Natur im Osterzgebirge

Bericht aus Gambia – Von zu viel Sonne verblendet?

[Das Grüne Blätt’l und osterzgebirge.org berichten eigentlich vorrangig aus dem Osterzgebirge.
Um den Blick für die Welt zu öffnen und die Auswirkungen der Klima-Entwicklungen auch auf anderen Kontinenten darzustellen, haben wir uns entschlossen, einige Beiträge von “Auslands-Korrespondenten” zu veröffentlichen – heute aus Brasilien.]

 

Über klassische Touri-Hotelburgen, Voluntourismus, Öko-Lodges und was das Ganze aus Umwelt-Sicht bedeutet für das kleinste Land Kontinentalafrikas: Gambia

Ich bin Simon, 18 Jahre alt und habe in den vergangenen Jahren bei der Madagaskar AG am Altenberger Gymnasium mitgearbeitet und dort viel zum Thema tropischer Regenwald gelernt. Im Herbst 2022 bekam ich dann sogar die Möglichkeit selbst für drei Wochen ins tropische Madagaskar zu reisen. Das ist jetzt alles schon wieder über ein Jahr her und mittlerweile habe ich nicht nur mein Abi endlich in der Tasche, sondern auch die Tasche in der Hand und bin damit nach Gambia geflogen, um hier vom Oktober 2023 bis zum Juli 2024 ein Freiwilligenjahr über das entwicklungspolitische Programm „weltwärts“ zu verbringen. Ich lebe hier in der Küstenstadt Gunjur im Süden des Landes und arbeite nun nachdem ich die letzten Jahre ja noch selbst die Schulbank gedrückt habe auf der anderen Seite des Klassenraums als Lehrer für „Social and Environmental Studies“ an einer Upper Basic School in der neunten Klasse. Meine Entsendeorganisation VolNet („Volunteer Network“) aus Deutschland hat hier ein Grundstück, welches als Begegnungsstätte und Treffpunkt für junge Menschen in ihrer Freizeit dient, aber auch den Raum für größere Veranstaltungen, wie kleine Sportturniere oder Theaterprogramme bietet. Hier wohne ich und meine drei Mitfreiwilligen immer am Wochenende. Von Montag bis Freitag leben wir hingegen bei Gastfamilien und haben damit den unglaublichen Vorteil, wirklich tief in das Leben der gambischen Bevölkerung eintauchen zu können.

Mein Leben findet also den meisten Teil der Zeit nah am gambischen Standard statt. Umso geschockter war ich deshalb, als wir vor wenigen Wochen das erste Mal in die Senegambia-Region in Serekunda, dem größten Ballungsraum das Landes gefahren sind. Dort befindet sich das pulsierende touristische Herz des Landes. Urlaub in Gambia ist ein wachsendes Phänomen und ein riesiger wirtschaftlicher Faktor für das ansonsten industrieschwache Land, von dessen 2,1 Millionen Einwohner starken Bevölkerung eigentlich ganze 75% in der fast durchweg kleinbäuerlichen Landwirtschaft arbeiten.[Quelle: Hupe, Ilona: Gambia. Kleines Urlaubsparadies in Westafrika. Ilona Hupe Verlag. München, 2020.] Und trotzdem machen die urlaubenden Europäer und Amerikaner einen wichtigen Teil des Bruttoinlandsprodukts aus, da sie im großen Stil Devisen ins Land bringen. In den Straßen und Gassen rund um das renommierte Senegambia-Hotel, dass der Namensgeber für das Gebiet ist, wird dieses Geld eingenommen. In Pizzerien, Burger-Imbissen, Nachtclubs und asiatischen Nobelrestaurants wird zu fast schon europäischen Preisen (was hier sehr unüblich ist, normale Restaurantbesuche im Land kosten eher um die zwei bis drei Euro) der Konsumstil des Globalen Norden gefrönt. Während meiner gesamten Zeit in Gambia hatte ich eigentlich nie das Gefühl, dass das Wort so recht zur Beschreibung meiner Gefühle taugen würde, aber spätestens als ich in einem Pizza-Restaurant das aufgesetzte Lachen der gambischen Kellner zum ohrenbetäubenden Karaoke-Gesang („Take me home, country roads…“) eines älteren, wahrscheinlich europäischen Urlaubers sah, wusste ich, dass ich ihn nun bekommen hatte, meinen ersten Kulturschock. Mir wurde schlagartig klar, wie einfach es möglich ist in Gambia Urlaub zu machen, ohne wirklich in Gambia gewesen zu sein.

