Natur im Osterzgebirge

Baum-Lebensraum Ost-Erzgebirge

Charakteristik des Projektgebiets

Der Naturraum Ost-Erzgebirge umfasst recht vielgestaltige Landschaften zwischen den Tälern von Bahra und Gottleuba im Osten, denen der Flöha und Schweinitz im Westen sowie zwischen Nordrand des Tharandter Waldes und dem Fuß des steilen Südabbruchs des Gebirges am Nordböhmischen Becken. Es umfasst rund 1900 km2. Davon liegt etwa ein Fünftel in Tschechien (Ústecký kraj). Auf sächsischer Seite ist das Ost-Erzgebirge auf die Kreise Sächsische Schweiz – Osterzgebirge (knapp 40 %), Mittelsachsen (reichlich 30 %) sowie Erzgebirgskreis (ca. 10 %) aufgeteilt.

Im Ost-Erzgebirge leben etwas mehr als 200.000 Einwohner, was einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von mehr als 100 EW/km2 entspricht. Die Besiedlung ist jedoch recht ungleich verteilt und konzentriert sich auf die urbanen Zentren am Gebirgsfuß (v.a. Freital und Teplice, die beide jedoch nur peripher Anteil am Naturraum Ost-Erzgebirge haben). Größte Stadt im Gebiet selbst ist die historische Bergstadt Freiberg mit aktuell etwa 40.000 Einwohnern. Demgegenüber erweist sich heute vor allem der tschechische Gebirgsbereich als über weite Strecken nahezu siedlungsfrei. Die einstmals deutsch-böhmische Bevölkerung musste nach dem II. Weltkrieg die angestammte Heimat verlassen.

Bärenstein: Burg, Kleinstadt und links die Hufenstreifen des Dorfes

Ganz besonders prägen 600 bis 800 Jahre alte Waldhufendörfer die Region mit ihren oft mehrere Kilometer langgestreckten Siedlungsanlagen entlang der Oberläufe der Gebirgsbäche. Hinzu kommt ein Dutzend (überwiegend sehr kleiner) historischer Kleinstädte. Einige von ihnen sind inzwischen in größeren Gemeinden aufgegangen, so z.B. Bärenstein und Lauenstein. Ziemlich genau im Zentrum des Ost-Erzgebirges liegt die Kleinstadt Frauenstein.

Fördertechnisch bedingt muss sich das Baumdenkmal-Projekt zunächst auf den nördlichen/sächsischen Teil des Ost-Erzgebirges beschränken.

 

Südabhang des Ost-Erzgebirges, Inversionsnebel im Nordböhmischen Becken

Als Teil der im Tertiär aus dem alten variszischen Gebirgsrumpf herausgebrochenen, angehobenen und schräg gestellten Pultscholle des Erzgebirges steigt die Landschaft von Norden her nur ganz allmählich in Richtung Kamm, um südlich von diesem steil zum Nordböhmischen Becken abzufallen. Das Höhenspektrum reicht von knapp unter 200 m NN an der Weißeritz in Freital bis 956 m üNN auf dem höchsten Gipfel des Ost-Erzgebirges (Loučná/Wieselstein). Entsprechend weit variieren auch die klimatischen Verhältnisse mit Jahresdurchschnittstemperaturen zwischen über 9 oC und weniger als 5 oC sowie Jahresniederschlägen knapp über 500 l/m2 (Nordböhmisches Becken) und beträchtlich mehr als 1000 l/m2 (Erzgebirgskamm). Generell nehmen die Niederschläge von West nach Ost ab und die Temperaturextreme zu, was einem einen deutlichen Kontinentalitätsgradienten entspricht.

Eiskristalle aus Nebeltröpfchen (bei Sayda)

Eine bemerkenswerte meteorologische Besonderheit ist der sogenannte Böhmische Nebel. Dabei wird aus südlichen Richtungen auf das Ost-Erzgebirge anströmende feuchte Luft an der steilen Südflanke der Pultscholle zum raschen Ansteigen gezwungen und führt in den oberen Berglagen Nebelniederschlägen. Diese können tage- bis wochenlang andauern. Im Winter resultieren daraus eindrucksvolle Raueislasten („Anraum“) – mitsamt teilweise heftiger Bruchschäden an Bäumen.

