Natur im Osterzgebirge

Frühlingsdürre: April, April – jetzt stehen auch die Wolken still

Gespannt verfolgen wir seit Wochen diverse mathematische Größen: „Reproduktionszahl“, „Verdopplungszeit“, „Übertragungswahrscheinlichkeit“ und andere Pandemie-Parameter. Vielleicht sollten uns aber mal wieder die „Wasserstandsmeldungen“ interessieren.
Gemeint sind nicht nur die Wasserstände der Oberflächengewässer. Derzeit liegt der Wert am Dresdner Elbpegel bei 80 cm – zu einer Jahreszeit, als einst die Frühjahrshöchststände über die Ufer traten. Zur Erinnerung: Die „Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt“ geht im „Gesamtkonzept Elbe“ (2010) von einer Fahrrinnentiefe von mindestens 1,40 m an 345 Tagen im Jahr aus.
Müglitz und die Weißeritzen kann man schon fast wieder trockenen Fußes überqueren wie weiland Sommer 2018.
Wobei es andererseits für die Trinkwasserversorgung aus den osterzgebirgischen Talsperren derzeit wieder recht entspannt aussieht. Diese sind  zu über 90 % voll (Stand 26.4. – www.ltv.sachsen.de/tmz/uebersicht.html). Selbst die Lehnmühle, die mitten im Winter erneut fast komplett trocken dalag, vermeldet knapp zwei Drittel des Stauziels.

Inhalt 
(Mio m3)
Stauziel
(Mio m3)
%
Gottleuba  8,5 9,4 90,4
Altenberg  0,8 0,9 88,9
Lehnmühle  9,2 14,9 61,7
Klingenberg  12,9 14,1 91,5
Lichtenberg  11,2 11,4 98,2
Rauschenbach  12,0 11,2 107,1
Saidenbach  19,0 19,4 97,9
Gesamt  73,6 81,3 90,5

https://www.ltv.sachsen.de/tmz/uebersicht.html, 26.4.20

Zu danken haben wir dies den reichlichen Februar-Niederschlägen. Volker Beer konstatierte in seinem monatlichen „Wetterrückblick für Sachsen mit Mitteldeutschland“ den zweitnassesten (aber auch: zweitwärmsten) Februar seit Aufzeichnung meteorologischer Daten. Doch jegliche Hoffnung auf einen entspannten Vegetationsperiodenbeginn waren verfrüht (worauf auch Volker damals ebenso schon hinwies wie andere Experten auch).
Denn das, was den Talsperren neue Füllung verschaffte, kam in den Böden nicht an. Die seit zwei Jahren und länger hartgebrutzelte Bodenkrume konnte das meiste Wasser gar nicht so schnell aufnehmen – es rauschte oberflächlich talabwärts. (Wobei all die Bodenversiegelungen durch Beton und Bitumen, durch viel zu schwere Land- und Forstmaschinen das ganze Problem noch verschärfen). Als der Oberboden dann im März soweit durchfeuchtet war, dass die Chance für’s Tiefersickern gegeben wäre, da drehte die Großwetterlage wieder … den Hahn zu. Und Schnee gab’s in diesem Winter ja auch nicht, der dann allmählich hätte vor sich hintauen können.
Was bleibt, ist ein besorgniserregendes Wasserdefizit, vor allem in den tieferen Bodenschichten:

Was der Dürremonitor des Leipziger Umweltforschungszentrum zeigt: Sachsen sitzt besonders auf dem Trockenen. Aber auch innerhalb Sachsens gibt es nochmal beträchtliche Unterschiede von West nach Ost. Dies lässt eine Grafik aus dem sächsischen Waldzustandsbericht 2019 erkennen:

Verlauf der wöchentlichen Mittelwerte der Bodenfeuchte in 30 cm Tiefe [% der nutzbaren Wasserspeicherkapazität] : obere Linie West-Erzgebirge, untere Linie Ost-Erzgebirge

Ein neuer Begriff wurde geschöpft: „Grundwasserdürre“.

Klimawandelwetterlage?

Die aktuelle Wetterlage erinnert besorgniserregend an den Frühling 2018 – als später das Wort „Heißzeit“ zum Wort des Jahres gekürt wurde. Normalerweise sorgen im Frühjahr straffe Westwetterlagen für sprichwörtliches „Aprilwetter“. Die Sonne heizt die Subtropen auf, während die Polargebiete noch kalt bleiben, und dazwischen fegt der sogenannte Jetstream eine rasche Abfolge von Tiefdruckgebieten mitsamt Kalt- und Warmfronten über Mitteleuropa. Heutzutage aber steigen die Temperaturen im hohen Norden überdurchschnittlich stark und schnell, während sie im südlicher gelegenen Atlantikraum noch eher auf langjährigem Niveau verharren. Das Temperatur- respektive Druckgefälle nimmt ab, der Jetstream „flattert“ statt „strömt“, anstatt Aprilwestwetterlagen setzen sich stabile Hochdruckgebiete fest.
„Seit etwa 20 Jahren fällt im April zu wenig Regen, … Drastisch fällt die Bilanz aus, wenn man die vergangenen zehn Jahre betrachtet … Jedes Jahr fehlt bundesweit ein Drittel der üblichen Regenmengen … Am härtesten trifft es Sachsen, dort fiel nur in einem der vergangenen Jahre (im April) mehr Regen als üblich.“ (https://www.spektrum.de/news/der-april-ist-nicht-launisch-sondern-bestaendig-und-arg-trocken/1725714)
Die letzten Wochen kam es besonders dürr: In Zinnwald fielen zwischen 1. und 26. April gerademal 5,6 Liter Niederschlag pro Quadratmeter – das sind knapp 9 % des langährigen Mittels (64 l/m2), in Dipps nur 2,7 l (4,4 %), und in Dresden lediglich 1,5 l.
Fehlende Niederschläge zu Beginn der Vegetationsperiode wären schon schlimm genug. Doch damit nicht genug. Die Temperaturen liegen ja auch immer mehr auf Rekordkurs, und damit steigt die Verdunstung. Januar bis März 2020 war europaweit das wärmste erste Jahresquartal seit Beginn der Aufzeichnungen. Was andererseits Nachtfröste zur Unzeit keineswegs ausschließt. Minus 13 Grad am 1. April und seither immer wieder Nachtfrost, das gehört ebenfalls zu stabilen Hochdruckgebieten um diese Jahreszeit. Für die Obsternte im unteren Ost-Erzgebirge dürfte es traurig aussehen.
Zuschlechterletzt ist eine solche Wetterlage in der Regel mit sehr niedriger Luftfeuchtigkeit und oft auch straffen, trockenen Ostwinden verbunden. Alles, was an Feuchtigkeit vom Winter im Boden übrig war, löste sich so in Luft auf. Ich war im April regelmäßig mit zum Bäumepflanzen am Kahleberg – da bekam man unmittelbar mit, wie von Tag zu Tag der Boden zu Staub wurde (also keine Sorge, liebe Birkhuhnfreunde, die meisten der in der zweiten Monatshälfte gepflanzten Fichten werden sowieso nicht anwachsen …).