An und für sich möchte ich das ja auch erstmal niemandem verbieten. Es ist durchaus verständlich, wenn man einfach mal abschalten und für einige Tage Ruhe von allem haben will. Dann kann der Bürostuhl gerne auch mal gegen eine Liege am Strand (oder nach meinem Geschmack noch besser: Eine Hängematte) eingetauscht werden. Vor einer Sache kann man dann Wohl oder Übel allerdings nicht die Augen verschließen: Ein solcher Urlaub ist immer auch extrem umweltschädlich. Neben Energie und Wasser ist nur einer der vielen anfallenden anderen Punkte das Thema Müll: Denn auch wenn zum Beispiel die parkähnliche Gartenanlage des Senegambia-Hotels, wirklich wunderschön hergerichtet und gepflegt, ganz frei von Müll ist, während dieser außerhalb der für die Touristen gesäuberten Orte praktisch überall herumliegt, darf man nicht der geschaffenen Illusion unterliegen, dass es dort deshalb keine Abfälle gäbe. Es ist so, wie auch im globalen Vergleich: Die Müllmenge pro Kopf ist in Europa um einiges höher als in den Ländern Afrikas, durch eine gut funktionierende Entsorgungsinfrastruktur kann er eben nur um viel besser versteckt werde und folgt damit dem Prinzip „Aus den Augen – aus dem Sinn!“. Nur blicken auch dahinter seit einigen Jahren zunehmend mehr Urlauber. Das Bewusstsein für Umweltthemen und die damit einhergehende Verantwortung steigt. Die Angebote auf dem Tourismus-Markt wandeln sich dementsprechend.

Gehen wir nun auf der Karte von der Senegambia-Region ein ganzes Stück weiter nach Süden, circa 15 Kilometer vor die Grenze Gambias zum Senegal nach Gunjur, die Stadt, in der ich wohne. Hier etabliert sich mehr und mehr das, was sich viele Tourismus-Gebiete wünschen: Ein System aus „Eco-Lodges“ mit dem Anspruch, Urlaubern einen möglichst umweltverträglichen Aufenthalt zu ermöglichen, der auch noch einen viel direkteren Kontakt zu den Gambierinnen und Gambiern herstellt, als ihn der normale Hotel-Tourist je bekommen würde. Man lebt in relativ kleinen, aber trotzdem an europäischen Standards orientierten Hütten, hat meist Halbpension inklusive und kann dann entweder den lieben langen Tag an den entschleunigenden Sandstränden verbringen oder auf das Angebot an Freizeitaktivitäten zurückkommen, dass die meisten Lodges präsentieren. Neben den klassischen Birdwatching-Touren, für die Gambia international beliebt ist, Trommelworkshops oder Tagesausflüge weiter ins Landesinnere sieht man hier nun auch immer häufiger das Angebot „Volunteer Work“. Manche Agenturen vermarkten sogar ganze Pakete, in denen vom Hotel über die Volunteer-Stelle bis zum Surf-Kurs alles zusammen im Internet gebucht werden kann, damit man sich beim Ankommen im Land dann um nichts mehr kümmern muss. Die Stellen befinden sich meist im sozialen und Umwelt-Bereich. Um zwei Beispiele zu nennen: Helfen in der Schildkrötenaufzuchtstation und Kinderbetreuung im Krankenhaus. Beides klingt super schön und man will ja so gerne helfen und auch im Urlaub die Welt zumindest im Kleinen zu einem besseren Ort machen. Vielleicht ist es an dieser Stelle aber hilfreich, nochmal darüber nachzudenken, ob am Ende nicht doch der Strand mehr Sonnenschein zu bieten hat als diese Wunschvorstellung.