Während sich am böhmischen Südabhang des Erzgebirges die klimatisch bedingte Abfolge der Höhenstufen (collin – montan – oreal) recht deutlich am Vegetationsbild widerspiegelt, sind die Übergänge im nördlichen, sächsischen Teil fließend und oft durch lokalklimatisch wirksame Reliefunterschiede überlagert. So haben sich insbesondere im Nordosten die dem nahen Elbtal zufließenden Flusssysteme von Gottleuba, Müglitz und Weißeritz bis 200 m tiefe Kerbsohlentäler in die Hochfläche des Ost-Erzgebirges eingeschnitten, mitsamt kleinräumig wechselnder Hangexpositionen. Im westlichen Teil des Naturraumes ist das Landschaftsrelief insgesamt ausgeglichener.

 

Gneishochfläche bei Neudörfel, darin eingeschnitten der Trebnitzgrund

Mehr als drei Viertel der Osterzgebirgs-Geologie wird von verschiedenen variszischen Gneisen geprägt. Trotz unterschiedlicher Entstehung und unterschiedlicher chemisch-petrographischer Zusammensetzung zeigen die meisten Gneis-Landschaften hier eine vergleichsweise  ausgeglichene Oberflächengestalt. Die aus der Verwitterung entstehenden Braunerdeböden sind in der Regel landwirtschaftlich gut nutzbar. Dies hat bereits im 12./13. Jahrhundert zu einer raschen Besiedlung und Inkulturnahme der Gneisbereiche geführt – einschließlich der Zurückdrängung von Wäldern auf nicht bewirtschaftbare Steilhanglagen sowie die Nicht-Gneis-Böden.

Selbst auf dem höchsten Gipfel und auf armem Porphyrboden können Buchen gedeihen (Wieselstein, ca. 2000)

Aus Magmen, die am Ende der Variszischen Gebirgsbildung aufdrangen, entstanden saure Granite (ca. 5 % des Ost-Erzgebirges) und Porphyre (10 – 15 %). Die höchsten Gipfel bestehen aus Porphyrgesteinen, so der Wieselstein/Loučná aus Granitporphyr. Der vom Bornhauberg/Pramenáč über Kahleberg und Tellkoppe bis nach Oberfauendorf ziehende „Teplitzer Quarzporphyr“ (Rhyolith) bildet wegen seiner höheren Verwitterungsbeständigkeit einen markanten Seitenkamm. Die daraus resultierenden Podsol-Böden sind zumeist arm an Nährstoffen und/oder besonders blockreich. Sie wurden entweder erst in späteren Rodungsperioden (meist bergbaulich bedingt) in Offenland umgewandelt oder blieben bis heute waldbestockt. Zahlreiche Quarzporphyrgänge („Sayda-Berggießhübler Gangschwarm“) durchziehen auch die Gneisgebiete und sorgen teilweise für etwas bewegteres Terrain auf den Hochflächen.

Von der einstigen Sandsteinbedeckung, die das Kreidemeer hinterlassen hatte, konnten sich noch geringmächtige Auflagen im Nordosten erhalten (ca. 2 % der Osterzgebirgslandschaft). Während des „Herausbrechens“ der Erzgebirgsbruchscholle im Tertiär wurde am NO-Rand des Erzgebirges die alte Mittelsächsische Störung reaktiviert. Der daraus resultierende Höhenrücken bremste die

Sattelberg-Basalt

weitere Sandsteinabtragung. Der spätere Eintrag von Löß (während der Eiszeiten) sorgt dafür, dass hier oft wechselfeuchte bis staunässegeprägte Pseudogley-Böden anzutreffen sind.

Im Verlauf der gebirgsbildenden Vorgänge im Tertiär gab es auch Phasen vulkanischer Aktivitäten, vor allem südlich des Ost-Erzgebirges, im Böhmischen Mittelgebirge. Auch in der Region selbst hinterließ dieser Vulkanismus einige markante Basaltkuppen (Geising-, Sattel-, Luchberg, Wilisch) und einige weitere kleinflächige Ergussreste basischen Gesteins. Gemeinsam mit ebenfalls kleinflächigen Amphibolith- und noch kleinflächigeren Kalkvorkommen existieren damit auch einige Nischen für basiphile Pflanzenarten im Ost-Erzgebirge.

 

Während der deutschen Ostkolonisation wurde das Ost-Erzgebirge ab Mitte des 12. Jahrhunderts relativ zügig besiedelt. Die politische Inbesitznahme der Region ging gleichermaßen von Böhmen und Meißen aus (außerdem damals: Dohna). Wesentliche Impulse kamen von den Zisterzienserklostern in Altzella und Ossegg.

