Natur im Osterzgebirge

Lokal handeln – global denken: die Madagaskar-Projekte 2020

      

Bei so manchem Projekt fragt man sich schon, ob Aufwand und Ergebnisse noch in einem verkraftbarem Verhältnis stehen. Die finanzbürokratischen Herausforderungen eines fünfstelligen Förderprojekts in reiner Freizeittätigkeit zu stemmen überschreitet allzu oft die Grenzen des „Noch-Spaß-Machens“. Und dann kam dieses Jahr „Corona“ hinzu, mit tatsächlichen Risiken (Veranstaltungen in geschlossenen Räumen), aber auch ziemlich unsinnigen Verboten (Bäume pflanzen). So manches wurde im Frühling aufwendig organisiert, um dann kurzfristig abgeblasen werden zu müssen, dann im Herbst nochmal aufwendig organisiert und doch wieder unter-/abgesagt. Nein, vergnüglich war das alles nicht!
Daran gemessen, kann sich die Gesamtbilanz der „Madagaskar-Projekte“ aber durchaus sehen lassen.

Projekte in Anjahambe – Regenwaldgebiet Ost-Madagaskar.

Nach ziemlich zähen Antragskrämpfen hatte der Regenwaldverein Ranoala im Herbst 2019 ein komplexes Förderprojekt von der Berliner Stiftung Nord-Süd-Brücken genehmigt bekommen. Die Stiftung verwaltet auch Gelder, die der sächsische Landtag für Entwicklungsprojekte im Ausland bereitstellt. Beantragt war eigentlich ein Gesamtpaket aus gemeinsamen Ideen der Schüler von Madagaskar-AG (Altenberg) und Analasoa-Club (Anjahambe). Aber das passte nicht in die Förderschubladen, und am Ende blieben ausschließlich die madagassischen Projektbestandteile übrig. Damit ging zwar der wunderbare Gedanke gemeinsamen Schülerengagements verloren, aber am Ende geriet die Komplexität dennoch an die Grenzen des Koordinierbaren. Zumal deutsche Bürokratie und madagassische Mentalität in ganz verschiedenen Universen kreisen, mit vielen Lichtjahren dazwischen.

Zum Glück waren bis Ende Februar mit Ezgi und Nico zwei sehr engagierte Studenten vor Ort (wir hatten uns beim Schellerhauer Naturschutzpraktikum 2018 kennengelernt). Insofern konnten in den ersten Monaten zahlreiche Projektbestandteile in Madagaskar nicht nur umgesetzt, sondern auch buchhalterisch oberkorrekt belegt werden. Dazu gehörten:

  • Aufforstungseinsätze der jungen Freunde des Analasoa-Clubs und im Februar eine Mehrtagesexkursion ins Küstenrestwaldgebiet Tampolo (einer der letzten Küstenregenwaldreste der Insel, akut von illegalen Abholzungen bedroht). Die Kombination „Erst gemeinsam für die Natur arbeiten, dann gemeinsam zum Natur erleben verreisen“ bildet nach wie vor den Kern der Ranoala-unterstützten Aktivitäten, in Anjahambe wie in Altenberg.
  • Finanzierung von sechs Waldarbeitern im Analasoa-Aufforstungsgebiet und in der zugehörigen Baumschule;
  • Vermessung und Grenzfestlegung des Regenwaldrestes in der Nachbarkommune Ambatoaharana (von fortschreitender illegaler Rodung betroffen);
  • Erweiterung des Bücherbestand in der Analasoa-Club-Bibliothek, die 2017 mit Geldern von „genialsozial“ errichtet werden konnte;
  • Reparatur der Solaranlage auf dem Bibliotheksdach (neuer Wechselrichter – dank an Elektro-Rümmler für die Unterstützung!);
  • Bau einer Toilette neben der Bibliothek (die sanitären Verhältnisse im Umfeld des Lycée Anjahambe sind, wie vielerorts in Madagaskar, sehr kritisch!).

