Im Mai und September 2022 fanden jeweils einwöchige Exkursionen in Mähren/Slowakei sowie Ost-Erzgebirge und Nordböhmen statt. Volker Beer hat einige der wunderbaren Erlebnisse auf Film gebannt und diesen auf seinem youtube-Kanal zur Verfügung gestellt:
„Mittel-Osteuropäische Kulturlandschaften im Klimawandel – Biodiversität erhalten“
Naturschutzpraxis passiert vor allem regional-lokal, das gilt wie eh und je.
Global hingegen sind zunehmend die Herausforderungen, denen sich heute die Naturschutzpraxis gegenüber sieht. Angesichts von Uniformierung, Zersiedelung, Eutrophierung fast aller mitteleuropäischer Landschaften, und dann noch der Klimawandelauswirkungen, kommen traditionelle Strategien und Maßnahmen des Naturschutzes immer öfter an ihre Grenzen. Auch aus diesen Gründen ist es wichtiger denn je, den Horizont zu weiten und den Austausch mit Leuten außerhalb des eigenen Biotops zu suchen.
Mitglieder der Grünen Liga Osterzgebirge verbinden langjährige Kooperationen mit tschechischen und slowakischen Partnern. Gemeinsam mit dem – leider nicht mehr existierenden – Teplitzer Umweltverein Št’ovík entstand Mitte der Nuller-Jahre das zweisprachige Naturlernspiel „Ulli Uhu“, anschließend (2006-2014) der vierbändige „Naturführer Ost-Erzgebirge“ und mehrere grenzüberschreitende Kleinprojekte. Noch immer bemüht sich die Grüne Liga, das Ost-Erzgebirge in seinen naturräumlichen Grenzen zu verstehen, also auch den tschechischen Teil. (Zum Beispiel bei der naturkundlichen Skitour am 22. Januar 23 zum Wieselstein /zur Loučná, mit 956 m üNN der höchste Berg des Ost-Erzgebirges!). Zehn Jahre lang gab es alljährlich im Frühjahr die grenzüberschreitende Drei-Tage-Wanderung – bedauerlicherweise mangels Nachfrage schon vor Corona wieder eingestellt.
Wichtig ist uns ebenfalls seit langem der Austausch von Wissen und Erfahrungen mit slowakischen Freunden an der Comenius-Universität Bratislava. Ein Teil der Plätze beim Schellerhauer Naturschutzpraktikum ist immer Studentinnen und Studenten aus der Slowakei vorbehalten. Unvergessen auch die fulminante Exkursion, bei uns im Jahr 2010 einige der herausragenden Landschaften zwischen Karpaten und Donautiefebene zum Staunen brachten.
Vor allem aber sind es die gemeinsamen praktischen Naturschutzeinsätze, die die Kontakte über Ländergrenzen und Sprachbarrieren hinweg voranbringen: das alljährliche Wochenende am Lipská hora im Böhmischen Mittelgebirge (seit 2009, gemeinsam mit Helfern der tschechischen Umweltorganisation Arnika), das deutsch-tschechische HeuHoj-Camp in Telnice, auf den Schwarzen Wiesen und im Bielatal (seit 2014), und seit letztem Jahr das Sensencamp Mohelnice an der Grenze bei Müglitz.
Es ließen sich noch viel mehr gemeinsame Aktionen und Projekte aufführen. Doch die panidemischen Anti-Corona-Maßnahmen in allen Ländern, bis hin zu monatelangen Grenzschließungen, bremsten auch die Kooperationen der Grünen Liga Osterzgebirge mit ihren tschechischen und slowakischen Partnern aus. Aber: wo viel Schatten ist, gibt es am Ende oft auch erfreuliche Lichtblicke. Zum Beispiel in Form von unerwartet sprudelnden Nach-Corona-Förderquellen.