Rasch an Bedeutung gewinnende Erzfunde trieben sowohl bergbauliche Unternehmungen als auch die landwirtschaftliche Erschließung voran. Begünstigt wurde letztere durch die gute Erträge versprechenden Gneisböden. Innerhalb weniger Jahrzehnte entstanden die meisten der heute noch existierenden Dörfer, einschließlich der typischen, im Luftbild „fischgrätenartig“ von den langgestreckten Dorfanlagen ausgehenden Hufenstrukturen. Diese

Steinrücken markieren die Dorfflur, auch wenn das Dorf nicht mehr existiert: ehem. Ebersdorf/Habartice

zeichnen sich vielerorts noch heute in der Landschaft in Form zahlreicher, parallel verlaufender Lesesteinwälle („Steinrücken„) ab. Diese Steinrücken gehören zu den besonders charakteristischen Biotopen des östlichen Erzgebirges. Schätzungsweise eintausend Kilometer durchziehen die Region. Viele lichtbedürftige Gehölze, wie etwa der Wild-Apfel („Holzäppelgebirge“), haben hier geeignete Lebensräume gefunden.

Ähnliches gilt für die zahlreichen Hinterlassenschaften des Bergbaus in der Landschaft. Bergbauhalden entzogen sich fortan einer intensiven landwirtschaftlichen oder forstlichen Nutzung. Zahlreiche „Kunstgräben“ und Teiche wurden für Bergbau und andere wirtschaftliche Zwecke angelegt. Hervorzuheben ist insbesondere das überregional bedeutende System der Freiberger Revierwasserlaufanstalt. So entstanden bis heute wichtige künstliche Wasserspeicher und Feucht-Lebensräume – wohingegen die den Erzgebirgskamm prägenden Moore bis auf wenige Reste entwässert und ausgetorft worden sind.

 

Über die ursprüngliche Vegetation vor Besiedlung und Inkulturnahme der Region kann bislang weitgehend nur spekuliert werden. Die verbliebenen Waldbereiche, die heute – eher untypisch für Mittelgebirge – nur noch ein reichliches Drittel des Ost-Erzgebirges bedecken, entsprechen lediglich zu einem geringen Teil der sogenannten „potentiell-natürlichen Vegetation„. Die pnV bezeichnet Pflanzengesellschaften, wie sie sich ohne Einfluss des Menschen (und ohne Klimawandel!) einstellen würden. Entsprechend der Höhenstufenzonierung wären auf normalen Standorten (nicht zu nass, nicht zu trocken, nicht zu steil) zu erwarten:

– (Trauben-)Eichen-Buchenwälder in den unteren Berglagen (bis ca. 400/500 m NN);

naturnaher Buchenwald im PR Vlči důl

– bodensaure Hainsimsen-Fichten-Tannen-Buchenwälder in den mittleren Berglagen (ca. 400 bis 800 m NN), auf basenreicheren Standorten kleinflächig auch Waldmeister-Buchenwälder;

– Wollreitgras-Fichten-Buchenwälder in den Kammlagen, wobei in nassen, frostgefährdeten Hochtälern und Senken die Buche ausfällt.

Hinzu kommen verschiedene azonale (nicht an die Höhenstufen gebundene) Waldgesellschaften auf nassen, trockenen und steilen Standorten.

Allerdings zeigen die Extremwetterlagen der vergangenen Jahre, dass die PNV unter Klimawandelbedingungen nur noch eingeschränkt als Orientierungshilfe dienen kann. Die Verschiebungen in der Pflanzenwelt sind auffällig.

 

Nach mehreren Jahrhunderten weitgehend ungeregelter Übernutzung der Wälder zeichnete sich Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts immer kritischere Holzknappheit ab. In Anbetracht drohender Versorgungsmängel für den Bergbau forderte 1713 ein Freiberger Berghauptmann eine „nachhaltende Nutzung“ samt Wiederaufforstung – und ging damit als Schöpfer des heute überaus populären Begriffes „Nachhaltigkeit“ in die Geschichte ein. Es dauerte jedoch noch ein weiteres Jahrhundert, bis tatsächlich entschiedene Maßnahmen für eine nachhaltige Versorgung der Wirtschaft mit Holz getroffen wurden: die Umwandlung der bis dato völlig übernutzten Staatswälder in systematisch per Kahlschlag und nachfolgende

Sächsische Kahlschlagswirtschaft: Hiebszug im Hochofengründel bei Schmiedeberg, 1990er Jahre

Neuaufforstung bewirtschaftete Fichtenreinbestände. Eine in ihren Ausmaßen heute kaum noch vorstellbare Leistung!

