Natur im Osterzgebirge

Was sind uns alte Bäume eigentlich wert?

Nicht nur am Bahnhof Altenberg wurde die letzte Phase der vergangenen Fällsaison 2024 für einen größeren Kahlschlag genutzt, die April-Ausgabe des Blätt’l berichtete darüber. In der Ortslage Löwenhain mussten zur gleichen Zeit entlang der Dorfstraße etwa 30 stattliche Straßenbäume weichen – hier nicht um einem Einkaufmarkt Platz zu machen, sondern um eine geplante Straßensanierung zu erleichtern.

Die für diese Höhenlage wirklich mächtigen Bäume (vorwiegend Eschen) bildeten im Dorf eine hübsche, über weite Strecken geschlossene Allee, wie man sie nur noch in wenigen Ortschaften des Osterzgebirges findet.

Ja, die Bäume standen sehr nah am Fahrbahnrand und ja, bei Gegenverkehr wird es eng und man bremst zu Gunsten der eigenen Unversehrtheit lieber einmal mehr. Die noch verbliebenen Bäume stehen allerdings genauso nah am Rand, sind genauso „im Wege“. Nach welchen Kriterien letztendlich ausgewählt wurde bleibt unklar. Auf Nachfrage beim Straßenbauamt wurde mir mitgeteilt, dass die Nähe zur Fahrbahn die Verkehrssicherheit gefährde und bis auf einen Ausnahme alle Bäume Schädigungen im Bereich Krone / Stamm / Wurzel aufwiesen. Nun ist es müßig, bei fehlendem Stamm und Krone im Nachgang Schäden bewerten zu wollen. Allein das Stockbild der noch vorhandenen Stubben spricht eine andere Sprache, hier sind nur in geringem Umfang und Ausmaß Fäulen im Holz einzelner Bäume erkennbar.

Hat hier mal wieder die „Angst“ vor dem Eintreten eines Baumversagens oder Teilen davon gesiegt? Oder die Chance, mit Rechtfertigung durch den Straßenausbau ein paar „Sorgenkinder“ los zu werden? Die aktuelle Rechtslage, für jeden Schadensfall einen Verantwortlichen ermitteln zu müssen und knappe Kassen der Kommunen für Baumpflege sind die eine Seite. Fakt ist aber auch, dass unter heutigen Verhältnissen mit enormen Streusalzbelastungen im Straßenumfeld,  Abstandsregelungen oder den derzeitig und zukünftig zu erwartenden klimatischen Stresssituationen (Hitze, langanhaltende Trockenheit) für Pflanzen nicht zu erwarten ist, jemals wieder solche großen Straßenbäume zu etablieren. Mit jedem gefällten Straßenbaum geht hier ein Stück Dorf- und Landschaftsbild verloren. Eine dauerhafte Tempobegrenzung wäre eine Option, Bäume auch knapper „sicher“ passieren zu können. Und nebenbei ein paar Blicke auf die hübschen Ortschaften der Region zu erhaschen, statt stur mit Blick nach vorn durchzudösen.

Laut Gehölzschutzsatzung der Gemeinde Altenberg sind je gefälltem Baum dieser Dimension drei bis vier Ersatzpflanzungen vorzunehmen – in Summe also reichlich 100 Bäume. Ehe diese das Kronenvolumen und damit die ökologischen Funktionen der gefällten Bäume erreichen – wenn überhaupt, was wie oben geschrieben fraglich ist – vergehen viele Jahrzehnte. Von einem wirklichen Ersatz kann daher wohl kaum die Rede sein.

Einer in „Natur und Landschaft“ veröffentlichten Untersuchung (Schuch et al. 2024: Die Bedeutung von Gehölzen für einheimische, phytophage Insekten, 99. Jg. Heft 04) nach bieten Arten der Gattung Esche knapp 100 verschiedenen phytophagen Insektenarten Nahrung. Damit sind Eschen fast das „Schlusslicht“ in einer Liste, die von Weiden (knapp 700 Insektenarten) und Eichen (knapp 500 Arten) angeführt werden. Trotz allem, auch 100 Arten in einer Zeit rapiden Biodiversitätsverlustes, die Bedeutung von Bäumen zur Wasserspeicherung, CO2-Bindung und Sauerstoffproduktion sollten eigentlich schwerer wiegen als ein ungebremster Verkehrsfluss auf einer mäßig bedeutenden Straße.

Wieviel sind wir in Summe bereit, für Komfort und Schnelligkeit an Dorf- und Landschaftsbild oder Natur allgemein zu opfern? Wieviel sind uns wirklich alte Bäume, und nicht nur Buchsbaum und Friedhofsflair versprühende Thuja-Bepflanzungen, in unserem unmittelbaren Lebensumfeld wert? In einer Region, in der Tourismus und Naturerleben eigentlich befördert werden sollen? Die Löwenhainer Straßenbäume sind dabei leider nur ein Steinchen von vielen in einem recht bedenklich stimmenden Mosaik an Umweltzerstörung. Wahrscheinlich gibt es einfach noch zu viel äußerlich intakt wirkende Natur in unserer Region, als das solche „Steinchen“ für die breite Masse mehr als nur einen fragenden Blick im Vorbeifahren auslösen.

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