Natur im Osterzgebirge

ÖPNV Abbau

Immer weniger Busse und Bahnen im Ost-Erzgebirge

 

Wenn ein Umweltverein einlädt, sollte auch die Chance bestehen, ohne Auto anreisen zu können. Bei den Naturkundlichen Wanderungen der Grünen Liga Osterzgebirge engen sich damit die am Wochenende erreichbaren Gebiete immer mehr ein. Eine Führung um Reichstädt? Noch vor wenigen Jahren auch sonntags problemlos von Dipps erreichbar. Rehefeld? Nur selten mal durch einen Ski- und Wanderbus angeschlossen, den Tourismusunternehmen versuchen zu organisieren. Liebstadt? Schon seit längerem vom Wochenend-Busverkehr abgeschnitten. Fürstenau? Oh, da ist seit Ewigkeiten sonntags kein Bus mehr gesichtet worden.  Von den rund 50 Buslinien, die in und durch das (sächsische) Ost-Erzgebirge führen, sind über 30 nur noch wochentags in Betrieb – zur teilweise stundenlangen Beförderung von Schülern, vorbei an geschlossenen Schulen. Und selbst dort, wo es noch einen oder zwei Busse am Wochenende gibt, kann von einem attraktiven Angebot keine Rede sein. Beispiel Schellerhau – Zinnwald: Seit 1996 gehört die Route Georgenfelder Hochmoor – Kahleberg – Weißeritzwiesen zum Exkursionsprogramm des “Schellerhauer Naturschutzpraktikums” der Grünen Liga. Anfangs war das sehr bequem: die damals noch in der Jugendherberge Schellerhau untergebrachten Studenten stiegen gegen 8.00 Uhr in den Bus nach Altenberg, wechselten dort in den Anschluss nach Zinnwald, und 9.00 Uhr konnte die Wanderung starten. Ein paar Jahre später musste der Exkursionsbeginn um eine Stunde verschoben werden, weil der Anschluss nicht mehr klappte. Eine Stunde am Sonntagmorgen in Altenberg ist zwar kein Vergnügen, wird von umweltbewußten Besuchern der Region aber klaglos erduldet. Inzwischen jedoch funktioniert auch das nicht mehr. Wer als Schellerhau-Urlauber – oder eben als Teilnehmer des Naturschutzpraktikums – am Wochenende zu einer Wanderung von Zinnwald aus aufbrechen will, bekommt bei www.vvo-online.de die Fahrplanauskunft: “Es wurden keine zu Ihren Angaben passenden Verbindungen gefunden.” Das Ost-Erzgebirge als Tourismusregion ausschließlich für Autoausflügler?

Abgesehen von der – sehr lobens- und unterstützenswerten – Initiative des Altenberger Wirtestammtischs für den Ski- und Wanderbus, spürt man wenig davon, dass diese Entwicklung den Verantwortlichen in unserer Region irgendwelche Sorgen bereitet. Als letztes Jahr etwa die traditionsreiche und nicht unbedeutende Buslinie Dresden – Dipps – Frauenstein – Sayda – Olbernhau eingestellt wurde, hätte man eigentlich einen Aufschrei des Entsetzens erwarten können. Etliche Leute zwischen Rechenberg und Olbernhau kämpften tatsächlich um die kreisübergreifende Verbindung. Von den Kreisverwaltungen, den zuständigen Politikern oder auch den Tourismusverbänden kam beredtes Schweigen.

Und so dreht sich die Abwärtsspirale weiter. Weniger (gut aufeinander abgestimmte) Angebote – weniger Fahrgäste – weniger Einnahmen – höhere Preise – weniger Fahrgäste – weniger Einnahmen …

Wobei: am Geld kann’s nicht in erster Linie liegen. Denn da gab’s 2011 erst eine Erhöhung der Bundeszuschüsse von über 7 Millionen Euro gegenüber 2010.

Wer zahlt für den ÖPNV?

Rund 93 % der knapp 600 Millionen € öffentlicher Gelder, die pro Jahr dem ÖPNV in Sachsen zur Verfügung stehen, kommen vom Bund (Freie Presse, 21.7.2012). Wie alle Bundesländer erhält der Freistaat Finanzzuweisungen “zur Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr” (§1 des Regionalisierungsgesetzes) – die sogenannten Regionalisierungsmittel.  Eigentlich sollten diese direkt an die Verkehrsverbünde weitergegeben werden, die dann tatsächlich für die Organisation des ÖPNV zuständig sind. Andere Bundesländer führen tatsächlich über 90 % so ihrer Zweckbestimmung zu. Sachsen unter Schwarz-Gelb hat offenbar andere Prioritäten: Im Vergleich zur bis Anfang 2011 geltenden ÖPNV-Finanzierungsverordnung kürzt die Staatsregierung in den Jahren 2011-2014 beim ÖPNV insgesamt 132 Millionen Euro. Mit einer Weiterleitung von nur noch 73 Prozent der Bundesmittel liegt Sachsen nun an der letzten Stelle im Bundesvergleich. (www.mobiles-sachsen.de) Deshalb wurden zum 1. November wieder kräftige Preiserhöhungen fällig, und das werden nicht die letzten sein. Es droht die weitere Ausdünnung der Busfahrpläne im ländlichen Raum auf reinen Schülertransport, außerdem die Abbestellung des Schienenverkehrs auf vielen Nebenbahnstrecken.