Die Forstakademie Tharandt spielte eine weltweit bedeutende Rolle bei der mathematisch-ökonomischen Optimierung des Kahlschlagverfahrens („Bodenreinertragslehre“). Aus heutiger ökologischer, aber auch langfrist-ökonomischer Sicht kann diese zweihundertjährige Phase der Nadelholz-Monokulturen indes kaum als „nachhaltig“ bezeichnet werden.

Spätestens ab Anfang der 1980er Jahre nahmen die durch Schwefeldioxid-Immissionen hervorgerufenen Waldschäden in den flächendeckenden Fichtenreinbeständen katastrophenartige Ausmaße an. Ursache war die ungefilterte Verbrennung schwefelreicher Braunkohle, v.a. in Kraftwerken des Nordböhmischen Beckens und im Leipziger Revier. Aber die Wirtschaftsbaumart Fichte erwies sich als besonders anfällig (ebenso wie die ohnehin schon selten gewordene Weiß-Tanne). Insgesamt rund 50.000 Hektar Fichtenforsten wurden devastiert. Die Wiederaufforstung erfolgte mit exotischen „rauchtoleranten Ersatzbaumarten“ (u.a. Blau-Fichten, Hybrid-Lärchen, „Murray-Kiefern“), die sich aber nahezu ausnahmslos nicht bewährt haben unter den Bedingungen des Erzgebirges.

Demonstration Altenberg 1996

Erst nach politischem Druck in Form von Bürgerprotesten Mitte/Ende der 1990er Jahre und dann konsequent durchgesetzten Luftreinhaltebestimmungen gingen die SO2-Belastungen auf erträgliche Werte zurück. Die Versauerung der Böden indes blieb erhalten. Bis heute wird versucht, über Kalkungen per Hubschrauber die Waldböden wieder in ein Nährstoffgleichgewicht zu bringen.

Auch die zunehmenden Stürme und Trockenperioden, mitsamt der damit einhergehenden Borkenkäferkalamitäten, stellen heute große Anforderungen an einen Waldumbau zu naturnäheren, selbstregulierenden und „klimawandel-resilienten“ Ökosystemen.

NSG Weicholdswald mit Weiß-Tanne

Dennoch blieben im Ost-Erzgebirge einige recht naturnahe Waldkomplexe erhalten bzw. konnten sich nach Ende der Übernutzung regenerieren. Dies trifft zum einen auf Sonderstandorte wie Steilhanglagen zu, aber auch einige seit jeher vergleichsweise „nachhaltig“ genutzte und gepflegte Privatwaldflächen. Der natürlichen Vegetation vermutlich nahekommende Buchenwaldkomplexe findet man beispielsweise Südabhang des Erzgebirges, an den Weißeritztalhängen bei Tharandt, in den ausgedehnten Waldbereichen im „Seiffener Winkel“ sowie, kleinflächiger, im Weicholdswald bei Hirschsprung, am Hemmschuh Rehefeld und am Oberlauf der Gottleuba. Viele dieser Buchenwaldreste sind als Naturschutzgebiete ausgewiesen und/oder zählen zum Natura-2000-System.

 

Die landwirtschaftliche Nutzung des Ost-Erzgebirges beruhte bis ins 18./19. Jahrhundert auf Ackerbau – mit teilweise mehrjährigen Brachephasen zur natürlichen Regeneration der Bodenfruchtbarkeit. In mühsamer Handarbeit mussten unzählige Feldsteine von den Äckern gelesen und an den Hufenrand „gerückt“ werden. Die auf den so entstandenen Steinrücken aufkommenden Gehölze dienten der Brennholzversorgung der Bauernwirtschaften. Und vermutlich auch als „Apotheken“, wie im Fall der für ihre fiebersenkende Wirkung bekannten Holzäppl.

