Natur im Osterzgebirge

Wiesenwildwuchs im Förderdschungel

Die Experten waren sich weitgehend einig: die meisten Bielatalbiotopwiesen müssten eigentlich mal eher gemäht werden als immer erst im Juli beim Heulager. So die Quintessenz damals beim „Bielatalplanungswochenende“ im Mai 2020 (eine halbillegale Biologenzusammenrottung während der Coronazeit). Das Frühjahr beginnt im Klimawandel meistens immer früher, dann startet der erste Wiesenaufwuchs durch, doch nach der hochsommerlichen Mahd lassen ausbleibende Niederschläge sowie extreme Verdunstung kaum noch einen zweiten Aufwuchs zu. Durch alljährlich (zu) späte Mahd werden die konkurrenzstarken Obergräser gefördert, die lichtbedürftigen Bergwiesenkräuter haben längerfristig das Nachsehen.

Doch was aus Biologensicht so logisch erscheint, stößt in der Biotoppflegepraxis an Grenzen. Praktischer Naturschutz beruht bei der Grünen Liga Osterzgebirge weitestgehend auf dem ehrenamtlichen Engagement von Naturfreunden. Wiesenmahd passiert beim Heulager, und dieses findet in den Sommerferien statt. Also in der Regel im Juli. 2021 hatten wir tatsächlich mal versucht, einen Teil des Flächennaturdenkmals „Wiesen an der Kleinen Biela“ bereits im Juni zu mähen – der Versuch endete in einem unerwartet heftigen Gewitterregen und schließlich auf dem Kompost. Es hatten die Heulagerer gefehlt, die das fast trockene Heu hätten retten können in einer konzertierten Planen-Aktion.

Theoretisch wäre dieses Jahr im Juni das Potential vorhanden gewesen, auf einigen Teilflächen der Bielatalbiotope früher zu mähen. Die Grüne Liga Osterzgebirge bekam für ihre praktische Naturschutzarbeit phantastische Unterstützung, unter anderem von Dresdner Landschaftsarchitekturstudenten, Mitgliedern des Leipziger ADFC, Mitarbeitern eines Dresdner Planungsbüros sowie der Kesselsdorfer Firma Yellowfox. Außerdem waren angehende Landschaftspfleger des Berufsbildungswerks zur Ausbildung hier, und nicht zuletzt verschiedene Schülergruppen.

Aber ach! Was ökologisch sinnvoll und praktisch machbar ist, scheitert allzuoft auch an allzu starren Fördervorschriften. Seit der Freistaat Sachsen einst die Biotoppflegeförderung bei der EU-Agrarförderung untergeackert hatte, wird es von Förderperiode zu Förderperiode immer komplizierter, für wirklich naturschutzgerechte Wiesenpflege an die unverzichtbaren Euros zu kommen. Das ganze Prozedere ist inzwischen so unbeschreiblich komplex, dass sich damit nur noch hochspezialisierte, computeraffine und vor allem frusttolerante Naturschützer abmühen (ich selbst gehöre da schon lange nicht mehr dazu). Allein die vom Umweltministerium herausgegebene Broschüre „Antragstellung 2023 – Hinweise zum Antragsverfahren“ umfasst  120 Seiten!

Stark verkürzt dargestellt, läuft das so: über ein spezielles Computerprogramm bekommen die potentiellen Förderantragsteller – also auch kleine Naturschutzvereine – angezeigt, für welche Wiesen sie welche Fördermöglichkeiten beantragen könn(t)en. Zugrunde liegen diverse Datenbanken aus Biotopkartierungen, Erschwernis-Vorabeinstufungen und FFH-Managementplänen. Die hochspezialisierten, computeraffinen und frusttoleranten Naturschützer versuchen dann, jeweils das Förderangebot rauszufischen, das am ehesten zu den biologischen Notwendigkeiten und praktischen Möglichkeiten passt (bzw. diesen am wenigsten entgegensteht).

Weil alles immer komplizierter werden muss (Naturgesetz einer hochentwickelten Bürokratie!), gab es zu der diesjährigen Förderrunde schon im Winter ein zusätzliches Vorantragsverfahren. Da musste bereits angegeben werden, welche Förderangebote in Anspruch genommen werden wollen. Und nur die gingen dann auch bei der „richtigen“ Antragstellung am Computer auszuwählen. Doch simsalabim, bei einigen der Grüne-Liga-Flächen gab es die vorab ausgewählten Angebote bei der richtigen Antragstellung nicht mehr im Programm. Ergo: dieses Jahr kein Geld für Müllerwiese Bielatal und zwei weitere Flächen.

Ähnlich fragwürdig  ist aber, dass auch für die Biotoppflegeflächen jetzt Terminvorgaben für den frühestmöglichen Schnitt festgelegt sind. Vermutlich wurde dazu zwischen die Datenbanken und das Antragsprogramm noch ein Zufallsgenerator geschaltet. Eine Logik ist hinter den Terminvorgaben nicht erkennbar. So dürfen einige der Glashütter Südhangwiesen erst ab Juli gemäht werden (eigentlich zu spät), während z.B. die Wiese an der Angermannmühle Hirschsprung (250 Meter höher gelegen, spätfrostig, schattig und feucht) bereits ab 1. Juni freigegeben ist.

Und auch die meisten Bielatalbiotope haben den 1. Juli als frühestmöglichen Mahd-Termin vom Kollegen Computerprogramm verpasst bekommen. Nix von wegen früher mähen! Die Grüne Liga Osterzgebirge hat daraufhin bei der Unteren Naturschutzbehörde Ausnahmegenehmigungen beantragt, mit der Mahd schon im Juni beginnen zu dürfen. Bis jetzt – kurz vor Julibeginn – gibt es keine Behördenentscheidung dazu.

Dabei ist das Gras in diesem Frühjahr, nach den überdurchschnittlichen Niederschlägen, in die Höhe geschossen wie lange nicht. Unter den teilweise bereits umgekippten Matten der verblühenden Obergräser werden die Bergwiesenkräuter erdrückt.

Zum Glück beginnt bald das Heulager. Heula-Helfer willkommen – auf euch wartet eine Menge Arbeit!

Jens Weber

 

„… und immer wieder wächst das Gras, wild und hoch und grün, bis die Sensen ohne Hast, ihre Bahnen ziehn …“

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