Natur im Osterzgebirge

Grenzzollanlage Zinnwald muss rekultiviert werden!

Landtagsanfrage von Bündnis 90 / Die Grünen fördert alten Planfeststellungsbeschluss zutage

Da durfte der Archivar der Landesdirektion sicher ganz tief unten im Aktenkeller wühlen. Über den Grünen Landtagsabgeordneten und Ex-Umweltminister Wolfram Günther konnten wir eine sogenannte Kleine Anfrage zum Planfeststellungsbeschluss der Grenzzollanlage Zinnwald stellen. Zutage kam Schwarz auf Weiß genau das, was wir noch in Erinnerung hatten: die Grenzzollanlage hätte längst vollständig wieder beseitigt werden müssen. Festgelegt war damals nämlich Folgendes:

„Mit Inbetriebnahme der BAB A17 hat der Vorhabensträger die Gemeinschaftszollanlage Cinovec-Altenberg/Zinnwald auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Soweit der Bedarf für den Weiterbetrieb der Gemeinschaftszollanlage entfallen ist oder eine Reduzierung rechtfertigt, hat der Vorhabensträger die Gemeinschaftszollanlage und alle mit diesem Beschluß planfestgestellten Anlagen (Böschungen, Straßen etc.) entsprechend dem tatsächlichen Bedarf zurückzubauen und die Flächen zu rekultivieren.“

Seit der Fertigstellung der A17, spätestens aber dem Beitritt Tschechiens zum Schengener Abkommen 2007 ist der vollständige Rückbau längst überfällig. Ein paar Maßnahmen hat das Landesamt für Straßenbau und Verkehr inzwischen umgesetzt, aber den größten Teil hat sich die Stadt Altenberg aufgehalst, als sie 2012 Eigentümerin der Anlage wurde (um diese teilweise als Wintersport-Parkplatz zu nutzen.

Mit der Zeit geriet die Rückbauverpflichtung offenbar in Vergessenheit.

Nun aber hat Zinnwald Lithium Plc/GmbH beim Oberbergamt einen Antrag gestellt, von hier aus einen „Explorationsstolln“ bis in den Erzkörper unter Zinnwald zu sprengen. Verbunden damit wären einige neue Gebäude auf der GZA-Fläche plus sicher ein nicht unerheblicher Abraumhaufen und entsprechend Lasterverkehr.

Dabei plant das Unternehmen hier nicht nur Erkundungsarbeiten, wie offiziell jetzt beantragt, sondern dauerhaft den Hauptzugang zum Bergwerk. Und auch nicht nur ein paar wenige kleine Gebäude sowie Dreckhaufen rund um das Mundloch, sondern die Inanspruchnahme der kompletten Osthälfte der GZA-Fläche (6 Hektar). Seite 54 der aktuell von ZL zur Schau gestellten „Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung“  zeigt die Pläne auf einer Karte.

Mit Schreiben an das Oberbergamt und an die Landesdirektion hat die Grüne Liga Osterzgebirge e.V. nachdrücklich auf den Sachverhalt hingewiesen, dass das Vorhaben der Zinnwald Lithium Plc/GmbH eindeutig geltendem Planungsrecht zuwiderläuft.

 

Wie kam es zu der Festlegung im Planfeststellungsbeschluss zur GZA?

Nach der Wiedervereinigung nahm der grenzüberschreitende Gütertransitverkehr auf der B170 erheblich zu. Anfang der 1990er rollten täglich rund 700 Transiter über den alten Grenzübergang. Zu den ersten Aktionen der gerade erst entstandenen Grünen Liga Osterzgebirge zählte eine Blockade-Aktion in Zinnwald, gemeinsam mit Tharandter Forststudenten und grünen Aktivisten aus Dresden. „Der Umwelt dienen – Güter auf die Schienen!“ stand auf dem großen, über die Straße gezogenen Banner.

Um den durch weitere Steigerungen des grenzüberschreitenden Güter-Verkehrsaufkommens zunehmenden Druck von der hoffnungslos überforderten B170 zu nehmen, richtete die sächsische Staatsregierung 1994 ein wegweisendes Projekt ein: die „Rollende Landstraße“. Dabei wurden täglich bis zu 500 Lkw pro Tag zwischen Dresden-Friedrichstadt und Lovosice im „Huckepackverfahren“ auf Eisenbahnwaggons durch das Elbtal transportiert. Doch gleichzeitig ließ das Straßenbauamt mit Hochdruck am Ausbau der B170 arbeiten, um die Durchgängigkeit für den Gütertransit zu erhöhen. Insbesondere die Abfertigungsanlagen in Zinnwald-Georgenfeld waren überfordert und führten zu schlimmen Stauzuständen in der Erzgebirgsgemeinde.

1996 kamen die ersten Planungen für den Neubau einer 12 Hektar großen, über 60 Millionen DM-teuren Grenzzollanlage zwischen Altenberg und Zinnwald auf den Tisch. Da damit enorme Eingriffe in Bergwiesen, Birkhuhnhabitate sowie Bodenversiegelungen einhergehen sollten, engagierten sich die Grüne Liga und die Altenberger Bürgerinitiative „Gesunder Wald“ gegen das Vorhaben, insbesondere im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens.

Vor allem war abzusehen, dass die drastische Aufweitung des Zinnwalder B170-„Nadelöhrs“ mittels einer der größten Grenzzollanlagen Mitteleuropas zu einer ebenso drastischen Zunahme des Lkw-Verkehrs auf der Gesamtstrecke führen würde.