Saniolin Sifaka

Ja, und dann kam Corona, auch in Madagaskar. Obwohl die madagassische Regierung zunächst mit viel Tamtam ein eigenes „Medikament“ („Covid-Organics“, als Limo oder als Dragees) bewarb, kam es auch hier zu harten Lockdown-Verfügungen. Extrem hart, vor allem für all die Tagelöhner in den Städten, denen von heute auf morgen die Lebensgrundlage entzogen wurde. Zusammen mit den Dürre-Missernten im Süden Madagaskars ist die humanitäre Situation vielerorts wohl sehr, sehr prekär. (Vielleicht müssten wir darüber manchmal nachdenken, wenn wir hier wegen des verhinderten Glühweihnachtsvergnügens hadern?)
Zum Glück scheint das unsere Freunde in Anjahambe weniger zu betreffen. Zumindest gedeihen hier das ganze Jahr über Lebensmittel, so dass keiner verhungern sollte. Aber unser schönes Nosübrü-Projekt brachte Corona auf alle Fälle auch gründlich durcheinander. Monatelang waren die Schulen geschlossen, wochenlang der Personenverkehr auf den Straßen untersagt. So fanden auch kaum Aktionen des Analasoa-Clubs statt. Die eigentlich geplante „Groß-Exkursion“ – eine Woche in den Masoala-Nationalpark – musste endgültig abgesagt werden. Erhebliche Probleme gab es unter diesen Bedingungen auch mit dem Transfer der Projektgelder ins Regenwalddorf Anjahambe.

Das Schlimmste aber: in dieser Zeit wurde der Restregenwald von Ambatahoaranana, der zum zweiten Schwerpunkt der Projekte der Jugendlichen des Analasoa-Clubs werden sollte, fast komplett abgeholzt. Auch die Dorfgemeinschaft war eigentlich für die Erhaltung des Waldes, aber es gibt eben überall Solche und Solche. Und in Madagaskar einen schwachen, korruptionszerfressenen Staat.

Ab August/September entspannte sich die Corona-Lage in Madagaskar. Womöglich wurde aber auch der Regierung klar, dass die „Kollateralschäden“ der Coronabekämpfungsmethoden in diesem – materiell bitterarmen – Land noch viel tödlicher sind als die Krankheit selbst. Die Ausgangssperren wurden aufgehoben, die Straßen wieder geöffnet, auch die Schulen. Und so konnten ab September nun doch noch einige wichtige Nosübrü-Projektbestandteile umgesetzt werden:

  • eine Umweltprojektwoche am Lycée in Anjahambe, u.a. mit Pflanzeinsätzen und Müllsammelaktionen (ein dramatisches Problem in Madagaskar – wie in vielen Entwicklungsländern – es gibt keine Müllentsorgung);
  • ein zweiwöchiger Computerkurs in der Analasoa-Club-Bibliothek in Anjahambe;
  • Fortsetzung der Waldarbeiten durch die angestellten Arbeiter; Saatgutbeschaffung und Anzucht in der Analasoa-Baumschule; Vorbereitende Arbeiten für die Anlage einer zweiten Baumschule in der Nachbarkommune Ambatahoaranana.

Und zur Zeit dürften die jungen Freunde des Analasoa-Clubs für eine Woche im Schutzgebiet Analalava sein. Analalava ist mit 200 ha einer der letzten „größeren“ Tieflandsregenwaldreste der Provinz Tamatave, erhalten durch die Pflanzung eines Schutzwaldgürtels (organisiert von der Grünen Liga in den 1990er Jahren), jetzt mit einer von Missouri Botanical Garden unterstützten Schutzgebietsverwaltung samt Umweltbildungszentrum. Ein wunderbarer Ort, die Natur Madagaskars verstehen zu lernen und für deren Erhaltung motiviert zu werden!

 

Projekte in Altenberg

Nord-Süd-Brücken hatte von uns ja verlangt, aus dem gemeinsamen Projektkorb der deutschen und der madagassischen Schüler die Projektbausteine säuberlich zu trennen und in die Förderschubladen „Ausland“ und Schublade „Inland“ einzusortieren. Haben wir also gemacht … dann aber erfahren, dass in der zweiten Schublade gar kein Geld mehr lag.

