen in alle möglichen Richtungen zerren – von zeit- und aufmerksamkeitsfressenden neuen Medien bis zur demografischen Drift, die zu Studium und qualifizierten Jobs in ferne Städte zieht, weit weg vom Ost-Erzgebirge.
Nach Jahrzehnten behördlicher Ignoranz auf (fast) allen Ebenen nimmt inzwischen auch die sächsische Politik das Problem recht ernst. Im Koalitionsvertrag konnten die Grünen den Satz „Wir werden die Umweltbildung … umfassend stärken“ verankern – ein völlig neues Ziel für eine Regierung hier im Freistaat. Und im nächsten Satz wird explizit das Projekt „Junge Naturwächter“ erwähnt.
Diese Bezeichnung – kurz JuNa – steht für ein Pilotprojekt im Landkreis Mittelsachsen, mit dem seit einigen Jahren versucht wird, dauerhaft tragfähige Strukturen für die Naturschutz-Nachwuchsgewinnung aufzubauen. Dabei wurden eine Menge wichtiger Erfahrungen der beteiligten Akteure (unter anderem die bereits erwähnte Grüne Schule grenzenlos und der NABU Freiberg) zusammengetragen. Es entstanden zwei sehr umfangreiche „Leitfäden“ mit Empfehlungen, wie ein landesweites Netz zielgerichteter Umweltbildung funktionieren könnte, das junge Menschen vom Grundschulalter bis zum Ende der Schulzeit an Naturschutzthemen heranführt und an diese bindet, sie schließlich zu eigenständiger Verantwortungsübernahme motiviert und qualifiziert.
Nun soll es soweit sein, dass die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt auf alle Kreise des Freistaates ausgeweitet werden. Das sächsische Umweltministerium hat einen ziemlichen Batzen Geld lockergemacht, um in allen Landkreisen und kreisfreien Städten „JuNa-Strukturen“ aufzubauen. Die Koordination liegt bei der Landesstiftung für Natur und Umwelt (LANU). Eine zentrale Rolle sollen dabei die Naturschutzstationen spielen, deren Arbeit das Umweltministerium ebenfalls hohen Stellenwert beimisst.
Genauso ist es auch im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge. Ausgehend von der Naturschutzstation Osterzgebirge in Altenberg (der einzigen Naturschutzstation im Kreis, getragen von nunmehr noch drei Umweltvereinen) wollen Birte Naumann und ich in diesem Jahr versuchen, ein Konzept für die Naturschützer-Nachwuchsausbildung in unseren Regionen zu entwickeln – gemeinsam mit Umweltbildungseinrichtungen aller Art und freiberuflichen Umweltbildnern, mit Leitern naturbezogener Schularbeitsgemeinschaften und anderen engagierten Lehrern, aber auch mit Naturschützern und Biologen, denen die Nachwuchsgewinnung für den Erhalt der Biologischen Vielfalt wichtig ist. Am Ende soll ein aufeinander abgestimmter Plan stehen mit Naturschutz-Inhalten, mit Orten wo diese Inhalte umgesetzt werden können und Personen, die dazu bereit und in der Lage sind. Und – wohl mit am wichtigsten – gut kalkulierten Zahlen, was all dies kosten wird. Nur mit solchen plausibel nachvollziehbaren Zahlen bestehen Chancen, dauerhaft die immens wichtige Aufgabe Naturschutznachwuchs(aus)bildung im Sächsischen Landeshaushalt zu verankern!
Wir haben zunächst einmal angefangen, uns einen Überblick über die bisherigen Angebote zu verschaffen. Es passiert zweifelsohne eine ganze Menge in Sachen Umweltbildung in den verschiedenen Ecken des SSO-Kreises – angefangen von den Kindergartenaktionen an der Apfelallee Alte Eisenstraße über die Projekttage der Schäferei Drutschmann, die Programme der Walderlebniswerkstatt Sylvaticon und die Angebote des Umweltzentrums Freital oder der Uni im Grünen, bis hin zu den Junior Rangern des Nationalparks – um nur einige wenige zu nennen. Großen Respekt allen, die sich dabei engagieren, teilweise seit vielen Jahren schon und oft weitgehend auf sich selbst gestellt! (Ich hoffe nicht, dass ihr jetzt mit den Augen rollt und denkt: jetzt wird wiedermal eine neue Sau durchs Dorf getrieben, die uns die Zeit raubt, und am Ende stehen wir doch wieder alleine da …)
https://osterzgebirge.org/de/angebote-zur-natur/umweltbildung/umweltbildungseinrichtungen
Weniger ergiebig sieht es aus, wenn man sich die Umweltbildungsangebote der Schulen auf deren Internetseiten ansieht. Im Landkreis gibt es ca. 60 Grundschulen, davon erwähnt ein Drittel irgendwie naturbezogene Angebote in ihrem Portfolio an Unterrichtsschwerpunkten oder Ganztagsangeboten. „Echte“ Natur(schutz)inhalte scheinen nur bei sechs oder sieben Grundschulen eine Rolle zu spielen.