An den Rittergütern und Vorwerken der Grundherrschaften wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts teilweise tausendköpfige Schafherden gehalten – und unter anderem auf den Ackerbrachen, aber auch in den Wäldern gehütet. Die Bauern wie auch die „Ackerbürger“ der Kleinstädte weideten ihr Vieh (in den unteren Berglagen Rinder, im oberen Gebirge vor allem Ziegen) ebenfalls in der Wald-Feld-Landschaft. Neben der hohen Holznachfrage sorgte somit fast flächendeckender Verbiss dafür, dass das Offenland immer mehr an Bäumen verarmte.

Bergwiese in Zinnwald

Mit der ersten „Intensivierung“ der Landwirtschaft – der Einführung von Kartoffeln und Leguminosen (als Gründüngung) um 1800 – gehörten die Brachephasen der Vergangenheit an. Die rapide steigende Nachfrage nach „gutem, kräuterreichem Gebirgswiesenheu“, insbesondere durch die vielen Pferdefuhrwerksunternehmen in den Städten am Gebirgsfuß, veranlasste die Bauern ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr ihrer kargen Äcker in Mähwiesen umzuwandeln. Über einhundert Jahre prägten fortan buntblühende, ausgesprochen artenreiche Bergwiesen die Landschaft des oberen Ost-Erzgebirges – und die seither überlieferten Idealvorstellungen des Naturschutzes.

Mit der sozialistischen Kollektivierung in der Landwirtschaft begann ab den 1960er Jahren die zweite Intensivierung. Damit ging nicht nur der Einsatz von immer mehr Agrarchemie und immer größerer Technik einher. Die einstmals kleinteiligen bäuerlichen Fluren mussten Großschlägen von vielen Hektar weichen. Nahezu alle Quellbereiche in der Agrarflur wurden drainiert („melioriert“), unzählige Feldraine und auch -gehölze beseitigt. Teilweise verschwanden sogar ganze Steinrücken aus dem Landschaftsbild.

Lichtmangel und Humusanreicherung auf der Steinrücke

Andererseits fand die Nutzung der Steinrückengehölze ein Ende. Kohle (später dann Öl und Gas) ließen das Interesse an arbeitsintensiv zu beschaffendem Brennholz schwinden. Teilweise wurde wohl sogar ein Verbot der „illegalen“ Brennholzgewinnung durchgesetzt. Mit dem Ausbleiben des zuvor praktizierten, regelmäßigen Auf-Stock-Setzens konnte die bis dahin lückige, meist buschartige Gehölzvegetation innerhalb weniger Jahrzehnte zu teilweise dichten Baumriegeln heranwachsen. Ahorne und Eschen bildeten große Kronen aus, die die lichtbedürftigeren Arten (z.B. Wild-Apfel) zu verdrängen begannen.

Inzwischen machen die gestiegenen Heizkosten einerseits und lukrative Naturschutzförderung andererseits „Steinrückenpflege“ wieder zu einer lohnenswerten Winterbeschäftigung für Landwirte und Grundstücksbesitzer. Nicht immer jedoch zum Wohle der seltenen Gehölze und anderer Steinrückenbewohner.

 

Ursprünge heutiger Altbäume

Zurück zu den Zeiten der großen Holznot im 18./19. Jahrhundert, der tausendköpfigen Schafherden sowie der auf den Feldern und in den Wäldern weidenden Ziegen der Bauern und Ackerbürger: Während die Landschaft immer mehr an Bäumen verarmte, kamen einige Buchen jedoch in den Genuss vorsorglichen Schutzes. Sie sollten schnell groß werden, weit ausladende Kronen entwickeln und damit möglichst viele Bucheckern produzieren. Für die

Alte Hutebuche am Geisingberg (Foto: Jana Felbrich)

damit gefütterten Ziegen und anderen Nutztiere bedeutete dies einen wichtigen Proteinschub, bevor der nächste harte Erzgebirgswinter begann. So manche heute besonders große Buche an Waldrändern wird früher eine solche Hutebuche gewesen sein. Ein eindrucksvolles Beispiel findet man am Westhang des Geisingbergs. In den unteren Berglagen spielten sicher Eichen eine ähnliche Rolle als Hutebäume.

Berg-Ahorn in Zinnwald

Ein anderer Ort, an dem Bäume groß werden durften und sollten, war das bäuerliche Gehöft. Neben weiteren sicherlich ebenfalls geschätzten „Ökosystemdienstleistungen“ (freilich erst eine Wortschöpfung der Neuzeit) kam den Hofbäumen die Funktion des Blitzableiters zu. Bis vor hundert Jahren herrschte auf den Wohnhäusern, Ställen und Scheunen Strohdeckung vor.

