Dereinst in der DDR, da mussten alle Studenten zwei Wochen ihrer wertvollen Sommerferienzeit dafür opfern, irgendwo in der maroden Produktion zu malochen. „Studentensommer“ nannte sich das. Doch was für die einen vielleicht Fließbandarbeit bedeutete oder Tagebau, bot für andere auch Möglichkeiten zum Erfahrungen sammeln bei tatsächlich nützlichen praktischen Tätigkeiten. So manche ehemalige Absolventen des Bereichs Landschaftsarchitektur der TU Dresden schwärmen heute noch begeistert vom „Studentensommer mit Professor Sommer“ in Oelsen. Ohne diese Einsätze wäre zur Wende wahrscheinlich fast nichts mehr übriggeblieben von der einstigen Artenvielfalt des früheren Landesvereins-Schutzgebiets. Auch am Geisingberg halfen jedes Jahr im Juli für zweimal zwei Wochen jeweils 20 junge Studenten (vor allem: -innen) der damaligen Pädagogischen Hochschule Dresden mit, plus zwei, drei Tharandter Försterlinge. Doch, das war immer eine schöne Zeit, mit teilweise harter Arbeit, aber auch reichlich Spaß und, vor allem, Erfahrungen, die man nie und nimmer im Hörsaal vermittelt bekommen kann.
Mit dem Ende der DDR kam auch das abrupte Ende der Studentensommer. Da gleichzeitig auch die LPG-Nachfolgeunternehmen alles abstießen, was nicht zum „Kerngeschäft“ gehörte (also auch die Nutzung/Pflege von Naturschutzflächen), entstand eine erhebliche Biotoppflegelücke. Mindestens so bedauerlich war, dass die Verbindung zwischen engagierten jungen Leuten von außerhalb einerseits und den ortsansässigen ehrenamtlichen Naturschützern andererseits verloren ging.
1996 entschloss sich die Grüne Liga Osterzgebirge, einen Versuch zur Wiederbelebung dieser traditionellen Form der Naturschutzpraxis im Ost-Erzgebirge zu unternehmen. Wir luden ein zum Schellerhauer Naturschutzpraktikum – und ein reichliches Dutzend junger Leute verschiedener Unis kam. Unterkunft bot die Jugendherberge Rotwasserhütte, auf dem Programm standen zwei Tage praktischer Wiesenpflege im Naturschutzgebiet Schellerhauer Weißeritzwiesen, ein Tag im Botanischen Garten Schellerhau, ein Tag Naturschutzarbeit im Wald, plus mehrere Wanderexkursionen, Vorträge, thematische Diskussionsrunden etc.. Dieses Grundmuster hat sich so bewährt, dass es bis heute erfolgreich beibehalten werden konnte.
Geändert hat sich seither vor allem zweierlei: Nachdem Mitte der Nullerjahre die Jugendherberge dicht gemacht wurde, bot sich glücklicherweise der frisch sanierte Mayenhof als Alternative an. Und was für eine wunderbare Alternative! Die Studenten und das Grüne-Liga-Team sind hier, im Landschulheim des Dresdner Kreuzgymnasiums, unter sich, kochen selbst, organisieren den Praktikumsalltag selbst. Nebenbei werden die Außenanlagen mit gemäht – das sorgt für günstige Miete.
Zum anderen ist das Schellerhauer Naturschutzpraktikum inzwischen zu einer ziemlich internationalen Angelegenheit geworden. Das begann vor reichlich zehn Jahren über Kontakte zur Commenius-Universität Bratislava. Jedes Jahr nehmen seither auch 6 bis 8 slowakische Studentinnen und Studenten am Schellerhau-Praktikum teil. Als dann für einige Jahre Melanie Forker die Organisation übernahm, setzte sich praktischerweise Englisch als gemeinsame Arbeitssprache durch. Dies wiederum machte die Aktion auch für weitere internationale Studenten interessant. Und so wurde aus dem „Schellerhauer Naturschutzpraktikum“ das „Schellerhau Nature Consdervation Training“. Was für eine Möglichkeit zur Horizonterweiterung im häufig doch recht engstirnigen Ost-Erzgebirge! 2018 kamen die Teilnehmer von fünf Kontinenten, und dieses Jahr wird dies, gemäß der Anmeldeliste, ebenso sein (Chile, China, Ghana, Japan, Slowakei, Tschechei, Türkei, Uganda, USA, und natürlich Deutschland).
