Sehr lesenswert: FloraLith-Broschüren „Bergbaubiotope“ und „Lesesteinwälle“
2021 ging das dreijährige Kooperationsprojekt der Uni-Botaniker aus Dresden und Ústí zu Ende, das sich unter dem Titel „Schutz und Erhalt von durch Bergbau und landwirtschaftliche Nutzung entstandenen Fels-, Gesteins- und Rohbodenbiotopen im Erzgebirge“ der Pflanzenwelt zweier ganz besonders typischen Lebensräume der Region widmete: Bergbauhalden und Steinrücken. herausgekommen sind, neben sicher allerhand botanischem Erkenntnisgewinn und der Vertiefung tschechisch-deutscher Zusammenarbeit, zwei sehr schöne Broschüren:
- „Bergbaubiotope im sächsisch-böhmischen Erzgebirge / Hornické biotopy na české a saské straně Krušných hor“
- „Lesesteinwälle im sächsisch-böhmischen Erzgebirge / Agrární valy a terasy na české a saské straně Krušných hor“
Voller wertvoller Informationen (darunter auch bisher kaum Bekanntes), sehr ansprechend gestaltet und zweisprachig (für unsere Grenzregion leider immer noch die große Ausnahme!) – die beiden Broschüren sind sicher die Bereicherung des Jahres 2021 im Bücherregal des osterzgebirgischen Naturfreundes. Für digitale Mitmenschen stehen die beiden Hefte auch als pdf zur Verfügung, nebst etlichen weiteren Projektinfos: https://tu-dresden.de/mn/biologie/botanik/botanik/forschung/okologie-und-naturschutz/floralith-gesteinsbiotope-im-erzgebirge
Nach einer eher (zu) knappen Darstellung der Entstehungsgeschichte der Bergbaubiotope (die über 800 Jahre ja doch sehr unterschiedliche Zeugnisse hinterließ) werden in der ersten Broschüre die wichtigsten Bergbaugebiete der Region und deren standörtliche sowie floristische Besonderheiten vorgestellt. Für das östliche Erzgebirge widmeten sich die Botaniker insbesondere:
– Bergbaugebiet Freiberg (Schwermetallhalden, Kalkspathalden)
– Montanlandschaft Altenberg – Zinnwald (Spülkippen Scharspitze und Bielatal, Halden in Zinnwald und am Neufang)
– Gebiet Niederpöbel – Sadisdorf (Sadisdorfer Pinge, Zinnklüfte, Uranbergbau)
– Krupka (Pinge und Halden am Mückenberg)
Es schließt sich ein Kapitel über „Besondere Pflanzenarten der Bergbaubiotope“ an, u.a. Flachbärlappe, Birn- und Wintergrün, Katzenpfötchen. Sehr kurz (eine Seite) kommt die Fauna weg, und schließlich werden Hinweise zu Schutz und Pflege der Bergbaubiotope gegeben.
Etwas anders aufgebaut ist die zweite Broschüre über die Lesesteinwälle. Hier wird detaillierter auf die Nutzungsgeschichte der Steinrücken sowie die daraus hervorgegangenen, ganz speziellen Pflanzengesellschaften und Ausbildungsformen eingegangen. Interessant erscheint dabei die Typisierung durch die tschechischen Kollegen:
– Typ I: Lesesteinwälle der höchsten Lagen des Erzgebirges (mit Ebereschen, Sal-Weiden, Heidekraut)
– Typ II: Lesesteinmauern in höheren Lagen des Erzgebirges (zu Trockenmauern aufgeschichtet)
– Typ III: Lesesteinwälle und steinige bis steinig-lehmige Stufenraine auf den erzgebirgischen Kammplateaus
– Typ IV: Lehmige bis steinig-lehmige Stufenraine mit sukzessionreifem Gehölzbewuchs (Ackerterrassen entlang der Höhenlinien, mit hohem/dichtem Gehölzbewuchs)
– Typ V: Übergangsform zwischen dem III. und IV. Typ (Steinrücken entlang der Falllinie, im oberen Teil als Typ III, unten als Typ IV ausgebildet)
Es lohnt sich bestimmt, auch die deutschen Steinrücken mal aus diesem Blickwinkel zu betrachten – und sich Gedanken über entsprechende Pflegekonzepte zu machen.
Steinrücken (wie auch Bergbauhalden) sind Zeugnisse historischer Landnutzungsformen, die heute durch Naturschutzmaßnahmen allenfalls partiell imitiert werden kann. Die Kapitel „Pflege und Entwicklung“ sowie „Planung und Pflege-Management“ widmen sich dem Dilemma, können aber leider auch kaum neue, praktikable Lösungsansätze bieten.
Im weiteren Teil Broschüre folgen Kurzporträts der Untersuchungsgebiete, im Ost-Erzgebirge vor allem: Mohelnice/ehem. Böhm. Müglitz, Krásný Les/ehem. Schönwald, Nakléřov/ehem. Nollendorf, Knínice/Kninitz, NSG Geisingberg, NSG Grenzwiesen Fürstenau-Fürstenwalde, um Glashütte, Oelsen und Umgebung.
Und schließlich auch für die Lesesteinwälle die detailliertere Vorstellung besonders biotoptypischer Pflanzenarten: Busch-Nelke, Purpur-Fetthenne, Feuer-Lilie, Wild-Apfel.
Das FloraLith-Projekt hat auf alle Fälle einen sehr wertvollen Beitrag geliefert für die grenzübergreifende (!) Dokumentation der enormen Bedeutung des „steinreichen“ Erzgebirges für die Biologische Vielfalt. Großes Dankeschön an die Beteiligten!
Der Naturschutzpraktiker würde sich jedoch in einem Nachfolgeprojekt (?) eine noch deutlich detailliertere Vertiefung wünschen: was muss wann und wo in welcher Intensität getan werden, um die Standorte der gefährdeten Arten sowie der historischen Lebensräume insgesamt zu erhalten? Wie kann das mit den begrenzten Kapazitäten des Naturschutzes dauerhaft gewährleistet werden? Und: was würde die Erhaltung der Biologischen Vielfalt auf diesen unverzichtbaren Lebensräumen des Welterbe-Gebiets „Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří“ kosten?
Die Sukzession einfach laufen lassen sollte in vielen Fällen sicher keine Option sein – die Zeugnisse der historischen Kulturlandschaft mitsamt der daran gebundenen Tier- und Pflanzenarten würden wegen Nicht-Nutzung verschwinden. Andererseits darf das, was wir seit zwanzig Jahren z.B. als „Steinrückenpflege“ betreiben, durchaus hinterfragt werden. Eine systematische wissenschaftliche Evaluation ist ziemlich dringend geboten um zu dokumentieren, welchen ökologischen Nutzen das massenhafte Absägen großer Bäume auf den Steinrücken des Ost-Erzgebirges gebracht hat. Nach Standardkostensätzen subventionierte Brennholzgewinnung allein wird die bunte Vielfalt der Gesteinsbiotope im Erzgebirge jedenfalls nicht auf Dauer erhalten können, so viel ist inzwischen klar.
(Jens Weber)
Weitere Infos zur Steinrückenpflege gibt es hier.