Natur im Osterzgebirge

Warum der NABU Freiberg Wiesen mäht

Weibchen vom Dunklen Wiesenknopfameisenbläuling bei der Eiablage am 02.09.2021 auf der Frauenwiese

von Claus und Andreas Püwert

Teilflächenmahd 20.07.2020 Gehegewiese Lochmühle Langenau

Unsere Wiesen im Erzgebirge sind Halbkulturformationen. Sie sind während der über 800 jährigen Bewirtschaftung durch die Bauern und Bergleute entstanden und wurden von Hand gemäht als auch mit Vieh beweidet. Auf ihnen kam einst eine einzigartige Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren vor.

Die Bauern und Hirten bewirtschafteten sie intensiv. Im Jahresverlauf gab es je nach Höhenlage bis vier Nutzungen. Meist wurde zweimal Heu geerntet und zweimal beweidet. Der Aufwuchs wurde vollständig geerntet, so dass ein maximaler Nährstoffentzug die Folge war. Eine kurze Grasnarbe ohne Streuschicht ermöglichte allen Tier- und Pflanzenarten, sich in die Wiesenbewirtschaftung einzufügen. Es wurde kaum gedüngt, und wenn nur sehr wenig mit Holzasche, Mist oder Kalk.  Zwischen den einzelnen Nutzung gab es lange Nutzungspausen, in denen Weide-und Mahdverbot bestand. Selbst ein Betreten der Wiesen war regional verboten. Es wurden nie alle Flächen gleichzeitig gemäht oder beweidet, so dass stets ein Mosaik aus kurzrasigen Grünland und zeitweise brachliegenden Flächen bestand. Die Wiesenareale waren untereinander vernetzt. Dieses Nutzungssystem bezeichnen wir heute „extensiv“.

Da diese Grenzertragsstandorte sich in moderne landwirtschaftlichen Produktionsweisen nur mit sehr hohen Arbeits-, Zeit-und Geldaufwand integrieren ließen verschwanden sie, wurden aufgeforstet oder überdauerten ungenutzt als Brachen.

Die Pflege der artenreichsten Wiesen durch Naturschutzverbände, Vereine oder Privatpersonen in ganz Deutschland beschränkt sich heute meist auf solche kleinsten Reste, Splitterflächen oft abseits gelegen und an steilen, unzugänglichen Hängen oder feuchten engen Tälern.

 

Zwei Exemplare des Hellen Wiesenknopfameisenbläuling an Vogelwicke saugend 20.07.2021 Mittelsaida

Die wertvollsten Wiesen in ganz Mittelsachsen werden heute vom NABU Freiberg gepflegt. Dies sind die Feuchtwiese in Mittelsaida sowie die Frauenwiese und Gehegewiese an der Lochmühle Langenau. Während erstere die zerstörerischer Ära der sozialistischen Landwirtschaft aufgrund ihrer Lage im Ortskern von Mittelsaida als Heuwiese für die Kleintierhaltung überdauerte, verdanken die Frauen- und Gehegewiese ihr Fortleben der Isolation im Waldgebiet der Langenauer Struth. Die Gehegewiese bestand vermutlich schon um 1150 während der Besiedlung des Erzgebirges. Sie wurde erstmals urkundlich Mitte des 14. Jahrhunderts erwähnt und ist mit der Schwarzen Teichwiese somit die älteste Wiese im ganzen Freiberger Raum.

Das diese wertvollen Flächen heute überhaupt noch anzutreffen sind, ist einer Reihe günstiger Umstände zu verdanken. Die Feuchtwiese in Mittelsaida und den darauf vorkommenden Hellen Wiesenknopfameisenbläuling „entdeckte“ zufällig Marko Olias. Nachfolgender Kauf durch den NABU und jährliche Pflege hielt den Bestand des Falters auf niedrigen Niveau und die Pflanzengesellschaft auf der Wiese am Leben. Das Überdauern von Frauen-und Gehegewiese verdanken wir unter anderem, dass sie bis in die 2000er Jahre stets in Teilen gemäht oder mit Schafen beweidet wurden. Hier entwickelten sich ab 2010 aus den Resten des vorhanden Pflanzen- und Tierbestandes durch den Kauf und die Pflege der Familie Püwert gemeinsam mit dem NABU Freiberg und dem Naturschutzinstitut ein Mosaik aus unterschiedlichsten Wiesengesellschaften mit einer heute bemerkenswerten Artenfülle.