Besonders gut und wichtig dabei für uns selbst: die jungen Leute, mit ihren ganz unterschiedlichen Erfahrungshorizonten, stellen Grundfragen, die in einem routinierten Naturschützerhirn sonst viel zu selten aufploppen.
- Leitbild Bergwiese wie im 19. Jahrhundert auch unter den Klimawandelbedingungen des 21. Jahrhunderts?
- Wieviel natürliche Entwicklung in der Kulturlandschaft akzeptieren statt permanent gegen Sukzession ankämpfen?
- Wieviel Aufwand ist gerechtfertigt, um „Lieblingsarten des Naturschutzes“ in einer Landschaft zu erhalten, womöglich sogar auf Kosten konkurrierender Naturschutzaspekte?
Die Auseinandersetzung mit den oft recht kritischen Fragestellungen künftiger Landschaftsökologen, -planer und -pfleger, Biologen und Förster regt das eigene Nachdenken über Grundsätzliches an. Ganz wichtig!
Mindestens ebenso wichtig ist aber andererseits auch, dass die künftigen Mitarbeiter von Planungsbüros oder Umweltbehörden selbst erfahren, dass naturschutzgerechte Biotoppflege richtig anstrengende Arbeit sein kann. Wie leicht lässt sich an irgendeinem Amtsschreibtisch oder in irgendeiner Datenbank festlegen: Biotop XY muss jährlich per Hand gemäht und beräumt werden, und wie viel anders sieht die Perspektive aus, wenn man selbst Blasen an den Händen und Muskelkater vom Planeziehen hat! (So manchem heutigen Naturschutzbehördler täte sicher auch ab und zu ein „Auffrischungspraktikum“ gut – vielleicht sollten wir auch sowas mal anbieten?)
Eine sehr unschöne „Neuerung“ droht dem Schellerhauer Naturschutzpraktikum 2020, und die betrifft die Finanzen. Bisher sorgten die Biotoppflegeförderung (für die Mahd einer Teilfläche im NSG Weißeritzwiesen) plus ein finanzieller Zuschuss des Landratsamtes für die weitgehende Deckung aller Kosten. Den Studenten noch Geld dafür abzuverlangen, dass sie vier von sieben Tagen richtig hart schuften müssen, wäre nicht fair. Weitgehend ehrenamtliches Engagement der Liga-Organisatoren sorgt außerdem für eine überschaubare Kostenkalkulation.
Doch dieses Jahr soll es wahrscheinlich kein Geld vom Landratsamt mehr geben. Coronabedingte Haushaltssperre, kein Geld für „freiwillige Leistungen“ des Kreishaushalts. Natürlich werden wir versuchen, Reserven zu mobilisieren, um das 25. Schellerhauer Naturschutzpraktikum „zu retten“. Dennoch, liebe Leserinnen und Leser, zwei große Bitten:
- Bitte um Extraspende für das Schellerhau-Praktikum auf’s Spendenkonto der Grünen Liga Osterzgebirge e.V. (siehe Spenden);
- Bitte um einen Brief, eine Email, einen Anruf ans Landratsamt, um darauf hinzuweisen, wie wichtig das Schellerhauer Naturschutzpraktikum für die Region ist.
Es ist zu befürchten, dass es künftig sehr schwer wird, das Schellerhauer Naturschutzpraktikum weiterhin zu organisieren. Klar kriegen wir es hin, dieses Jahr das fehlende Geld irgendwie aufzutreiben, gar keine Frage. Aber das Signal „Wir schaffen das auch ohne Zuschuss des Landratsamtes“ kann für die nächsten Jahre fatal sein. Der – nach dem alljährlichen Heulager – zweitwichtigste Naturschutzeinsatz im Ost-Erzgebirge braucht dringend Lobby-Unterstützung!