Weitere Bäume kamen in den Dörfern und Städten unserer Gegend im 19./20. Jahrhundert hinzu, als – gegenüber steinernen Monumenten vergleichsweise preiswerte – Gedenkbäume: Bismarck- und Friedens-Eichen (in Bezug zur Reichseinigung und zum Ende des Kriegs 1871/72), Luther-Buchen und -Eichen etc..

Schlosspark Reinhardtsgrimma

Als die zahlreichen Burgen im Ost-Erzgebirge ihre kriegerische Funktion verloren, mussten die angrenzenden Abhänge nicht mehr gehölzfrei gehalten werden. Hier und auch an einigen sich ebenfalls zu repräsentativen Adelssitzen entwickelnden Rittergütern entstanden Schlossparks, zunehmend in Form von Landschaftsparks mit Flanier-Alleen, dekorativen Baumgruppen und Einzelbäumen. Wer es sich leisten konnte, ließ dabei auch exotische Arten pflanzen.

Besonders zu erwähnen ist der 1811 gegründete Forstbotanische Garten in Tharandt mit seiner weit über die Region herausragenden dendrologischen Bedeutung.

 

Apfelallee Alte Eisenstraße, Ende der 1990er Jahre

Ebenfalls im 19. Jahrhunderts begann man, entlang von Straßen (die größtenteils auch erst zu dieser Zeit angelegt und befestigt wurden) Alleen zu pflanzen.  Von „Obstbauvereinen“ und später der Konservenindustrie forciert, waren dies in den unteren Berglagen zunächst Apfel-, Birnen- und Kirschalleen. Die meisten mussten späteren Straßenverbreiterungen längst wieder weichen, doch es gibt noch historische Relikte wie die Apfelallee Alte Eisenstraße zwischen Schlottwitz und Cunnersdorf.  Auch Streuobstwiesen (ein erst seit neuestem hier verwendeter Begriff) blieben lange auf klimatisch begünstigte Lagen und Siedlungsnähe beschränkt.

Wegen des rauen Klimas samt Spätfrostgefährdung in den mittleren bis höheren Berglagen gab es bis vor wenigen Jahrzehnten hier kaum Kulturäpfel in der freien Landschaft. Insofern konnten sich die Wild-Äpfel der Steinrücken und Waldränder noch relativ gut den ansonsten fast überall artbedrohenden Hybridisierungen entziehen.

 

Geisingberg (Foto: Jan Riha)

Zusammengefasst kann festgehalten werden: es ist insbesondere der außergewöhnliche Strukturreichtum der historischen Kulturlandschaft, der die heutige biologische Vielfalt des Ost-Erzgebirges hervorgebracht hat. Zwar gibt es auch hier in der Region allzu viele auf einseitige kommerzielle Nutzung ausgerichtete Agrarkomplexe und Wirtschaftsforsten mit minimaler Biodiversität. Doch in weiten Bereichen prägen noch immer von Steinrücken durchzogene Bergwiesenfluren die Landschaft. Der kleinflächige Wechsel zwischen Wald und Offenland bietet auch lichtbedürftigen (Gehölz-)Arten geeignete Lebensräume. So mancher markante Baum ist in den Dörfern und Kleinstädten erhalten geblieben, ebenso einige bemerkenswerte Alleereste an den wenig befahrenen Landstraßen.

Allee-Fällung an der Kammstraße bei Neuhermsdorf 2015

Die Verluste der vergangenen Jahr(zehnt)e unter den Altbäumen übersteigen jedoch die zu erwartende Rate natürlicher Abgänge bei weitem. „Verkehrssicherungspflichten“, Baumaßnahmen verschiedenster Art sowie laubfeindlicher Ordnungssinn gehören sicher auch hier zu den Hauptursachen. Vor allem aber ist es der sorg- und rücksichtslose Umgang mit den ältesten Bewohnern des Ost-Erzgebirges – das mangelnde Verständnis, dass es sich bei ihnen um lebende Organismen handelt.

 

Zusätzliche Belastungen bringen neuartige Krankheiten mit sich. Seit den 1980er Jahren fielen auch im Ost-Erzgebirge vermutlich mehr als 90 % der Bergulmen-Altbäume dem sogenannten Ulmensterben zum Opfer. Flatter-Ulmen scheinen davon bislang weniger betroffen zu sein.