In ganz Mittelsachsen ist die Kulturlandschaft vor allem durch Landwirtschaft und Bergbau überformt. Es existiert kein einziger unbeeinflusster natürlicher Standort mehr. Die Bedeutung dieser Wiesen kann deshalb gar nicht hoch genug gewertet werden. Allein der Umstand, dass in Mittelsaida der Helle Wiesenknopfameisenbläuling, an der Lochmühle sogar auf beiden Wiesenflächen der Helle und der Dunkle Wiesenknopfameisenbläuling fliegt, müsste seitens der Naturschutzbehörde ein sofortiges Unterschutzstellen der Flächen auslösen. Beide Falterarten stehen nicht nur nach Bundesnaturschutzgesetz unter strengen Schutz, sondern sind auch als Anhang IV Arten der FFH Richtlinie durch Europäisches Recht besonders geschützt. Sowohl der Helle als auch der Dunkle Wiesenknopfameisenbläuling sind weltweit gefährdet und akut vom Aussterben bedroht.

Erfreulicherweise sind die Bestände beider Falterarten an der Lochmühle durch die sensible Pflege bisher jedes Jahr in ihrem Bestand gewachsen und auch in Mittelsaida flogen 2021 bis 40 Individuen am Tag. Im Rest von Sachsen sieht die Lage aber äußerst besorgniserregend aus. Vor allem der Helle Wiesenknopfameisenbläuling ist hier unmittelbar vom Aussterben bedroht. Auf der Kontrolle einer Fläche im Stadtgebiet von Dresden, wo vor 20 Jahren noch mehrere Populationen vom Dunklen und auch vom Hellen Wiesenknopfameisenbläuling flogen, konnte dort nur noch an einer Stelle überhaupt der Große Wiesenknopf gefunden werden, Falter wurden keine mehr festgestellt.

Wiesen mit Vorkommen von Großen Wiesenknopf und den beiden Ameisenbläulingen erfordern eine besonders angepasste Mahd. Sie werden meist Ende Mai und im Herbst ab Ende September gemäht. Dadurch fielen sie schon früher in der Hochzeit der Mähwiesen aus dem Raster. Heute entstehen Konflikte auf solchen Standorten mit dem botanischen Artenschutz, z.B. bei Orchideen oder Trollblumen. Denn üblicherweise müssen diese Feuchtwiesen im Juli/August gemäht werden. Dies ist jedoch die Flugzeit der beiden Ameisenbläulinge.

Eine Existenz von Ameisenbläulingen und Orchideen ist dennoch ohne weiteres möglich.

Auf der Frauenwiese und der Gehegewiese wachsen seit Jahren die Populationen der Tagfalter und heute in Sachsen seltener Pflanzenarten. Hier wird durch Teilflächenmahd, Kurzzeitbrachen, unterschiedlicher Mahdhöhe und Einsatz diverser Mähgeräte die unterschiedliche Bewirtschaftung historischer Heuwiesen imitiert. So profitieren jährlich bestimmte Pflanzen oder Tiere, können sich insgesamt in der Wiese behaupten und weisen langfristig ein Populationswachstum auf.

Diese Art der Wiesenbewirtschaftung erfordert einerseits eine gute Kenntnis historischer Bewirtschaftungsformen, der Historie der zu pflegenden Fläche und die Habitatansprüche der Wiesengemeinschaft insbesondere der botanischen und faunistischen Spezialisten. Der wichtigste Faktor ist aber die praktische Umsetzung in Form einer an die jährliche unterschiedliche Phänologie angepasste Pflege. Ohne persönlichen Einsatz, der über das „normale Maß“ ehrenamtlichen Naturschutzes hinausgeht, ist solch eine zeitaufwendige Pflege der Wiesen nicht machbar.

Als Herausragend für den Erfolg hat sich bisher die Lichtstellung und die ständige Erzeugung offener Bodenstellung erwiesen. Durch eine Mahd auf Bodenhöhe und nachfolgend gründliches Abharken und partielles Vertikutieren von Hand ist ein ausreichender Nährstoffentzug gewährleistet. Eine Ansammlung von Streu wird dadurch völlig unterbunden.

Paarung vom Dunklen Wiesenknopfameisenbläuling auf einer Blüte des Großen Wiesenknopf 16.07.2021 Frauenwiese an der Lochmühle Langenau

Die übliche Praxis in der Naturschutzpflege von Wiesen in ganz Deutschland ist eine einmalige Mahd mit meist hoch eingestellten Mähwerk um Verluste an Insekten und Wirbeltiere zu minimieren. Da hier sehr oft Traktoren zum Einsatz kommen, werden die Böden langfristig verdichtet, eine Schonung der Solarien von Ameisen ist hier nicht möglich. Doch auch beim Mähen mit Balkenmäher oder Motorsensen wird die Methode mindestens 10cm oberhalb des Bodens zu mähen favorisiert. Obwohl auch hier ein Nährstoffentzug erfolgt, ist eine Ansammlung von Streu und eine damit verbundene Verfilzung der Rasennarbe die Folge. Aufgrund fehlender Helfer, Zeitmangel und zu geringer finanzieller Mittel entfällt hier meist die zweite Mahd oder Nachbeweidung. Zusätzlich entsteht durch die Klimaerwärmung bedingte Verlängerung der Vegetationsperiode ein besonders kräftiger zweiter Aufwuchs. Das Verschwinden besonders sensibler Pflanzenarten, welche an nährstoffärmste Standorte gebunden sind, verdeutlicht die negativen Auswirkungen dieser Pflegeform. Bestandsrückgang trotz Pflege sind in vielen bedeutenden Schutzgebieten die Folge.