Ein solcher Finanztopf, von dem wir zuvor noch nie was gehört hatten, heißt „Culture of Solidarity Fund“ der „European Cultural Foundation“ mit Sitz in Holland. Eine (mexikanische) Teilnehmerin des Schellerhauer Naturschutzpraktikums wies uns im Sommer 2021 auf diese Möglichkeit hin. Diese europäische Stiftung hatte speziell für ostdeutsche Bewerber mit Partnern im europäischen Ausland einen Förderaufruf gestartet, mit dem wunderbar schwammigen Titel: „Europäische Transformationsregionen für eine gemeinschaftliche Kultur der Solidarität in post-pandemischen Krisenzeiten“. Für uns klang das ganz klar nach: „slowakisch-deutsch-tschechische Naturschutzexkursionen“. Ein innerhalb weniger Wochen mit heißer Nadel gestrickter Antrag von Grüner Liga Osterzgebirge, Umweltinstitut der Comenius-Universität Bratislava, der tschechischen Organisation Arnika und des Umweltzentrums Sever in Litoměřice bekam auch prompt den Zuschlag.
Und so konnten wir in diesem Jahr zwei wunderbare Begegnungs-Busreisen mit deutschen, tschechischen und slowakischen Naturschützern organisieren. Für die Beteiligten werden die jeweils einwöchigen Workshop-Exkursionen mit Sicherheit lange in Erinnerung bleiben:
Frühlingsexkursion 21.-29. Mai 2022:
– Weiße Karpaten auf mährischer (Bílé Karpaty) und slowakischer Seite (Biele Karpaty) samt Myjava-Hügelland: Streuobst und alte Obstsorten, Speierling, artenreichste Wiesen, seltene Orchideen;
– Biosphärenreservat Pol’ana: einerseits noch beeindruckend traditionelle Kulturlandschaft mit kleinteiligen Terrassenstrukturen und artenreichen Wiesen; andererseits von Braunbären besiedelter Urwald;
– Nationalpark Malá Fatra im Spannungsfeld von Naturschutz, Schafhaltung, Tourismus und privatwirtschaftlichem Holzraubbau;
– Natura-2000- und Landschaftsschutzgebiet Poodří: naturbelassener Oder-Oberlauf inmitten überdüngter Auenlandschaft, Erhalt und Pflege von Kopfweidenbeständen für Juchtenkäfer (LIFE-Projekt).
Herbstexkursion 10.-17. September:
– Ost-Erzgebirge, östlicher Teil: Biotoppflegeprobleme Bergwiesen- und Steinrückenlandschaft; Waldumbau im Klimawandel; Erhaltung der Hochmoorreste; historische deutsch-böhmische Kulturlandschaft;
– Ost-Erzgebirge, westlicher Teil: Umweltbildung der Grünen Schule grenzenlos; Wasserrückhalt in der Landschaft am Beispiel Revierwasserlaufanstalt in Großhartmannsdorf und der Flaje-Talsperre;
– Braunkohleproblematik im Nordböhmischen Becken;
– Böhmisches Mittelgebirge: Wiederherstellung und Pflege wertvoller Wiesenbereiche, Artenschutzmaßnahmen für seltene Gehölze (z.B. endemische Mehlbeeren) und Tiere (Smaragdeidechse); eine der ältesten Wetterstationen (Milešovka); Umweltbildung von Sever;
– gemeinsamer Naturschutzeinsatz am Lipská hora
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an alle Referenten und Organisatoren, die zum Erfolg der Exkursionen beigetragen haben!
Während der beiden Wochen wurden alte Kontakte wiederbelebt – und viele neue geknüpft. Es ist zu hoffen, dass daraus auch neue bi- oder gar trinationale Projekte und Aktionen hervorgehen werden. Grenzen-übergreifenden Initiativen erfordern Leute, die die Initiative über die Grenzen hinweg ergreifen. Unerwartete Finanzierungsmöglichkeiten tun sich immer wieder mal auf, dann braucht man zum einen die richtigen Partner-Netzwerke, zum anderen möglichst ausgereifte Ideen in der Schublade. Drum lasst uns gemeinsam Projektideen reifen, die über den eigenen engen Biotophorizont hinaus reichen!