Natur im Osterzgebirge

Seltsames Nachthimmelleuchten über dem Osterzgebirgskamm

Dr. Volker Beer

Seit dem 4. Januar lassen sich über dem Erzgebirgskamm mitunter kräftig rotorange leuchtende, stark flackernde Nachtwolken beobachten. Heller und intensiver als das ruhige, blasse gelbliche Licht, das die Beleuchtung der Großstädte am bedeckten Nachthimmel verursacht. Eine Peilung mit dem Kompass auf die leuchtenden Wolken ergab, dass diese über dem Gebiet Most – Litvinov – Bilina liegen. Alles große tschechische Industriestädte. Doch deren normale nächtliche Beleuchtung reicht nicht aus, solch intensive Farbe an den bewölkten Nachthimmel zu zaubern. Dieser Sache wollte ich auf den Grund gehen, oder besser von oben ins Nordböhmische Becken hineinschauen. Günstige Aussichtswarte ist die Loučná (Wieselstein), an deren Fuß sich die genannte Industrieregion erstreckt. So stieg ich am 7. Januar aufs Fahrrad und radelte via Flayetalsperre zur Loučná und kraxelte auf den Felsgipfel. Von da öffnete sich der Blick auf Záluží und die dortigen großen Industrieanlagen.

Und tatsächlich, da flackerte auch eine Gasfackel. Flammfarbe typisch für das Abfackeln von Aliphaten (Kohlenwasserstoffe, wie beispielsweise Oktan, das im Benzin enthalten ist) mit kleinem Aromatenanteil (ringförmige Kohlenwasserstoffe wie beispielsweise Benzen), eine klassische Fackel von Erdölraffinerien. Aber nicht genug damit. Nur mit Mühe durchdrang das mitgebrachte Teleobjektiv den böhmischen Industrienebel. Glücklicherweise halfen einige Windstöße nach. Diese wehten ein paar „Duftwolken“ zu mir auf den Gipfel. Sofort reckte ich die Nase in den Wind und versuchte per „Nasengaschromatograph“ den irren Duft nach Chemie zu identifizieren. Da war zuerst das unverkennbare Duftbouquet von mehr oder weniger gut verbrannter schwefelhaltiger Salzkohle, also der typische Braunkohle-Rauchgasgeruch mit Schwefeldioxidaroma, verbunden mit einem Duftbouquet von BTX – Aromaten, substituierten polyzyklischen Aromaten, schlecht verbrannten Aliphaten abgemischt mit dem Duftbouquet der Peptidchemie, so nach Pyridin mit einem Hauch von Ethylmercaptan und Katzendreckbouquet in der Art wie wenn man ein Gemisch von Aminosäuren (chemische Stoffklasse organischer Verbindungen) mit Hypochlorsäure im Reagenzglas bis zum „Geht nicht mehr“ quält, also über der Bunsenbrennerflamme köchelt bis alle aus dem Chemiepraktikumssaal geflohen sind. Kurz und gut – eine geruchliche Erinnerung an meine Chemielehrjahre in der chemischen Großindustrie der DDR. Die Gerüche waren gut wahrnehmbar aber bei weitem nicht vergleichbar mit der Intensität wie vor der Wende. Ich bin mir sicher, in den zurückliegenden Nächten brannte nicht nur diese eine mickrige Fackel :-). Einen ähnlich guten Blick auf die Industrieregion als auch vergleichbare Dufteindrücke erhält man auch vom Aussichtsturm Vlčí hora und dem kleinen idyllischen Bergdorf Dlouhá Louka, beide in der Nähe der Loučná gelegen.

Eine anschließend durchgeführte Recherche zum Industriestandort um Litvinov ergab: Záluží, ein Ortsteil von Litvinov, liegt sechs Kilometer nordwestlich von Most. Das vormalige Dorf musste um 1975 der Braunkohle und den neuen Chemieanlagen weichen. An seiner Stelle ragen jetzt die Schlote der Produktionsanlagen der Unternehmen Unipetrol RPA, s.r.o. und Česká rafinérská in den Himmel. Doch das sind „nur“ die beiden größten und bekanntesten Produzenten. Am Rande des Ohře-Grabens im Bereich um Most, Litvinov und Bilina wimmelt es nur so von Braunkohletagebauen, Kraftwerken und Standorten der Chemischen Industrie. Hier ein Verzeichnis der Firmen und ihrer Produkte in tschechischer Sprache: https://www.idatabaze.cz/katalog/chemie/litvinov:most/ und hier der Link zu einer dreisprachigen (Tschechisch, Englisch, Deutsch) Firmenpräsentation von Unipetrol der Orlen-Group, zu der die beiden großen petrolchemischen Werken am Fuße der Loučnáa gelegenen und vermutlich auch Betreiber der beobachteten Abgasfackel, gehören: https://www.orlenunipetrol.de/de/uber-uns/Documents/profil_spolecnosti_11_2011.pdf.

Mm Naturführer Ost-Erzgebirge kann dazu auch nachgeschlagen werden: https://www.osterzgebirge.org/gebiete/litvinov.html

Beigefügt einige Bilder des Nachthimmelleuchtens und von der Radexkursion.

 

PS 24.1.2023: Hier die Antwort der zuständigen LfULG-Abteilung:
“Wir beziehen fortlaufend Meldungen vom Ökologischen Zentrum in Most (Ekologické centrum Most – ecmost.cz) zu ungewöhnlichen Ereignissen bzw. Störungen bei Unipetrol. Für den 4. Januar erhielten wir die Meldung „Verbrennung der Kohlenwasserstoffe auf dem Feldbrenner B 201 in der Produktion POX“. Dabei handelte es sich möglicherweise um die beobachtete Flamme. Die Anlagen unterliegen prinzipiell der Überwachung der tschechischen Umweltbehörden. Von diesen erhielten wir keine Meldung zu Auffälligkeiten.

Die Messung der gesetzlich geregelten Luftschadstoffe ergab für den besagten Tag an unseren Messstationen im Erzgebirge (Schwartenberg, Fichtelberg, Zinnwald, Klingenthal) keine auffällig
erhöhten Konzentrationen. Allerdings wehte der Wind auch überwiegend nicht aus Südost.

Generell ist die Anzahl der Beschwerden zu Geruchsbelastungen im Erzgebirge rückläufig. Wenn mehr als fünf Beschwerden pro Tag auftreten, melden wir dies nach Tschechien. Im Jahr 2022 gab es keinen einzigen Tag mit mehr als vier Beschwerden.

Wie Sie bereits anmerkten, haben wir in der Vergangenheit eine Reihe von Sondermessungen bzw. Projekten durchgeführt. Problematisch ist, dass die Nachweisgrenze der Messtechnik bei
manchen Stoffen von der Geruchsschwelle abweicht und die Emissionen in der Luft immer einer Veränderung ausgesetzt sind. Dazu kommt die Meteorologie und die Orografie im Erzgebirge.
Deshalb ist die Problematik des Geruchs im Erzgebirge einfach schwierig.

Gern können Sie uns zu Ihren Beobachtungen auf dem Laufenden halten. Falls es allgemein Beschwerden zum Geruch im Erzgebirge gibt, sollte unser Formular genutzt werden: Geruchsereignis melden – Luft – sachsen.de.”
LfULG, Referat Luftqualität, am 18. und 19. Januar 2023 per e-mail

Bitte folge und unterstütze uns: