Kultur- und Naturlandschaften im Klimawandel, eine Exkursion durch die schönsten Naturräume Mährens und der Slowakei
Dr. Volker Beer
Dank unergründlich gut gefüllter europäischer Fördertöpfe und fleißiger, intensiver Antragsarbeit erhielt die Grüne Liga Osterzgebirge einen guten Schluck aus der Fördermittelpulle. Ein großer Dank an alle, dich sich nächtelang zeitraubender, mühevoller Antragsstellung widmeten und ihre Freizeit opferten.
Der Plan einer slowakisch – tschechisch – sächsischen Exkursion ist Wirklichkeit geworden. Gemeinsam mit Annegret, Pablo und Borges sitze ich im Reisezug nach Brno, wo die Exkursion beginnt. Am Busbahnhof treffen wir uns. Babylonisches Sprachgewirr. Jens und Britta, Jana und Cestmir, Wolfram, Martin, ja 13 Leute aus der Slowakei, 14 aus Tschechien und 15 aus Sachsen verladen ihr Gepäck im slowakischen Reisebus und wuseln in ebendiesen. Die Fahrt kann beginnen und schon im Nachmittag des Sonnabends (21. Mai) erreichen wir die mährische Seite der Weißen Karpaten. Eine weite, offene, hügelige Graslandschaft mit Obstbaumgruppen, deren Blätter im warmen Sommerwind leise flüstern, empfängt uns. Sanft wogt das Gras, ein blau – weißer Himmel spannt sich über die in der Sonne liegenden Obstgärten. Naturnahe, lichte Laubwälder mit Winter-Linde, Hainbuche, Esche, Flaum- und Traubeneiche, auf deren weit ausladenden Ästen es sich vorzüglich sitzen lässt, Streuobstwiesen, bestehend aus einer Vielzahl uralter, längst vom modernen Obstbau vergessener Sorten und weite bergblumenbunte Wiesen prägen das Landschaftsbild. Ein Höhepunkt ist der Adamcer Speierling (Sorbus domestica) mit einem Stammumfang von 4,60 m.
Die ersten Exkursionstage in den Weißen Karpaten vergehen wie im Fluge. Obstplantagen und Obstbaumschulen, die sich dem Erhalt uralter Obstbaumsorten widmen, besuchen wir genauso wie weite Wildblumenwiesen, wo Hummel-Ragwurz, Bienen-Ragwurz, Waldvöglein und Knabenkrautarten genauso zu Hause sind wie Gelber Lein, Gras-Schwertlilie und all die ungezählten Arten bunter Blütenvielfalt. Ein Perlmuttfalter krabbelt auf dem Arm und tupft das Salz von der Haut, Nachtpfauenauge lässt sich geduldig von allen Teilnehmern fotografieren. … Bevor wir am Dienstag (24. Mai) in die Slowakei weiterreisen, besuchen wir ein Gut, das sich der Saatgutgewinnung artenreicher Bergmagerwiesen verschrieben hat. Dominierende Grasart ist die zum Begang in voller Blüte stehende Aufrechte Trespe (Bromus erectus). Ach wie gut, niemand leidet an Heuschnupfen!
In den slowakischen Weißen Karpaten besuchen wir die Obstbaumschule „Moravske Lieskove“, die Genpool – Obstwiese „Stara Tura“, eine Obstmosterei, wo wir leckere Obstsäfte verkosten, sowie eine traditionelle Obsttrocknungsanlage, wo wir uns durch Dörrobst futtern dürfen.
Weiter geht die Fahrt ins Biosphärenreservat Polana, dem höchsten erloschenen, jungtertiären Vulkan der gesamten Karpaten. Eine Ergussdecke von saurem Andesit prägt die Geologie. So wandern wir durch schattigen Rotbuchen-Weißtannen-Fichtenbergmischwald mit einem beachtlichen Bergahornanteil an bizarren Felsformationen entlang, erreichen einen Aussichtspunkt. Weit schweift der Blick über in der Sonne schwelgende Waldlandschaft. Ein wildromantisches Picknick mit Lagerfeuer und Bratwurst wird zum krönenden Abschluss des Waldbeganges. Mondviolen blühen, ein Wasserfall donnert tosend zu Tal. Wälder wechseln mit Offenland, uralte extensive Kulturlandschaft, wo die Wanderschäferei zu Hause ist. Ebenso sind Bär, Wolf und Luchs hier heimisch. Eindringlich werden wir vor der Begegnung mit diesen gewarnt. Die Schäfer verfügen über Rudel der weltweit schärfsten Hütehunde, die autark die Herde bewachen und jedes noch so wilde Tier im Nu zur Strecke bringen. Als Wanderer soll man sich weit, weit abseits dieser Schafherden bewegen, denn einem Angriff der Hütehunde ist nichts gewachsen. Ganz gleich ob unvorsichtiger Tourist, wilder Bär oder russischer Panzer, alles wird von der Meute in der Luft in Stücke zerrissen und verschlungen.
