Der ein oder andere kennt sicher die Geschichten von der Oma, die im Krieg Brennnesseln oder Eicheln gesammelt hat, um die Teller zu füllen. Mit solcher « Notnahrung » will man heute nichts mehr zu tun haben – oder vielleicht ja doch?
Wenn wir genau hinschauen, kommen wir nicht umhin zuzugeben, dass heute eine moderne Not herrscht: Die Böden sind ausgelaugt von intensiver Landwirtschaft, großflächig auch überdüngt oder mit künstlichen Pflanzenschutzmitteln totgespritzt. Nur so scheint man dem Boden überhaupt noch etwas abringen zu können, was sich zu wirtschaftlichen Preisen verkaufen lässt. Untersucht man diese Nahrungsmittel auf Inhaltsstoffe wird schnell klar: da ist kaum noch etwas drin, was die Bezeichnung LEBENsmittel verdient hat. Die für unsere Gesundheit essentiellen Mineralien, Vitamine und Spurenelemente können wir kaum noch über die klassische Ernährung abdecken, und immer mehr Menschen greifen zu Nahrungsergänzungsmitteln. Hinzu kommt – trotz schwindelerregender Produktfülle in grell-leuchtenden Supermärkten – eine extrem einseitige Ernährung, wo die meisten Produkte auf 4 Kulturpflanzen basieren: Weizen, Mais, Reis und Kartoffeln. Die Zunahme von Glutenunverträglichkeiten und Allergien jedweder Art ist deutliches Zeichen für eine art-fremde Ernährung, die von Fast Food, To-Go und hastigen Mahlzeiten zwischen Arbeit und Handy gekrönt ist.
Art-fremd ist das Stichwort – denn so, wie unsere Landschaft und Teller heute aussehen, haben unsere Vorfahren nicht gelebt. Anthropologen zufolge gibt es die Menschheit seit ca. 2,7 Millionen Jahren. Den überwiegenden Teil dieser Menschheitsgeschichte bestand die Ernährung ausschließlich aus gesammelten und gejagten WILDEN Lebensmitteln. In Europa wird die Sesshaftwerdung der Menschen auf 5.800 Jahren v.Chr. datiert, erst da begann die Landwirtschaft – in Ur-Natur-Qualität, denn Dünger und Spritzmittel kamen erst mit der Industriellen Revolution um 1900 auf. Setzt man diese Zeitskalen in Relation, wird klar, was unsere menschliche Entwicklung geprägt hat und was wir aus evolutionärer Sicht bräuchten, um nachhaltig gesund und vital zu sein. Unsere Vorfahren waren mit allem versorgt, was sie brauchten, denn in diesen wilden natürlichen Lebensmitteln steckt ein unglaublicher Nährstoffreichtum in höchster Konzentration und Qualität.
Das Schöne ist: All dies ist noch in uns angelegt – sei es die Lust zu sammeln, die Fähigkeit, Pflanzen mit etwas Übung leicht und sicher zu erkennen und zu unterscheiden, ebenso unsere Geschmacksrezeptoren, die den Wert von Bitterstoffen noch immer abgespeichert haben und das Signal der Entgiftung an das Gehirn weiterleiten… Die Natur sorgt für uns – zu jeder Jahreszeit! Nicht nur ein paar Kräutlein hier und da, nein man kann sich ganze Mahlzeiten in der Natur zusammensammeln, jedes klassische Gericht mit wilden Zutaten aufwerten, und mit Kreativität und Freude neue Geschmackserlebnisse kreieren. Über diese unsere Gesundheit und Wohlbefinden unterstützende Ernährung hinaus ist gleichzeitig die mit dem Sammeln an der frischen Luft verbundene Bewegung ein positiver Nebeneffekt. Ebenso, dass wir automatisch 100% saisonale und regionale Lebensmittel bekommen und eine tiefe Rückverbindung zur Natur und Selbstwirksamkeit erleben können.
Wer nun den Ruf in sich spürt, raus zu gehen und zu entdecken, was da wächst, oder sich schon länger gefragt hat, was von dem ganzen « Unkraut » im eigenen Garten eigentlich essbar ist, den lade ich herzlich ein, auf Wildpflanzenspaziergängen oder -Workshops altes Wissen wiederzubeleben und in den modernen Alltag zu integrieren. Die nächsten Termine sind im Grünen Blätt’l ausgeschrieben, und noch mehr zu erfahren gibt es unter www.wildblütenschmaus.de
Dr. Tania Habel,
Dozentin, Naturpädagogin und zertifizierte Beraterin für essbare Wildpflanzen