Zum Glück gibt es die Sächsische Landesstiftung für Natur und Umwelt. Diese verwaltet u.a. Gelder, die der Freistaat Sachsen zur Unterstützung von Umweltbildungsprojekten bereitstellt. Um diese hatte sich Ranoala – wiederum stellvertretend für die Madagaskar-AG – mit den „Inlandsprojektbausteinen“ beworben. Erfolgreich. So stand uns im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung 2020 eine mittlere vierstellige Summe für Mad-AG-Aktivitäten zur Verfügung.

Doch auch hier grätschte Corona dazwischen. Die erste öffentliche Veranstaltung – ein Vortragsabend mit dem Buchautor, Umweltanwalt und Madagaskar-Kenner Georg Jaster – konnte Ende Februar in der Bärensteiner Galerie Geißlerhaus noch stattfinden. Doch schon der eigentliche Auftakt-Workshop zum LANU-Projekt, zwei Wochen später am selben Ort, musste eine Stunde vor Beginn abgesagt werden.

Dann überstürzten sich bekanntermaßen die Verordnungen und Verfügungen, wobei der gesunde Menschenverstand oft auf der Strecke bleiben musste. Der für Anfang April geplante Pflanzeinsatz mit der Madagaskar-AG im Kahleberg-Gebiet wurde untersagt (trotz zwei Metern Pflanzreihenabstand). Zur gleichen Zeit wurden aber über das – von der Bundesregierung geschaltete! – Internetportal „landhilft.de“ Pflanzhelfer im Kahleberg-Gebiet gesucht. Ich hab da paar Wochen ab und zu mal mitgearbeitet und einige interessante Leute von Nah und Fern kennengelernt. Und weil das alles an der frischen Luft, also hinsichtlich Seuchenausbreitung völlig unbedenklich war, haben wir dann im ganz kleinen Kreis doch noch einen heimlichen Pflanzeinsatz mit einigen, wenigen freiwilligen Mad-AGlern gemacht. Die Bäume waren ja bestellt und mussten in den wegen der Aprildürre rasch austrocknenden Kahleberg-Boden!

Blue Coua

Komplett ausfallen musste die ebenfalls im April geplante „Regenwald-Expedition“ nach Leipzig. Bahntickets, Übernachtungen, Führung im Gondwanaland, Programmtag im Regenwaldmuseum Phyllodrom … alles war schon organisiert, das meiste auch bezahlt. Stress, aber wohl doch unvermeidlich. Und dann war für den Rest des Schuljahres das Gymnasium weitgehend zu. Erst kurz vor den Sommerferien war an was anderes als puren Not-Unterricht zu denken.

Mitte Juli kamen dann zwölf Schülerinnen und Schüler für vier Tage ins Bielatal zum „Mad-AG-Camp„, das ans Heulager angegliedert war. Neben heulagertypischer Naturschutz-Wiesenarbeit gab es ein umfangreiches Begleitprogramm, u.a. mit einer madagassischen Band zum Lagerfeuer, einem Fledermausabend und einer Exkursion in den Botanischen Garten Teplice, in dessen großem (Sub-)Tropenhaus Pflanzen aus Madagaskar eine besondere Rolle spielen.

Nahtlos schloss sich der „Umwelttag“ des Altenberger Gymnasiums am 15. Juli an. Einer der Einsatzorte war die Grünfläche an der Raupennestklinik, die in einem Kooperationsvorhaben zwischen Klinikleitung, Naturschutzstation, Grüner Liga, Gymnasium und eben der Madagaskar-AG zu einer artenreichen Bergwiese (zurück-)entwickelt werden soll. Auch Umweltminister Wolfram Günther versuchte sich bei dieser Gelegenheit hier mit Sensen. Teil der Vereinbarung mit der Raupennestklinik ist, dass diese die Regenwaldprojekte der Madagaskar-AG im Gegenzug mit einer Spende unterstützen will.

Leider waren zur geplanten Zweitmahd der Fläche im Oktober alle Gymnasiasten in Quarantäne gesteckt. Zuvor hatte im September noch eine Naturschutzaktion der Madagaskar-AG auf der Feuerlilienwiese an der Bahnlinie (am Geisingberg) stattfinden können, danach hatte sich das sommerliche Zeitfenster für AG-Projekte schon wieder geschlossen. Die Coronazahlen stiegen, die Verordnungen wurden wieder verschärft, und erneut durften Schüler keine Bäume mehr pflanzen. Die Situation vom Frühjahr wiederholte sich: der für Anfang November geplante Pflanzeinsatz musste abgesagt werden, und die erneut mit viel Aufwand organisierte Wiederholung der „Regenwald-Expedition nach Leipzig“ ebenso.

