Wahrscheinlich habe ich einfach nur Glück gehabt, als ich vor Jahrzehnten auf einem kleinen Hügel „Unland“ neben dem Wiesengrundbächlein Wurzeln schlagen konnte. Lange Zeit konnte ich da ganz allein aufwachsen, ohne die Konkurrenz, denen sich meine Artgenossen an den „richtigen“ Bächen aussetzen. Also konnte ich mir auch die Mühe sparen, mich allzusehr in die Höhe recken zu müssen, um genügend Licht zu bekommen. Sowas lässt einen nur viel zu früh an Stabilität verlieren! Stattdessen konnte ich die schönste Erlenkrone weit und breit ausbilden. Schon seit 30 Jahren kommt der Naturfreund, der jetzt mein „Baumdenkmalpate“ ist, regelmäßig zum Fotografieren vorbei.
Das Bächlein wurde irgendwann leider verrohrt, nur direkt neben mir darf noch das Wasser ein paar Meter oberflächlich fließen. Immerhin machen die großen Mähmaschinen auf der Grünlandfläche ringsum einen ausreichend großen Bogen um meinen Kronentrauf und das darunterliegende Wurzelwerk. Ob die hiesigen Traktorfahrer die Ästhetik eines alten Baumes zu schätzen wissen?
2014 wurde mir der offizielle Schutzstatus eines „Naturdenkmals“ zuerkannt. Jetzt, zehn Jahre später, habe ich sogar ein großes gelbes Eulenschild bekommen – die Schönheitsmedaille sozusagen. Bisher wusste ja kaum jemand, dass ich ein besonders geschütztes Exemplar bin. Irgendjemand hat vor paar Jahren sogar alte Plastik-Meliorationsrohre auf meinen Füßen abgekippt. Langsam wachsen diese jetzt ein.
Und irgendwie macht sich unter meinen tief ausladenden Ästen nun doch langsam Konkurrenz breit. Eine Kirsche schiebt sich mir immer weiter ins Geäst, mehrere junge Kirschen drängen bald nach. Da das meliorierte Bächlein in den sich häufenden Trockenjahren immer wieder austrocknet, kann ich mit meinem Wasserbedarf hier leider nicht so viel Konkurrenzkraft wie nötig entwickeln.
Aber kein Grund zu klagen! Viele, viele meiner Artgenossen an den stehenden und langsam fließenden Gewässern im Flachland leiden an einer Phytophthora-Seuche. Davon sind wir, die Erzgebirgserlen, noch weitgehend verschont.
Wir werden zwar bei weitem nicht so alt wie Linden oder Eichen, und nicht so hoch wie Tannen oder Fichten, aber auch wir sind wichtige Gehölze in der Natur des Ost-Erzgebirges. Manche sehen außerdem richtig schön aus. Und ich bin eine der schönsten …
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