Natur im Osterzgebirge

Bericht aus Madagaskar – Didi – Hoffnung von jungen Aktivisten – wenig Erwartung an den Staat

[Das Grüne Blätt’l und osterzgebirge.org berichten eigentlich vorrangig aus dem Osterzgebirge.
Um den Blick für die Welt zu öffnen und die Auswirkungen der Klima-Entwicklungen auch auf anderen Kontinenten darzustellen, haben wir uns entschlossen, einige Beiträge von „Auslands-Korrespondenten“ zu veröffentlichen – heute aus Madagaskar.]

 

Didi, ein guter Freund meiner Frau, sitzt unaufgeregt vor mir. Er ist 22 Jahre alt und von der Ostküste Madagaskars, Student der Wirtschaftswissenschaften im hektischen Antananarivo und dort kurz vor seinem Abschluss. Und er könnte weit weniger versöhnliche Töne anschlagen. Er hätte mürrischer und abweisender darauf reagieren können, als ich ihn hinsichtlich der Aussichten im Bereich Umweltschutz und der Umweltpolitik seines Landes befragt habe. Der Inselstaat gehört schließlich seit vielen Jahrzehnten nicht nur zu den ärmsten Ländern der Welt – was das Land als einziges der Top 5 ohne die Einwirkungen eines Bürgerkrieges geschafft hat –, sondern auch zu denen mit der höchsten Waldvernichtungsrate jährlich und seine Hauptstadt Antananarivo mit seinen filterlosen Auspuffrohren stark angerosteter Metallkuschen und kaum funktionierenden Müllabfuhr, zählt zu den am stärksten von Smog heimgesuchten Regierungssitzen weltweit.

Didi oder mit vollem Namen Judikaël Rabotoson ist seines Zeichens 2. Vorsitzender von Climates, einer ursprünglich aus Frankreich kommenden NGO, welche seit 2022 in Madagaskar als eingetragener Verein existiert, in dem sich engagierte junge Menschen aus der Hauptstadt dem Schutz der Umwelt und gegen den Wandel des Klimas verschrieben haben. Didi ist keine Greta Thunberg. Er tritt nicht in den lokalen oder internationalen Medien auf oder ist dort irgendwie bekannt, aber er ist jemand, der einfach da handelt, wo er kann, und versucht mit seinen Mitstreitern, Aufklärung zu leisten, wo es ihnen möglich ist. Normalerweise organisiert Climates aber eher kleinere Konferenzen und Meetings an Schulen und Universitäten für die madagassische Jugend und keine im nationalen Fernsehen ausgestrahlten Showdowns der Präsidentschaftskandidaten. Vor ein paar Monaten kam aber die in Madagaskar sehr aktive sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) aus Deutschland plötzlich auf Climates zu, um den Verein davon zu überzeugen zusammen mit Größen der Branche, wie Transparency International, bei TAFA mitzumachen. TAFA ist ein Programm, dass sich zum Ziel gesetzt hat, den Wählern vor Ort die 13 (!) Kandidaten der Präsidentschaftswahl des Landes mittels frei verfügbarer Videoformate programmatisch näher zu bringen. In verschiedenen Fragerunden werden deren Haltung bei Korruption-, Wirtschaft-, Sozial- und Umweltfragen beleuchtet und die Kandidaten müssen den ausgewählten Organisationen der Zivilgesellschaft Rede und Antwort stehen. Zumindest sobald die Kandidaten der Einladung folgen, denn die Politik in Madagaskar folgt anscheinend eigenen Gesetzen, und die Politiker sind unschwer als stark eigeninteressengesteuert auszumachen. Und beim Wahlkampf sieht es nicht viel anders aus. Gewählt wird so auch nicht unbedingt der Kandidat, der das bessere Wahlprogramm hat oder der eine zukunftsweisende Strategie für die globalen Probleme sein Eigen nennt, sondern meistens der Kandidat, der den meist bitterarmen Wählern mehr T-Shirts und eine bessere Wahlparty mit bekannten Gesichtern der Pop- und Rockwelt des Landes anbieten kann. Von den Tagesgeldern für Demonstranten und den Polizeiapparat wollen wir dabei gar nicht einmal reden! Die unverhoffte Chance an diesem Programm federführend mitzuwirken und somit Aufmerksamkeit für die Umweltproblematiken des Landes zu erregen, wollte sich Climates und Didi logischerweise nicht entgehen lassen.