Dürrestress in der Pflanzen- und Tierwelt

Der aktuelle sächsische Waldzustandsbericht (Redaktionsschluss allerdings schon im Oktober 2019) belegt eindrucksvoll die Dramatik der Trockenheit und ihrer Folgen in den Forsten. Rund drei Viertel aller Bäume der Stichprobenflächen weisen Schäden auf. Zur schlimmsten Zeit des Waldsterbens, Anfang der 1990er Jahre, waren es nur knapp zwei Drittel. Und betroffen sind nicht nur die Fichten, die derzeit von Milliarden Borkenkäfern hinweggerafft werden – das Bild verlichteter Kronen und absterbender Bäume zieht sich über fast alle Arten. Auch über 90 % der Eichen und über drei Viertel der Buchen sind geschädigt.

https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/34742

Unter dem Stichwort “ Dürre und Hitze in Europa 2018″ verzeichnet Wikipedia unter anderem folgende Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt:

  • – weniger Mücken und andere Insekten
    -> Futtermangel für Vögel
    -> weniger Wespennahrung zur Versorgung ihrer Larven -> kleinere Wespen
  • eingeschleppte tropische Zeckenarten
  • schätzungsweise 500 Millionen (gepflanzte) Jungbäume sind 2018 eingegangen

Belegt sind außerdem deutliche Verschiebungen in der Phänologie, so setzt heute die Apfelblüte (= Beginn des Vollfrühlings) zehn Tage früher ein als im Mittel 1961-1990, der Schwarze Holunder blüht sogar 11 Tage eher.

http://www.lfulg.sachsen.de/download/lfulg/Nachlese_KAM_Wetter2018.pdf

Reaktionen der Natur beobachten, notieren, zusammentragen!

Die Bewahrung der Biologischen Vielfalt braucht schlüssige Naturschutzstrategien, die vor dem Klimawandel nicht die Augen verschließen. Wer gehofft hatte, dass aus  dem extremen Trockensommer eine große Zahl von wissenschaftlichen Studien zum Verhalten mitteleuropäischer Arten und Lebensräume unter fortgesetzten Dürrebedingungen folgen würde, der sieht sich inzwischen arg getäuscht. „Der Naturschutz“ macht weiter wie bisher: Wiesen mähen, Hecken pflanzen, Rote-Liste-Arten päppeln – alles richtig, alles wichtig, aber mit Sicherheit alles nicht genug. Bei weitem nicht.
Im Herbst 2018 hatten wir begonnen, die Dürre-Beobachtungen von Naturfreunden im Ost-Erzgebirge zusammenzutragen:
– Austrocknen von Laichtümpeln sowie Feuersalamander-Bäche
– Bäume sehr kleine Knospen -> frühzeitige Kronenverlichtungen im Folgejahr
– reife Heidelbeeren bereits im Juni
– kein Zweitaufwuchs auf den Bergwiesen -> sehr wenig Heuschrecken im Hochsommer
– akute Gefährdung für Hochmoor-Insektenarten
– (fast)  keine Kreuzottern mehr
– Neuauftreten oder Aufstieg wärmeliebender Arten ins Gebirge: Große Holzbiene, Goldlaufkäfer
Leider ist auch dieses (wie so manche andere) pure Freizeitprojekt ist dann irgendwie wieder auf der Strecke geblieben. Doch nun, da sich die Situation wiederholen könnte, erneut die Bitte an alle Freunde der Osterzgebirgsnatur: Notiert Auffälligkeiten der Tier- und Pflanzenwelt unserer Region, die (möglicherweise) auf extreme Witterung zurückzuführen sind! Teilt sie mir bitte mit, ich versuche das zusammen zu fügen. Wie bereits im Herbst 2018 würden wir dann wieder zusammenkommen und die Erkenntnisse diskutieren. (Wenn wir bis dahin hoffentlich wieder „zusammenkommen“ dürfen!)
Derweil gilt: mindestens so viel Sorgen wie um die Virenbelastung sollten wir uns um die Wasserbilanz machen!
Jens Weber

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