Jägeresche bei Großröhrsdorf

Ungefähr ab 2010 breitete sich dann das Eschentriebsterben aus. Dabei werden nicht nur Altbäume, sondern noch schlimmer junge Eschen befallen. Die Krankheit scheint in Wellen aufzutreten, wahrscheinlich abhängig von den klimatischen Bedingungen. Wobei der Befall bei an sich günstigen Eschen-Wuchsbedingungen offenbar gravierender ist als bei Standorten mit „Kampfbedingungen“ wie am Erzgebirgskamm.

„Rekordbaum“-Eberesche bei Rehefeld-Zaunhaus (Umfang: 1,80 m!)

Sehr kritisch erscheint die Situation beim „Charakterbaum des Erzgebirges“, dem Vogelbeerbaum. Nicht nur betagte Exemplare, deren Lebenszeit sich ohnehin dem Ende zuneigt, sterben ab, sondern auch mittelalte Ebereschen. Möglicherweise kann dies eine Folge hoher Ozonbelastungen sein. Erstens schien der rapide Verfall der Ebereschen auf den Steinrücken und in den Alleen einzusetzen, als der Verkehr und damit die an den Wetterstation Zinnwald-Georgenfeld und Schwartenberg gemessenen Ozonwerte deutlich anstiegen. Zweitens betraf dies zunächst vor allem die höheren Berglagen, wo die Ozonwerte infolge der hier höheren UV-Einstrahlung überdurchschnittlich anstiegen.

Ozon-Schäden gelten auch als mögliche Ursache für die ebenfalls seit etwa 20 Jahren zu beobachtende „Spießastigkeit“ der Buchenkronen.

Kupferstecher-Kalamität im Bärensteiner Bielatal 2019

Dies alles wird inzwischen durch die Witterungsextreme der letzten Jahre überlagert, die mit ziemlicher Sicherheit Vorboten des menschengemachten Klimawandels sind. Chronischer Mangel an pflanzenverfügbarem Wasser infolge von Niederschlagsdefiziten einerseits und steigender Verdunstung andererseits betrifft inzwischen auch das Ost-Erzgebirge. Die meisten Fichtenforsten des unteren und mittlerweile auch mittleren Berglands sind seit 2018 von Dürre und nachfolgenden Borkenkäferkalamitäten befallen – bzw. mussten deshalb schon geräumt werden. Aber auch die Rot-Buche als „potentiell natürliche“ Hauptbaumart im Erzgebirge gibt Grund zu großer Besorgnis. Ebenso kritisch wirkt sich die Trockenheit auf (Streu-)Obstbäume aus.

 

Die biologische Vielfalt zu erhalten, stellt heute den Naturschutz vor große Herausforderungen. Doch ebenso, wie der Naturraum Ost-Erzgebirge aufgeteilt ist in verschiedene verschiedene Landkreise und sogar Staaten, gibt es leider auch keinen einheitlichen Naturschutzstatus für die Region. Stattdessen bedeckt ein „Flickenteppich“ unterschiedlicher Schutzkategorien den Naturraum:

– die Naturparks Erzgebirge/Vogtland, Östliches Erzgebirge („Přírodní park Východní Krušné hory“) und Wieselstein-Bergland („Přírodní park Loučenská hornatina“), die jedoch auf sächsischer wie auf tschechischer Seite eher touristische Kategorien darstellen;

– 13 Landschaftsschutzgebiete, wovon allein drei „Osterzgebirge“ im Namen tragen; bei deutschen LSG handelt es sich weitgehend um eine Schutzgebietskategorie mit nur deklaratorischem Charakter; ein tschechisches CHKO gibt es für das Ost-Erzgebirge leider nicht;

Das NSG Grenzwiesen gehört zu den größten in Sachsen – Bäume spielen in der Verordnung keine Rolle

– 27 Naturschutzgebiete bzw. Přírodní rezervace und Přírodní památka > 5 ha;

– ca. 200 Flächennaturdenkmale bzw. Přírodní památka < 5 ha;

– 35 FFH-Gebiete und 13 SPA-Vogelschutzgebiete im europäischen Natura-2000-System.