Zur Vertiefung der jeweiligen Umweltpolitik der allesamt männlichen Kandidaten, von denen drei ehemalige Präsidenten des Landes sind – Marc Ravalomanana, dem 2009 unter dubiosen Umständen und Aufständen aus dem Amt geholfen und der durch den damals noch blutjungen Bürgermeister der Hauptstadt Andry Rajoelina innerhalb einer 4 Jahre währenden Übergangsregierung ersetzt wurde, ist dabei ebenso vertreten wie Rajoelina selbst und dessen ehemaliger Finanzminister Hery Rajaonarimampianina, der diesen 2013 abgelöst hat, bevor jener wiederum durch Rajoelina in seinem Amt abgelöst wurde(!) – wurde TAFA für Climates in drei Teile unterteilt. Zuerst wurden die rund 10 aktiven Mitglieder von Climates im Bereich Journalismus fortgebildet. Im zweiten Schritt sollten möglichst alle Kandidaten von den jungen Aktivisten über ihre Umweltpolitik befragt und noch einmal für die Gefahren des Klimawandels aufgeklärt werden und im dritten Schritt war vorgesehen, alle Kandidaten an einen – möglichst runden – Tisch zu bekommen, um sie die Vor- und Nachteile ihrer jeweiligen Umwelt- und Klimapolitik untereinander öffentlich auszudiskutieren zu lassen. Die Aufzeichnungen aus dem zweiten und dritten Teil wurden dann von Climates unter Mithilfe von einem Studio und weiterer Personen des Metiers professionell aufbereitet und dem madagassischen Publikum in Videoformaten zur Verfügung gestellt. Da der erste Wahlgang in Madagaskar für den 9. November 2023 vorgesehen war und 30 Tage vor diesem Datum üblicherweise regelrechte Propagandaschlachten mit Konfetti, Tuten und Blasen ausgetragen werden, wobei auch die eine oder andere öffentliche Ausschreitung durchaus auf der Tagesordnung stehen kann, einigten sich die FES und Climates darauf, die ersten zwei Etappen vor und die letzte Etappe kurz nach dem 10. Oktober 2023 stattfinden zu lassen. Dies würde den Wählern mehr Zeit verschaffen, sich noch einmal selbst mit den Argumenten und Strategien aller Kandidaten zu befassen bzw. nicht in die Zeit der Ausschreitungen fallen, die sich meist mit zunehmender Annäherung an das Wahldatum verstärken. Am Ende kam alles anders. Elf von dreizehn Kandidaten gaben weitläufig bekannt, die Wahl wegen vorteilhafter Einflussnahme auf den Polizei- und Verwaltungsapparat des Staates durch einen Kandidaten zu boykottieren. Somit hatten die Kandidaten auch beschlossen, an besagten Interviews und Talkrunden nicht teilzunehmen. Zwar bröckelte die Front der Wahlopposition von Tag zu Tag und mehrere der streikenden Kandidaten kamen still, heimlich und leise im Aufnahmestudio vorbei, um sich im Unwissen der anderen interviewen zu lassen, aber insgesamt gaben sich trotzdem drei Kandidaten nicht die Ehre, dass madagassische Volk über ihre Absichten als zukünftige Staatspräsidenten im Bereich Aufforstungsprogramme, Abgasnormen und Recyclingplänen des Landes im Rahmen der Interviewreihe aufzuklären.