Jeder, der schonmal ein zweiwöchiges Praktikum gemacht hat weiß, dass man vor allem erstmal viel Arbeit der anderen Kollegen in Anspruch nimmt, bevor man wirklich eine Hilfe ist und wenn dieser Punkt dann endlich erreicht ist, ist das Praktikum auch schon wieder fast vorbei. Im Kurzzeit-Volunteering verhält es sich ähnlich. Hinzu kommt, dass man ja eine Agentur dafür bezahlt hat, dass man an diese Stelle vermittelt wird und die dann dafür sorgen will, dass sich ihre Kunden auch wohl fühlen. Das heißt, so wirkliche Drecksarbeiten, die vielleicht keinen Spaß machen, aber am Ende wirklich anderen ihren Job erleichtern würden, bekommt man wahrscheinlich sowieso nicht zugeteilt. Eine noch viel bedenkenswertere Dimension erhält das Ganze konkret im sozialen Bereich. Kinder benötigen in ihrer Betreuung konkrete Bezugspersonen, im Kontext von Krankenhäusern noch einmal ganz besonders. Wenn diese aller zwei Wochen wechseln, bedeutet das noch mehr Stress, als sie sowieso schon durch ihren Krankenhausaufenthalt haben. Die Volunteers verursachen damit also (wenn auch gute Absichten hinter ihrem Handeln stehen) sogar negative Auswirkungen.[Natürlich kann man auch die Art von Freiwilligendienst, die ich hier leiste, oder auch das Konzept „Au Pair“ unter diesem Aspekt kritisieren. Es ist aber immer noch etwas anderes, ob aller 10 Monate oder jede zweite/dritte Woche die Bezugsperson wechselt.] In Südostasien kann man sehen, was hier noch nicht angekommen ist, aber wie eine düstere Dystopie überm Horizont schwebt. Dort sind Fälle bekannt, in denen Kinder aus ihren Familien herausgekauft wurden, um dann in „Waisenhäusern“ die Rolle des mittellosen Kindes, das seine Eltern verloren hat zu spielen, damit sich westliche Freiwillige mit einem großen Herzen dann um dieses kümmern können (und dafür natürlich auch noch eine nicht kleine Stange Geld bezahlen) [Quelle: Gasser, Hans am 19. März 2018 in Süddeutsche Zeitung: Voluntourismus. „Einsätze in Waisenhäusern oder Kinderheimen sind ein großes Problem“. (online: https://www.sueddeutsche.de/reise/voluntourismus-einsaetze-in-waisenhaeusern-oder-kinderheimen-sind-ein-grosses-problem-1.3905360)]. Am Ende verdienen Mittelsmänner sich dort am Helfersyndrom des Globalen Nordens eine Goldene Nase und etablieren Schritt für Schritt fast schon mafiöse Strukturen. Und ganz so weit weg ist man davon hier in Gambia vielleicht doch gar nicht mehr.

„Mein Hund wurde vor einigen Monaten geklaut“ beschwerte sich Ousman, der Gärtner auf unserem Vereinsgrundstück und für zwei Tage pro Woche mein Chef vor einiger Zeit bei mir. „Ein Junge aus der Nachbarschaft hat ihn einfach geklaut und dann verkauft – an eine Touristen-Lodge“. Ein paar der Eco-Lodges hier in Gunjur haben als Teil ihres Konzepts, dass sie als Auffangstation für Straßenhunde fungieren, die dann für „nur“ wenige hundert Euro auch von Urlaubs-Gästen mitgenommen werden können. Wenn man zuhause erzählt, man habe den eigenen Hund in Gambia von der Straße gerettet und nun in bessere Verhältnisse geholt, dann mag das zwar schön klingen, aber mal davon abgesehen, dass es in den meisten Fällen wahrscheinlich nicht stimmt, ist damit auch niemandem wirklich geholfen (außer den Menschen, die mit diesem Hunde-Handel ein nettes Nebeneinkommen verdienen). Gerade, wenn man in Betracht zieht, dass auch unsere Tierheime in Deutschland ständig nach Abnehmern für Haustiere suchen, wirkt dieses Handeln geradezu grotesk. Auch hier gilt natürlich wieder: Ich möchte keinem Urlauber, der sich von den großen gambischen Hundeaugen überzeugen lässt, böse Absichten vorwerfen, aber ich unterstelle eine Naivität in diesem Handeln, die konkrete negative Auswirkungen verursacht.

