Sie kommen ganz schön an die Grenzen, die jungen Leute mit ihren Sensen – an ihre eigenen, körperlichen, sowie an die zwischen Tschechien und Sachsen, hier beim kleinen Weiler Müglitz. Unter prallem Sonnenschein öffnen sie wieder Lebensräume für Feuer-Lilien, Busch-Nelken und andere heute seltene Pflanzen, die auf dem schmalen Wiesenstreifen ganz am Rande des ehemaligen Dorfes Böhmisch-Müglitz (tschechisch: Mohelnice) noch vorkommen.
Es ist viele, viele Jahrzehnte her, als diese Wiese zum letzten Mal Sensen gesehen hat: vermutlich 1945, bevor infolge des Weltkriegs die deutschböhmischen Bewohner des Erzgebirgskamms vertrieben wurden. Viele Dörfer verschwanden danach von den Landkarten und aus der Landschaft. So auch Mohelnice. Landwirtschaftliche Nutzung auf den peripheren Grenzwiesen geschah nur noch sporadisch – und spätestens seit 1990 gar nicht mehr mehr.
Für die biologische Vielfalt der Region wirkte sich das zunächst durchaus positiv aus. Auf der deutschen Seite machte die „sozialistische Intensivierung der Landwirtschaft“ auch vor den Grenzertragsböden hier oben nicht Halt, und auch heute noch werden selbst die meisten Naturschutzgebietsflächen mit schweren Agrarmaschinen großflächig gemäht. Anders ist dies von Landwirtschaftbetrieben unter den heutigen ökonomischen Bedingungen auch kaum denkbar. Die brachliegenden Wiesen jenseits der Grenze (die jedoch auch hier immer weniger werden, „dank“ EU-Agrarförderung) bieten somit Refugien für Pflanzen, die empfindlich auf Bodenverdichtung reagieren, und Tiere, denen die rasanten Geschwindigkeiten heutiger Mahdtechnik keine Fluchtmöglichkeiten lassen. Einerseits.
Andererseits drohen diese letzten böhmischen Wiesenrefugien inzwischen ebenfalls verloren zu gehen – durch natürliche Sukzession. Wenige, konkurrenzstarke Pflanzenarten wie die Zittergras-Segge bilden dichte Teppiche, die die einst typischen Gräser und Kräuter überwuchern. Him- und Brombeeren und andere Sträucher wuchern von den Rändern her über die Flächen. Und schließlich ergreifen, ganz ungefragt, Bäume Besitz von den einstmals menschengemachten Wiesenflächen. Die heute seltenen Bergwiesenarten verlieren damit einige ihrer letzten Offenland-Inseln.
Bis irgendwann doch mal wieder Menschen dieser artenverdrängenden Entwicklung Einhalt zu gebieten versuchen und mähen. So wie dies die Naturschützer der Grünen Liga Osterzgebirge und ihrer tschechischen Freunde bereits seit einigen Jahren im Rahmen des HeuHoj-Camps auf den Schwarzen Wiesen tun. Dort, im tschechischen Naturschutzgebiet Černá louka, ist es gelungen, durch behutsame Mahd die Bestände von Busch-Nelke, Feuer-Lilie und Arnika zu stabilisieren.
Nach einem ersten, kleineren Testlauf im vergangenen Jahr findet jetzt noch eine neue, zusätzliche Aktion statt: das Sensencamp Mohelnice. Organisiert wird es von jungen tschechischen und deutschen Naturfreunden, unterstützt wiederum von der Grünen Liga Osterzgebirge. Ein dutzend Helfer haben derzeit, vom 16. bis 21. August, hier ihre Zelte aufgebaut, arbeiten und essen gemeinsam, diskutieren auf Deutsch, Tschechisch, Englisch. Ein sehr harmonisches Miteinander, bei herrlichem Sommerwetter.
Wobei dieses Sommerwetter die Wiesenmahd alles andere als zum entspannten Vergnügen macht. Anders als bei vielen anderen Naturschutzeinsätzen, wo Freischneider und Motormäher für Lärm und Gestank – sowie unzähligen Opfern unter der Kleintierwelt – sorgen, kommen hier beim Camp Mohelnice ausschließlich traditionelle Handsensen zum Einsatz. So, wie vermutlich zum letzten Mal vor 77 Jahren. Nur dass die damaligen Wiesenbauern sicher nicht mit dem verdorrten Grasfilz vieler Jahrzehnte zu kämpfen hatten – und viel mehr Übung im Umgang mit Sensen besaßen. Jetzt lässt die Sommersonne hier reichlich Schweiß fließen und Blasen anschwellen. Und dennoch: die Arbeit macht den überwiegend jungen Leuten sichtlich Freude.
Freude an dieser Aktion hätte sicherlich auch Helmut Ballmann. Der ehemalige Abteilungsleiter beim Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie war selbst aktiver Naturschützer und gerade auch mit der Bergwiesenlandschaft des Ost-Erzgebirges eng verbunden. Vor seinem Tod 2020 verfügte er, dass seine Verwandten, Freunde und Kollegen auf Grabgeschenke verzichten und stattdessen für Bergwiesenpflegeprojekte der Grünen Liga Osterzgebirge spenden sollten.
Da ist eine ganze Menge Finanzielles zusammengekommen – allen Spendern an dieser Stelle nochmal ein herzliches Dankeschön! Der Umweltverein hatte dann beschlossen, dieses Geld für die Erhaltung dieses lange brachliegenden Wiesenstreifens hinter der Grenze beim
Weiler Müglitz zu verwenden. Und zwar nicht nur für dieses, sondern auch die kommenden Jahre, wenn im Rahmen des Sensencamps Mohelnice jeweils ein weiteres Stück der Fläche gemäht werden soll.
Wobei sich die jährlichen Kosten, im Vergleich zu „professionellem“ Naturschutz, durchaus in Grenzen halten. Natürlich geschehen auch bei diesem Naturschutzeinsatz alle Sensen- und sonstigen Arbeiten unbezahlt, rein freiwillig-ehrenamtlich. Mit Mindestlohn wären die Mühen, die die früheren Wiesennutzer auf sich genommen haben, heute nicht mehr zu bezahlen. Das ist heute was für Leute, denen die biologische Vielfalt des Ost-Erzgebirges besonders am Herzen liegt. Gemeinsam für die Natur und in der Natur Nützliches tun, das kann hier in dieser wunderschönen Landschaft bei Müglitz besonders viel Spaß machen. Auch und gerade, wenn es die Grenze(n) geht.