Besonders pikant bei der Streichorgie: Welches Bundesland wie viel vom Regionalisierungsmittelkuchen bekommt, bestimmt unter anderem die Dichte des Eisenbahnnetzes. Und da lag verschaffte das bis vor wenigen Jahren noch sehr dichte sächsische Bahnnetz dem Freistaat einen sehr guten Platz an dem entsprechenden Geldtopf des Bundes. 2015 wird dann neu verhandelt werden. Je weniger Bahnstrecken es dann  noch gibt in Sachsen, um so geringer werden künftig die Bundeszuschüsse ausfallen.

Sachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Sven Morlock, FDP, hat offenbar andere Prioritäten als den Öffentlichen Personenverkehr. Wer die SMWA-Internetseite besucht, erfährt etwas darüber, wie der Minister gegen das Erneuerbare Energien-Gesetz zu Felde zieht und für eine “Absenkung der Stromsteuer auf europäisches Mindestniveau” eintritt, eine Autobahnbaustelle besucht und sich versichern lässt, dass die Streusalzvorräte für Sachsens Straßen im kommenden Winter reichen werden.

Zwei, drei Klicks weiter erfährt man immerhin: “Der Freistaat Sachsen setzt sich für einen leistungsfähigen ÖPNV auf Schiene und Straße ein. Es ist erklärtes Ziel der Verkehrspolitik, die Marktanteile des ÖPNV am Gesamtverkehr zu erhalten und auszubauen.” Wenn man sich dann allerdings den Anfang Oktober von der Landesregierung beschlossenen Landesverkehrsplan anschaut (und die auch dort verteilten Nebelkerzen über die große Bedeutung des ÖPNV durchdringt), wird klar, dass genau das Gegenteil Realität ist. Die Grüne Verkehrspolitikerin Eva Jähnigen stellt dazu fest: “Offenbar hat Verkehrsminister Morlok einen Verkehrsplan vorgelegt, der nur eine Aufgabe hat: die Kürzungen beim Öffentlichen Verkehr und weiterhin die zu hohen Ausgaben bei Straßenneubau im Haushalt zu rechtfertigen. … Mit falschen Annahmen kommt der Landesverkehrsplan zu falschen Schlussfolgerungen. Die schwerwiegendste dieser falschen Schlussfolgerungen ist der sogenannte Rot-Gelb-Grünplan für die vorhandenen Bahnangebote. Die Regierung meint, dass Bahnangebote “abseits der Oberzentren” wegen momentan niedriger Fahrgastzahlen generell unrentabel seien. Sie sollen „zugunsten wirtschaftlicher Busverkehre oder alternativer Bedienformen … ersetzt“, also stillgelegt werden.”

Alarmsignal für die Freiberger Muldentalbahn

Zu den “roten” Bahnstrecken gehört unter anderem die Muldentalbahn oberhalb von Mulda. Die Freiberger Eisenbahngesellschaft, deren Züge zwischen Freiberg und Holzhau verkehren, scheint sich zwar sicher zu sein, noch bis 2019 entsprechend ihres Vertrages mit dem Verkehrsverbund Mittelsachsen die Strecke bedienen zu können. Doch bei einigen Lokalpolitikern gingen trotzdem die Alarmsignale an.

Zu denen gehört Karl-Heinz Mantau, Kreisrat aus Rechenberg-Bienenmühle. Interessanterweise mit FDP-Mandat. Er hat seinen Parteikollegen Morlock zu einer Informationsfahrt auf die Muldentalbahn eingeladen. Das war bereits im Juli, eine Zusage des Ministers gab es seither noch nicht.

Eva Jähnigen, Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, hingegen kam am 11. November mit der Freiberger Muldentalbahn ins Ost-Erzgebirge, um sich über die Initiativen der Region informieren, für den Erhalt der Strecke zu kämpfen. Die Grüne Liga Osterzgebirge hatte zu einer Bahnfahrt plus Wanderung eingeladen. Trotz strömenden Herbstregens nahmen zwei Dutzend Interessenten daran teil, denen die Zukunft dieser Strecke genauso wichtig ist wie ein insgesamt umwelt- und touristenfreundliches ÖPNV-Angebot in der Region.

Noch konnte die Grüne Liga Osterzgebirge ihre Naturkundliche Wanderung im November 2012 so organisieren, dass die meisten ohne Auto zum Ausgangspunkt kamen. Wenn es nach dem Willen der Landesregierung geht, werden sich die Orte im oberen Tal der Freiberger Mulde vielleicht einreihen müssen in die lange Liste der Osterzgebirgsorte, die wochenends nur noch  im eigenen Blech zu erreichen sein werden.

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Übrigens: Die Muldentalbahn war bis 1945 Teil einer damals recht bedeutsamen, grenzüberschreitenden Verbindung zwischen Most/Brüx und Freiberg. Auf der tschechischen Seite besteht heute noch die Bahnstrecke bis Moldau/Moldava, die sich in teilweise abenteuerlicherweise den steilen Osterzgebirgssüdabhang hinaufwindet. Deren technischer Zustand und auch die Auslastung sind allerdings inzwischen auch besorgniserregend. Die tschechischen Eisenbahnfreunde hofften immer noch, dass sich die deutsche Seite irgendwann entschließen würde, die Lücke zwischen Holzhau und Moldau wieder zu schließen. Der Bahndamm existiert noch. Dann würde sich sicher auch eine Sanierung auf der Südseite wieder lohnen. Die Tourismusregion Ost-Erzgebirge wäre um eine Attraktion reicher, vor allem aber um ein wichtiges Band zwischen Nachbarn, die voneinander immer noch viel zu wenig wissen.