Und da ich schon so schön am Kritisieren bin, noch ein Wort zu den Eco-Lodges und der Idee des ökologischen Tourismus als Ganzes: Betrachtet man diese Versuche, einen umweltfreundlichen Tourismus zu gestalten, so findet man zwar wirklich tolle Ideen zur Verringerung von Emissionen, Abfall und Ressourcenverschwendung, die auch langfristig flächendeckend umgesetzt werden müssen und für die diese Akteure damit eine Vorreiterrolle spielen, aber man darf eben auch nicht übersehen, dass ein riesiger Grundstock an Umweltschaden immer bleibt. Die Abgase des Flugzeuges werden nun einmal ausgestoßen, da kann man so viel Kompensationsleistungen zahlen wie man will. Und auch wenn man im Urlaub nachvollziehbarerweise einen bekannten Standard oder etwas darüber genießen möchte, werden dafür in jedem Fall Ressourcen verbraucht. Es gibt nun mal keinen umweltfreundlichen Urlaub, man kann nur versuchen ihn so wenig umweltschädlich wie möglich zu machen. Dieses etwas mehr an Ehrlichkeit zu uns selbst ist, was ich mir wünsche. Dasselbe gilt für den Voluntourismus, den ich genau als das bezeichnen möchte, was er ist: Eine moderne Art von Tourismus, bei der man zwar einen tieferen Einblick in Land und Leute bekommt als herkömmliche Tourismus-Arten, der aber eben auch noch lange nichts mit Freiwilligen-Arbeit zu tun haben muss.

Ist das nun also ein Apell, Eco-Lodges und kleine Arbeitseinsätze im Urlaub zu meiden? Keineswegs! Ich finde es gut, wenn sich Menschen Gedanken darum machen, wie sie mit ihrem Urlaub etwas zum Gemeinwohl beitragen können. Dafür braucht es nur eben manchmal noch etwas mehr, als nur die gängigen Tourismus-Angebote mit grünem Label anzuklicken. Vielleicht ist es ja auch hin und wieder okay einen Urlaub zu machen und sich dann eben bewusst zu sein: Das ist jetzt mal umweltschädlich. Denn wenn man denkt, dass man mit dem eigenen Urlaub strahlende Auswirkungen verursacht, muss man immer aufpassen, nicht geblendet zu werden.

Das war jetzt sehr viel Kritik am Verhalten von Touristen, aber wie steht es denn eigentlich um meinen Freiwilligendienst? Auch ich selbst stelle mir zur Wirkung und dem Sinn meiner Zeit in Gambia immer wieder viele Fragen. Diese Gedanken, sowie Berichte davon, was ich denn eigentlich überhaupt die ganze Zeit mache, kann man in meinem Newsletter lesen, den man über den folgenden QR-Code abonnieren kann oder indem man mir eine E-Mail an simkretz@gmx.de schickt.

Auch wenn mein Freiwilligendienst nicht durch Zahlungen an dubiose Voluntourismus-Agenturen finanziert wird, so fallen doch auch bei mir Unkosten an, die von VolNet zwar erstmal vorgeschossen werden, aber auch sie sind nur ein Verein, der sich auf Spendenbasis finanziert. Wenn Du also helfen möchtest, die durch mich entstandenen Unkosten abzudecken, kannst du hier gerne spenden;

Empfänger: VolNet e.V.
IBAN: DE03 4306 0967 1122 6873 00
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Weltwärts 2023/2024 Gambia Simon

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Simon Kretzschmar aus Gambia

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