Natur im Osterzgebirge

Regenwald-Radeln in der Neuen Welt

[Das Grüne Blätt’l und osterzgebirge.org berichten eigentlich vorrangig aus dem Osterzgebirge.
Um den Blick für die Welt zu öffnen und die Auswirkungen der Klima-Entwicklungen auch auf anderen Kontinenten darzustellen, haben wir uns entschlossen, einige Beiträge von “Auslands-Korrespondenten” zu veröffentlichen – heute aus Südamerika.]

 

Man stelle sich ein – materiell relativ armes – Land vor, wo 90 % der Bevölkerung unterhalb des Meeresspiegels leben (außer bei voller Ebbe), nur geschützt durch einen wenige Meter niedrigen Schüttdamm. Die Regierung dieses Landes wird sich international mit aller Kraft für Klimaschutz einsetzen.

Man stelle sich ein – materiell bisher relativ armes – Land vor, vor dessen Küste die ergiebigsten neuen Ölquellen des Jahrhunderts entdeckt werden. Die Regierung dieses Landes wird alle Kraft darauf verwenden, dieses Öl und die Petrodollars sprudeln zu lassen.

Dieses Land heißt: Guyana. Willkommen im Reich der absurden Widersprüche! 80 % sind noch mit dichtem Regenwald bestanden, gleichzeitig hinterlassen die gerade mal 800.000 Bewohner eine unfassbare Menge Müll in der Landschaft – oft mangels geordneter Entsorgungsmöglichkeiten, mehr noch aber mangels Problembewusstsein.

Seit Mitte Juli bin ich nun mit dem Fahrrad in Südamerika unterwegs. Bei der tropisch-schwülen Hitze kein einfaches, wegen der zumeist ausgesprochen freundlichen, offenen, interessierten Leute aber ein unbedingt lohnenswertes Abenteuer.

Start war in Suriname, einstmals: Niederländisch-Guiana. Der Empfang auf dem Flughafen hätte kaum einladender sein können: auf einem großen Banner wird man begrüßt mit “WELCOME TO THE MOST FORESTED COUNTRY IN THE WORLD” (Willkommen im am meisten bewaldeten Land der Welt.) Tatsächlich sind das in dem kleinen Staat (flächenmäßig etwas mehr als Ostdeutschland) an der Karibikküste sogar 90 % Waldbedeckung; die Bevölkerungsdichte ist noch geringer als im benachbarten Guyana und wohl die zweit- oder drittwenigste der Welt. Und dennoch schlägt auch hier (Gold-)Bergbau – illegaler, halblegaler und industrieller – mächtige Wunden in die Landschaft. Mehrere der eindrucksvollen breiten Wasserströme des Landes sind quecksilberverseucht.

Trotzdem: Surinam war eine ausgesprochen positive Überraschung. Was wiederum an den sehr netten Menschen lag (v.a. Nachkommen ehemaliger afrikanischer Sklaven – ganz fürchterliche, grausame Geschichte! – sowie indischer und indonesischer Plantagen-Billigarbeiter). Trotz einem der geringsten Pro-Kopf-Einkommen Amerikas scheint das Land halbwegs geordnet zu funktionieren. Einschließlich Müllentsorgung. Die Hauptstadt Paramaribo gibt sich auch einige Mühe, ihrem Weltkulturerbe-Titel gerecht zu werden.

Danach dann also Guyana (ehemals: Britisch-Guiana). Nach der Fährüberfahrt über den Grenzfluss Corentyne wurde es nicht nur mülliger, sondern auch lauter und auf der relativ lückenlos besiedelten Küstenstrecke verkehrsmäßig hektischer. Der Kulminationspunkt der Müllberge, der raggeaton-kreischenden Lautsprecher und der rücksichtslosen Autofahrer war dann die Hauptstadt Georgetown. Plus ein gehöriges Maß an Kriminalität. Wobei dank der seit kurzem vor der Küste sprudelnden Ölquellen der guyanische Dollar kräftig, mithin das Land für den Reisenden relativ teuer ist. Sozusagen bekommt man in Georgetown das Chaos von Antananarivo zum Preis von Zürich.