Nach gegenwärtigem Kenntnisstand stehen ca. 150 Bäume unter offiziellem Naturdenkmalschutz, wobei aber auch bei diesen beständig Abgänge zu verzeichnen sind. So hat der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 2014 aus Kostengründen zahlreichen historischen Baumdenkmalen den ND-Schutzstatus gestrichen, davon auch ca. zehn Bäumen im Naturraum Ost-Erzgebirge. Besonders in den letzten Jahren sind außerdem mehrere Baum-Naturdenkmale abgestorben und/oder mussten gefällt werden. Die letzten Neuausweisungen hingegen liegen nunmehr schon fast zehn Jahre zurück.

 

Vor allem aber gehörte die Erhaltung alter Bäume bislang kaum zu den Naturschutz-Prioritäten im Ost-Erzgebirge. In den vergangenen 20 Jahren fanden in der Region zwei größere, finanziell vergleichsweise gut ausgestattete Projekte statt, bei denen es vorrangig um Grünland, teilweise auch um damit verbundene Biotoptypen wie Steinrücken ging: Naturschutzgroßprojekt „Bergwiesen im Osterzgebirge“, E+E-Projekt „Wiederherstellung artenreicher Bergwiesen im Osterzgebirge“. Etwas Vergleichbares in dieser Größenordnung mit Fokus auf Gehölze gab es bislang nicht.

Wildapfel-Projektvorstellung bei dt-cz-sk Exkursion 2022

Mit einer Ausnahme: seit Ende der 1990er Jahre widmet sich die Grüne Liga Osterzgebirge dem Wild-Apfel, hier im „Holzäppelgebirge“. Von 2007 bis 2011 lief ein größeres, von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung gefördertes Projekt zur „Erhaltung von Malus sylvestris … im Osterzgebirge“. Es folgte ein thematisch wie territorial weitergefasstes „Wildobstprojekt“, und in den vergangenen beiden Jahren wiederum ein kleineres Wildapfelprojekt.

Kleinere Naturschutzprojekte widmen sich darüberhinaus dem Themenbereich Streuobst, so zum Beispiel der Landschaftspflegeverband mit den Aktionen „Obstwiesenschätze“ und „Drei Äpfel für Goldmarie“ sowie die Grüne Liga Osterzgebirge mit der langjährigen, vorbildhaften Entwicklung der Apfelallee Alte Eisenstraße.

In den Landeswäldern sind die Revierförster des Staatsbetriebs seit einigen Jahren verpflichtet, sogenannte Biotopbaumgruppen auszuweisen, zu markieren und dauerhaft zu erhalten.

 

Im damaligen Landkreis Freiberg fand Anfang der 2000er Jahre eine gründliche Bestandsaufnahme der bestehenden Baum-Naturdenkmale statt, im Rahmen einer Diplomarbeit an der TU Dresden, Fachrichtung Forstwissenschaften Tharandt. Im oberen Gebiet des ehemaligen Weißeritzkreises erfolgte um 2010 für die geplante Neuausweisung von neuen ND die Erarbeitung von Schutzwürdigkeits-Kurzgutachten für ca. 25 Bäume. Ansonsten gab es keine fachliche Betreuung von Baumdenkmalen – weder der offiziellen ND, noch sonstiger wertvoller Altbäume. (außer: wenn „Verkehrssicherungspflichten“ nachgekommen werden musste.)

 

Naturdenkmal Eibe in Domaslavice

Die Grüne Liga Osterzgebirge unternahm ebenfalls um 2010 einen ersten Versuch, ehrenamtliche Baumdenkmalpaten-Betreuung in der Region zu organisieren. Über ein deutsch-tschechisches Kleinprojekt mit dem damaligen Teplitzer Verein Št’ovík wurde begonnen, beiderseits der Grenze die offiziellen Baumdenkmale zu dokumentieren. Leider gelang es nicht, nach Projektende das Vorhaben auf rein ehrenamtlicher Basis weiterzuführen. Als dann einige Jahre später die entsprechende web site irreparabel aus dem Internet verschwand, kam die Initiative zum Erliegen. Vorläufig.

Das Gemeinschaftsprojekt des Lehrstuhls für Biodiversität und Naturschutz der TU Dresden und der Grünen Liga Osterzgebirge „Alte Bäume = Lebensräume“ hat das Vorhaben wieder aufgegriffen – und soll in den nächsten Jahren weiter ausgebaut und verstetigt werden.

erste öffentliche Veranstaltung des Baumdenkmal-Projekts, April 2022 Reinhardtsgrimma