Und die Ironie oder die Symptomatik der Geschichte liegt im Nachhinein dann wohl darin, dass gerade einer der drei Kandidaten, der zwar nicht das Wahlgeschehen, wohl aber das Interview boykottiert hat, am 1. Dezember offiziell zum Wahlsieger und somit zum neuen Präsidenten von Madagaskar erklärt wurde. Es ist der alte und neue Präsident des Landes, der Geschäftsmann und ehemalige Discjockey Andry Rajoelina. Fairerweise darf man wohl dazu sagen, dass er bzw. sein Berater eigentlich bereit war, von Climates interviewt zu werden, dies aber unter der technisch nicht zu erfüllenden Bedingung, dass das Interview an einen anderen Ort zu verlegen. Das einzige vernünftige Aufnahmestudio Antananarivos in der Nähe des Magro in Behoririka, der seinem Erzfeind Marc Ravalomanana gehörte und ein beliebtes Ziel oppositioneller Versammlungen ist, war dem Berater augenscheinlich ein zu heißes Pflaster. Doch zumindest war er beim abschließenden runden Tisch mit von der Partie. Sei’s aber drum! Was für uns hier mehr zählt ist wohl die Frage, was man von seiner Umweltpolitik in den nächsten 5 Jahren in Madagaskar erwarten kann. Welche Lehren könnte man aus seinen beiden Amtszeiten von 2009-2013 und von 2019-2023 hinsichtlich seiner Umweltpolitik ziehen? Die Antwort darauf müssen Didi und ich euch schuldig bleiben… Die symbolischen Wiederaufforstungen am zweiten Samstag im Februar oder am 1. Mai stehen zumindest dick in den Kalender der madagassischen Staatsvertreter und werden oft werbewirksam umgesetzt. Ambitionierte Ansagen vor der Weltpresse wie beim Weltklimagipfel 2022 Ägypten scheinen ebenso zu seinen Stärken zu zählen. Madagaskar solle, laut Rajoelina, zu einem Vorzeigestandort für blue carbon werden, sprich im großen Maßstabe dabei helfen, die Ausschüttungen von Kohlendoxid zu senken und dies mittels der Wiederanpflanzung von Mangroven und Seegraswiesen entlang der Küsten, die sogleich Brutstätten für Fische und andere Meerestiere sein würden und somit auch den Fischern der gebeutelten Küstenregionen und der Lokalwirtschaft zugutekämen. Doch wie der Präsident in Ägypten selber gesagt hat, komme es dabei vor allem auch auf die Finanzierung an, die in den meisten Fällen gar nicht bei den betroffenen Staaten ankäme. Dies mag sein – unfairerweise gehört Madagaskar aber zu den geringsten Umweltverschmutzern weltweit und muss dafür trotzdem die hohe Bürde verstärkter Klimakatastrophen, längerer Dürren im Süden und vermehrt zerstörerische Zyklone im Osten und Norden des Landes, tragen. Zugleich darf auch erwähnt werden, dass der internationalen Gebergemeinschaft schlicht das Vertrauen zu fehlen scheint und dies in zweierlei Hinsicht. Sowohl der Staat mit seiner faktisch institutionalisierten Korruption, als auch sein Präsident, unter dem in der Übergangsregierungszeit viel Raubschlag in den damals noch intakten Regenwäldern des Nordostens verübt wurde, dessen Beute, vor allem Rosenholz, dann illegal nach Singapur und wohl bis nach China gewinnbringend verkauft wurde, sind für die verschiedenen Fonds anscheinend keine Garanten dafür, dass das Geld wirklich dahin ankommt, wo es am Ende gebraucht wird. Das Gros der Aufgaben des Umweltschutzes in all seinen Facetten verbleibt dann also üblicherweise bei den großen ausländischen Kooperativen wie AFD, GIZ oder USAID und auch bei den vielen kleinen Privatinitiativen wie z.B. der NRO Jade in Tamatave oder dem Club Analasoa in Anjahambe. Wie soll man da nicht die Hoffnung verlieren, dass sich die Dinge zum Bessern ändern werden für die Madagassen und ihrer Umwelt.  Didi sagte dazu, dass es für ihn vor allem die vielen jungen Aktivisten sind und die langsam größere Einsicht bei den ausländischen Kooperativen, dass es weiter verstärkt partizipatorische und inklusive Programme braucht, um die Bevölkerung, die tagtäglich den Kampf gegen den Hunger kämpft, dahin zu bringen, sich stärker für Umweltbelange zu interessieren und dort ihre Zukunft und die ihrer Kinder zu sehen. Vom madagassischen Staat und seinen Würdenträger wird vermutlich abermals wenig zu erwarten sein in dieser Hinsicht.

Jan

 

Jan-Bodo Lessmann lebt, studiert und arbeitet seit 16 Jahren auf Madagaskar. Über die Freunde Madagaskars e.V. aus Pirna steht er in Verbindung mit der NRO Jade, einem lokalen Verein für junge Menschen aus Tamatave, die sich Aufklärung und Starthilfe im Bereich der Armutsbekämpfung, die Verbreitung kostenloser Software und den Schutz der Umwelt auf die Fahne geschrieben haben.

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