Da sich, wie erwähnt, 90 % der Bevölkerung im fruchtbaren Küstengebiet tummeln, wird es im Hinterland deutlich entspannter. Eine einzige Piste verbindet Guyana mit dem großen Nachbarn Brasilien. Über reichlich 300 km windet sich diese durch den Urwald, teilweise kaum breiter als ein deutscher Waldweg – und über weite Strecken wie ein ebensolcher nach Sachsenforst-Holzabfuhr. Es schließen sich noch 130 km Piste durch die Rupununi-Savanne an, bis das Grenzstädtchen Lethem erreicht ist. Als Radelstrecke eine echte Herausforderung für Ross (großes Dankeschön an Steve vom Altenberger Fahrradladen, der mit viel Aufwand das Rad zusammengeschraubt hat, sowie an Daniel aus Glashütte, dem ich die Schweißarbeiten verdanke!) – und Reiter. Sandpiste, Schlammseen sowie eine endlose Abfolge von Löchern und Buckeln erfordern höchste Konzentration. Eigentlich schade, da doch der üppige Regenwald beiderseits des Wegs zu permanentem Staunen einlädt. So sind es meist nur Zufallsbeobachtungen: der Ameisenbär, der ohne Eile die Straße überquert, die Kapuzineraffen im Baum an der Stelle, wo durch die Rüttelpiste die Wasserflasche vom Rad gefallen ist, der flinke Tayra-Marder am Wegesrand.

Noch hält sich der Verkehr auf der Piste in engen Grenzen. Auf einer Zehneinhalb-Stunden-Etappe habe ich ganze 40 Autos gezählt: Laster, Pickups und robuste Kleinbusse der Linie Georgetown – Lethem. Darunter viele freundliche Leute, die dem verrücktem Radler Getränke aus ihrer Kühlbox spendieren. Zwischendurch dann noch drei Tage zu Gast bei der Familie von Glen und Jean, was zu einem ganz besonderen Höhepunkt der Reise wurde. Den Kontakt zu der unglaublich gastfreundlichen Makushi-Familie hatte der bei Hohnstein lebende Chef der Eerepami-Regenwaldstiftung hergestellt – danke Gerd! Schon dafür haben sich die Pistenstrapazen gelohnt, die Gespräche mit Glen und Jean geben noch viel Stoff zum Nachdenken beim weiteren Pedalentreten.

Seit Jahren geplant und nun, dank der Petrodollars, in realistsche Reichweite gerückt ist der Ausbau der Piste zu einer richtigen Fernstraße. Wie das aussehen wird, kann man an deren nördlichem Ende, bei der Kleinstadt Linden, bereits erahnen. Dort ist der Ausbau bereits auf 30 km in vollem Gange: Statt einer 5 bis 10 Meter schmalen Piste wird auf 100 bis 150 Metern Breite eine weite Schneise den Regenwald durchschneiden. Unüberwindlich für Ameisenbär, Tayra und Kapuzineraffen. Statt 40 werden wohl eher 4000 Autos hier langbrettern, vermutlich auch viele zusätzliche Holz- und Erzlaster. Mit ihnen kommt dann garantiert auch all der Müll, wie er sich an der Küstenstraße türmt. Klar, die Urwald- und Savannenpiste mit dem Fahrrad abzustrampeln war schon eine mitunter an die Grenzen gehende Anstrengung. Auf einer richtigen Asphaltstraße wäre das alles viel bequemer. Aber ob sich dann das Regenwaldradelerlebnis noch lohnt?

In den nächsten Tagen geht es weiter nach Brasilien, über Boa Vista nach Manaus. Nach allem, was bisher so rauszukriegen war, muss da schon seit einigen Jahrzehnten die Entwicklung vollzogen sein, die für die guyanische Seite nun zu befürchten ist. Ich werd’s sehen – und euch sicher später davon berichten.

Viele Grüße aus der Neuen Welt!

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