Mittelsaida 08.10.2021 einpflanzen von in Ex situ gezogenen Trollblumen

2021 konnten durch zwei Pflegeeinsätze im Frühjahr und Herbst die Wiese in Mittelsaida wieder in einen optimalen Zustand versetzt werden. Auch auf der Frauenwiese und Gehegewiese erfolgten mehrere Einsätze. Besonders die Erhaltung der beiden Ameisenbläulinge erfordert aber in Zukunft erweiterte Maßnahmen. Nur durch Kauf oder Pacht weiterer Wiesenflächen im Umfeld der Lochmühle und in Mittelsaida ist langfristig ein Fortbestehen dieser Falterarten gesichert. Der Aufbau einer Metapopulation aus mehreren Teilpopulationen bestehend ist der einzige Weg den Hellen und Dunklen Wiesenknopfameisenbläuling in Mittelsachsen zu erhalten. Durch Aufbau einer Ex situzucht vom Großen Wiesenknopf sind wir auch in der Lage im Umfeld diese Art als alleinige Futterpflanze der Raupen der Wiesenknopfameisenbläulinge zu etablieren.

Der Weg dahin ist nicht leicht und nur durch Hartnäckigkeit und persönlichen Einsatz zu schaffen.

Wie auch von anderen Schutzprojekten bekannt, steht und fällt der Zustand solcher Wiesen oft mit dem Engagement Weniger. Vorträge und Führungen in Freiberg sind meist gut besucht, das Interesse groß. Gilt es Hand anzulegen und durch schwere Handarbeit die Wiesen zu pflegen, sind die Aktiven jedoch nur wenige und meist auch die Selben. Selbst namhafte Botaniker und Entomologen aus dem Freiberger Raum machen sich bei praktischen Einsätzen rar. Bei der Planung des Ankaufs weiterer Wiesenflächen fällt nicht zum ersten Mal das Argument „Wer soll denn das später Mähen?“ Auch der Preis für Pacht oder Kauf und Ex-situ-Zucht des Großen Wiesenknopfes lässt unsere zuständigen Verantwortlichen zaudern. Ein Zaudern und Zweifeln ist hier aber nicht angebracht. Viele – zu viele – Arten sind aus dem Freiberger Raum und Mittelsachsen schon verschwunden. Die Notwendigkeit hier aktiv zu bleiben und unsere Bemühungen zu verstärken soll hier mit Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Gerade die sich wieder verschärfende Coronalage macht ein genaues Planen für das Jahr 2022 schwierig. Wer nur etwas mit der Biologie dieser beiden Falterarten vertraut ist, weiß das eine Mahd zum falschen Zeitpunkt, ein Hochwasser zur Flugzeit diese Arten verschwinden lässt. Wir sollten stolz sein solche Naturschätze noch vor unsere Haustür zu haben. Deshalb besteht auch für uns als Naturinteressierte eine Verpflichtung diese zu erhalten.

Der Winter sollte deshalb unbedingt dazu genutzt werden weitere Wiesenflächen in den genannten Gebieten zu erwerben. Flächen stehen genügend zur Verfügung. Ein Pflegeplan 2022 für bestehende Flächen ist bereits vorhanden. Von April bis Oktober ist hierzu jede helfende Hand erwünscht.

Hier gilt es Prioritäten zu setzen und unsere Verantwortung dafür einzugestehen.

Selina Schöne in der Geschäftsstelle des NABU Freiberg und der Vorstand haben momentan genug Arbeit. Es wäre erfreulich, wenn die Winterzeit und die sich durch die sich anbahnenden künftigen Kontaktbeschränkungen ergebende Zeit genutzt würde. Jeder kann sich hier nützlich machen, nicht nur NABU Mitglieder! Es werden Fördergelder für die geplanten Aktionen benötigt. Anfragen und Suche nach potentiellen Wiesenflächen können auch telefonisch oder am PC von Zuhause aus erfolgen.

 

Für Juli/August 2022 sind an der Lochmühle und in Mittelsaida auch Führungen geplant. Vor Ort können dann diese Wiesen bestaunt werden. Wir wünschen Allen ein ruhiges Weihnachtsfest, Gesundheit und viele Naturerlebnisse vor der Haustür.

 

Claus und Andreas Püwert

Lochmühle Langenau im November 2021

 

 

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