Am Abend spielt die slowakische Folkloregruppe „Ludova hudba“ auf, dass die Geigen qualmen, die Herberge unter den wilden, feurigen Rhythmen erbebt, ein musikalischer Hurrikan nach dem anderen durch den Saal fegt, niemand hält es auf dem Stuhle.
Am Himmelfahrtstag (26. Mai) fahren wir zur Leistungsschau der slowakischen Jäger. Infostände, Essen aus der Gulaschkanone und eine ganze, weite Wiese voller Jagdtrophäen der Jägerschaft. Abwurfstangen reihenweise, dann die Trophäen soweit das Auge reicht: Zehnender, Zwölfender, Zwanzigender … August der Starke wäre neidisch geworden, Hirschknochen bis zum Horizont.
Im frühen Nachmittag unternehmen wir die ersehnte Bergwanderung zum 1458 m hohen Pol’anagipfel. Dichter, totholzreicher Bergurwald nimmt uns auf. Eine zerfetzte, hölzerne Brunneneinfassung wird dem Wüten eines Bären zugeschrieben. Ebendiese können uns hier zum tödlichen Sprung bereit hinter jedem der mächtigen Urwaldriesen auflauern. Mit lauten Gesprächen folgen wir dem Bergführer auf schmalem Steig. Wolkenfetzen jagen über düster – wildromantischer Landschaft. Umgestürzte, überwucherte Bäume, Beerengerank, Felsblöcke liegen verstreut. Ein ideales Bärengelände, die Heidelbeeren blühen. Auf einem Baumstubben liegen leere Patronenhülsen. Aussicht am Gipfel, leider Fehlanzeige. Wir stecken im Dämmerlicht europäischen Urwaldes, so dicht, dass man meinen könnte Hermann der Cherusker habe sich nicht im Jahre 9 nach Christi irgendwo in Niedersachsen, sondern genau hier vor ein paar Tagen mit den alten Römern rumgeprügelt. Wir wandern noch eine gute viertel Stunde weiter und nun öffnet sich ein Blick auf das weite Panorama. Wald, Wald, bis zum weiten Horizont Wald. Eines der größten geschlossenen Waldgebiete Europas prangt vor uns im schönsten Sonnenschein. Wolken gelben Blütenstaubes der Fichten ziehen drüber hin. Von Ferne grüßen die Berge der Niederen und Hohen Tatra.
Am Folgetag besuchen wir den Nationalpark Mala Fatra. Zunächst steigen wir einem romantischen Bachlauf folgend zum Šutovsky Wasserfall, der mit 38 m Höhe der höchste Wasserfall der Slowakei ist, auf. Gleißend funkelt die Gischt des sprühenden Wassers im Sonnenlicht. Auer- und Haselhuhn sind hier genauso wie Dreizehen- und Weißrückenspecht heimisch. Doch selbst mit starkem Fernglas zeigt sich nicht das kleinste Federchen. Im Nachmittag durchsteigen wir die enge, düstere aber wildromantische Felsenklamm „Dolne Diery“ und erreichen den Sattel „sedlo Vrchpodziar“. Da steht er auf der kleinen Lichtung. Ein Braunbär, groß und gewaltig. Vorsichtig, ganz vorsichtig den Fotoapprat betätigen … doch der Bär ist aus Holz. Nun steigen wir ab ins Touristenzentrum Stefanova, wo wir bereits vom Reisebus erwartet werden. Auch dieser Nationalpark kämpft mit den Problemen aller europäischen Nationalparke. Er wird von den Touristen regelrecht überflutet.
Schnell verfliegt die Zeit, die Exkursion geht dem Ende zu. Letzte Station ist eine wunderschöne Auenwanderung durch die Hartholzauen der noch jungen Oder bei Poodri unweit von Ostrava. Ein großer Dank allen Organisatoren und Beteiligten. Ich freue mich schon, wenn wir uns zur Herbstexkursion im September alle wiedersehen.