Genauso kam es dann auch, nach der Inbetriebnahme der neuen GZA im Jahr 2001. Die Zahl der Transit-Schwerlastfahrzeuge nahm auf durchschnittlich 1200 pro Tag zu. Aus Kostengründen stellte die sächsische Landesregierung die Subventionierung der „Rollenden Landstraße“ ein, die Zahl der Lkw’s erreichte Spitzenwerte von 5.000 am Tag, das Leben entlang der B170 wurde zur Hölle.

Während des Planfeststellungsverfahrens gab es ziemlich harte Auseinandersetzungen zwischen dem Straßenbauamt plus einer breiten politischen Phalanx auf der einen und Naturschützern auf der anderen Seite. Angesichts des in wenigen Jahren bevorstehenden Beitritts Tschechiens zum Schengener Abkommens (und des damit einhergehenden Wegfalls der Grenzkontrollen) war der Eingriff durch eine derart überdimensionierte Flächenversiegelung und Lebensraumzerstörung nicht zu rechtfertigen. Durchaus couragiert konstatierte die Naturschutz-Chefin des damaligen Staatlichen Umweltfachamtes: „Die Planung ist so nicht genehmigungsfähig.“ Es ging um Bergwiesen, die eigentlich FFH-Lebensraumtypen wären, um Birkhuhnhabitate, die eigentlich nach der EU-Vogelschutzrichtlinie tabu sein müssten. Doch Deutschland war schon viele Jahre im Verzug mit der Umsetzung der Naturschutzgesetze der Europäischen Union. Also brauchte das verfahrensführende Regierungspräsidium Dresden diese nicht zu berücksichtigen – fein raus!

Wir hatten wirklich gekämpft wie die Löwen, waren aber chancenlos gegen den politischen Druck, ganz viel Staatsgeld in Beton zu gießen. Das einzige, was uns zugestanden wurde, war der oben zitierte Passus hinsichtlich des Rückbaus der GZA, sobald diese nicht mehr zur Grenzabfertigung gebraucht werden würde.

Was nach der Genehmigung des GZA-Baus geschah …

Am Ende diente die Anlage tatsächlich nur wenige Jahre ihrem Bestimmungszweck.

„Schuld“ dran war auch das „Jahrtausendhochwasser“ im August 2002, das anderthalb Jahre nach der Eröffnung der GZA zuschlug. Es war ein nachhaltig nachdenklich machendes Erlebnis, was für Wassermassen über die frisch versiegelte Riesenfläche abflossen und über die sofort hoffnungslos überforderten „Regenrückhaltebecken“ hinausschossen! Das Kammgebiet überstand zwar das Hochwasser vergleichsweise unbeschadet, aber sowohl die B170 als auch die Fortsetzung auf tschechischer Seite waren über viele Monate zerstört. Was entgegen aller Schwarzmalereien nicht zum Untergang des Abendlandes geführt hat.

Wohl aber zu finanziellen Einbußen derjenigen, die offenbar Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger hatten. Und so stand die schnellstmögliche Wiederherstellung der B170 ganz oben auf der Prioritätenskala – bei dieser Gelegenheit (Hochwassergelder!) vielerorts auch gleich mitsamt heftiger Verbreiterung. Trotz Demonstrationen der Bürgerinitiative „Lebenswertes Erzgebirge“ (unterstützt von der Grünen Liga Osterzgebirge) wurde die B170 im Sommer 2003 wieder für den Transit-Lkw-Verkehr freigegeben, die Lasterhölle entlang der Strecke begann von Neuem. Und die GZA nahm ihren Betrieb wieder auf – für weitere dreieinhalb Jahre.

Ende 2006 wurde die Autobahn A17 fertiggestellt, kurze Zeit später trat Tschechien dem Schengener Abkommen bei. Damit hatte die Grenzzollanlage Zinnwald als solche ausgedient. Eigentlich.

Statt den im Planfeststellungsbeschluss eindeutig verfügten Rückbau vollständig umzusetzen, rief diese schöne ebene versiegelte Fläche allerlei Begehrlichkeiten hervor. Abgebaut wurden nur einige Gebäude und Hochbauten (das große Dach über der Abfertigungsanlage); viel später folgte die Verkleinerung der Straßenfläche auf zwei Fahrspuren.

In einem für die Öffentlichkeit nicht so richtig nachzuvollziehenden „Deal“ sicherte sich die Stadt Altenberg den größten Teil des Terrains. Der K-Flügel durch den Wald zur Biathlonarena wurde ausgebaut, so bot sich die ehemalige Grenzzollanlage ideal an als Riesenparkplatz für Wintersportfreunde. Die leidige Passage im Planfeststellungsbeschluss würde schon irgendwie in Vergessenheit geraten, sowas kann man einfach aussitzen – so vermutlich das damalige Kalkül.

Doch dann trat Zinnwald Lithium auf den Plan. Noch bevor die erste Tonne Dreck unter Zinnwald rausgesprengt werden kann, wirbelt das Unternehmen einigen Staub auf – tief unten im Archiv der Landesdirektion (Rechtsnachfolgerin des Regierungspräsidiums, das in den 90er Jahren das Verfahren geführt hatte).

Vermutlich nichtsahnend hat ZL die Fläche der ehemaligen Grenzzollanlage als idealen Ausgangspunkt für einen „Explorationsstolln“ auserkoren. Gerade noch rechtzeitig im zugehörigen Genehmigungsverfahren konnten wir nun dem Oberbergamt Schwarz auf Weiß mitteilen, dass dies dem existierenden Planungsrecht entgegenstünde. Auch dem neuen Chef der Landesdirektion haben wir den Fall geschildert.

Mal sehen, wie die Behörden entscheiden werden. Rechtliche Schritte unsererseits nicht ausgeschlossen.

Bauphase der Grenzzollanlage, vermutlich 1999

 

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