Von 23 Ober-/Mittelschulen offerieren nur vier ihren Schülern natur(schutz)relevante Angebote. Sehr enttäuschend scheint die Situation bei den acht Gymnasien zu sein: hier gibt es, laut Internetrecherche, möglicherweise nur am Freitaler Weißeritzgymnasium ein GTA „Naturdetektive“ und am Altenberger Glückauf-Gymnasium die „Madagaskar-AG“.
Aber womöglich – hoffentlich – ist das ja noch nicht alles. Wenn ihr, liebe Blätt’l-Leser, also im Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge einen Schule kennt mit interessantem Natur-AG-Programm oder sonstwie engagierten Lehrern: bitte lasst es uns wissen! Wir werden in den nächste Wochen auf alle Fälle zu allen Kontakt aufnehmen.
Gute Umweltbildungseinrichtungen und engagierte Lehrer sind zweifelsohne ganz, ganz wichtig, um jungen Menschen Natur nahe zu bringen. Doch JuNa – und das ist wahrscheinlich das Besondere an dem Programm – wird darüberhinausgehen und versuchen, möglichst viele „gestandene“ Naturschützer und Biologen aus der Region einzubeziehen. Nur wenn wir, die Alten, bereit (und in der Lage) sind, unsere Fach- und Ortskenntnisse auf interessante, spannende, aber auch einfühlsame Weise den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, können diese vielleicht motiviert werden, irgendwann mal unsere Arbeit für die Biologische Vielfalt im Ost-Erzgebirge oder anderswo zu übernehmen!
Wir verschaffen uns gerade eine Übersicht über im Landkreis aktive Experten, die wir in den nächsten Monaten gezielt ansprechen wollen. Darunter alte Naturschutzhelfer ebenso wie Hobbybiologen und Mitarbeiter professioneller Unternehmen und Behörden. Wer diese Zeilen liest und von sich aus meint: das ist wichtig, hier möchte ich mich mit einbringen, darf sich gern bei uns melden – wir freuen uns sehr!
Wie genau das JuNa-Programm im SOE-Kreis gestrickt sein wird, ist noch völlig offen, wir stehen ganz am Anfang. Wenn alles gut läuft (und Corona nicht allzusehr dazwischengrätscht), können wir hoffentlich zum neuen Schuljahresbeginn mit neuen oder erweiterten Angeboten starten.
Am Ende aber wird die Nachwuchsgewinnung des Naturschutzes einen langen, langen Atem brauchen, Konstanz. Grundschüler lassen sich leicht begeistern, aber diese Begeisterung über viele Jahre hinweg – über Schulwechsel, durch die Pubertät hindurch und trotz immer neuer schulischer wie außerschulischer Anforderungen – wachzuhalten, dies stellt uns vor enorme Herausforderungen.
Vermutlich sind die meisten von uns selbst aber genau deswegen „beim Naturschutz hängengeblieben“, weil es in unserer Jugend eine solche Konstante gegeben hat, über alle Umbrüche hinweg. Und um ehrlich zu sein: wir waren doch meist eher die Sonderlinge. Dass zigtausende Jugendliche für Umweltthemen auf die Straße gehen – damals undenkbar! Nicht alle Voraussetzungen sind heute schwieriger als damals für die Naturschutz-Nachwuchsgewinnung.
Junge Naturwächter –
so kann es (hoffentlich) funktionieren:
- Beginn im Grundschulalter mit „JuNa-Basiskursen“* – eher niederschwellige Naturerlebnisangebote zum Begeisterung wecken; am günstigsten im Rahmen von AG- oder anderen GTA-Angeboten an der jeweiligen Schule, aber in Zusammenarbeit mit erfahrenen Umweltbildnern
- Kontinuierliches Angebot von „Praxisbausteinen“* – vorstellbar sind schulübergreifende AGs an ausgewählten (mit ÖPNV gut zu erreichenden) Umweltbildungseinrichtungen im Landkreis, vielleicht einmal im Monat und aller zwei Monate ein Wochenendcamp o.ä. in der Natur; jeweils mit thematischem Fokus und Unterstützung durch einen „Auskenner“ zu diesem Thema.
- Erfahrene Naturschützer oder Biologen bieten sich als „Mentoren“ an für (größere) JuNas, die sich bereits thematisch spezialisieren wollen (also z.B. gemeinsam Nistkästen kontrollieren, Frösche über die Straße tragen, Obstbäume schneiden …)
- Ein- oder zweimal im Jahr ein „Spezialistenlager“ (so hieß das früher) für alle interessierten JuNa-Schüler der Region.
- andere Vorschläge?
- >> Jens Weber (jens/ät/osterzgebirge.org) für den ehemaligen Weißeritzkreis
- >> Birte Naumann (naumann@naturschutzstation-osterzgebirge.de) für den ehemaligen Kreis Sächsische Schweiz
* Diese Bezeichnungen haben nicht wir uns ausgedacht, steht so in den Handlungsleitfäden …