Kein Abschluss-Workshop, stattdessen eine Fragebogenaktion unter den Schülern. Deren Ergebnisse sind sicher auch für andere Umweltbildungsvorhaben interessant, das Grüne Blätt’l wird demnächst darüber berichten (noch werden die Fragebögen der madagassischen Schülerinnen und Schüler übersetzt).

Im Druck sind derzeit auch noch drei Plakate aus der 2018 begonnenen „Analasoa-Serie“, mit denen der Analasoa-Club in Anjahambe und Umgebung recht effektive Öffentlichkeitsarbeit betreiben kann.
Wie sicher bei den meisten anderen Umweltbildungsinitiativen auch, lief es 2020 ganz und gar nicht nach Plan.
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an die LANU (und speziell an Frau Kahle), die uns dennoch ein Maximum an Flexibilität eingeräumt haben, um trotz Corona das Bestmögliche zu erreichen!

Lemur im Baum

Ausblick 2021

Ebenfalls Corona zum Opfer gefallen ist der zweite Besuch madagassischer Partnerschüler in Altenberg. Unter den Lockdown-Bedingungen in Madagaskar hätten die jungen Freunde des Analasoa-Clubs keine Chance gehabt, alle erforderlichen Dokumente aufzutreiben, die für einen Einlass in die Festung EU erforderlich sind. Und zum Zeitpunkt, zu dem die Reise geplant war, galt im Altenberger Gymnasium: Quarantäne.

In der Hoffnung auf Entspannung im nächsten Jahr, soll der Besuch im Herbst 2021 nachgeholt werden. Seit Jahren geplant ist außerdem im Sommer eine Reise der jetzigen Zehntklässler der Mad-AG ins Projektgebiet. Allesamt sehr engagierte junge Leute, die dies wirklich „verdient“ hätten. Und zu den wichtigsten Erfahrungen aus all den Jahren „Madagaskar-Projekte“ gehört für mich die Erkenntnis, dass die persönliche Begegnung mit Menschen unverzichtbar ist, wenn man sich gemeinsam für Natur und Umwelt engagieren möchte.

Allerdings: all das kostet nach wie vor Geld, ziemlich viel Geld. Den Besuch der Madagassen in Deutschland fördert das „Entwicklungspolitische Schulaustauschprogramm“ ENSA – aber bei weitem nicht kostendeckend. Für eine Reise der deutschen Schüler ist noch gar kein Fördertopf in Aussicht. Auch das bis 31. Dezember noch laufende Nord-Süd-Brücken-Projektpaket wird nur mit 75 % gefördert – rund 4.500 € „Eigenmittel“ muss der Ranoala-Verein (12 Mitglieder!) noch draufpacken.

Und ab 1.1.2021 können wir alle Aufforstungs-, Naturschutz- und Umweltbildungsprojekte in Anjahambe wieder nur noch über Spenden unterstützen. Bevor wir ein neues „Großprojekt“ und die damit einhergehenden finanzbürokratischen Nervereien angehen, muss bis 31.3. die Endabrechnung des Nosübrü-Förderpakets zusammengestellt werden. (Wie mir davor schon graut!)

Um so wichtiger sind deshalb weiterhin freiwillige Spenden für die Regenwald- und Naturschutzaktivitäten der Schüler in Anjahambe und in Altenberg!

Global denken – lokal handeln. Es gibt sicher nicht allzu viele Schülerinitiativen, die diese Phrase so mit jugendlichem Leben erfüllen wie die Madagaskar-AG am Gymnasium Altenberg und der Analasoa-Club im ostmadagassischen Dorf Anjahambe!

Jens Weber

 

Spendenkonto der Regenwaldgruppe Ranoala e.V. Dresden:
Bank für Kirche und Diakonie, GENODED1DKD, DE23 3506 0190 1626 8500 29

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