Text: Christian Kastl, Bad Gottleuba; Jens Weber, Bärenstein
Fotos: Brigitte Böhme, Wolfgang Bunnemann, Hans-Jürgen Hardtke, Frank Müller, Jens Weber
Müglitz und Gottleuba, die ihr Wasser vom Kammgebiet der Osterzgebirgsflanke beziehen, fließen in ihren Oberläufen getrennte Wege: erstere nach Nordwesten, letztere mit Kurs Nordnordost. Dazwischen breitet sich um Liebenau und Breitenau eine weite, wenig gegliederte Hochebene aus. Regen, der hier niedergeht, verbleibt recht lange in der Landschaft, durchweicht den Boden und führt zu Standortbedingungen, die für landwirtschaftliche Nutzung nur bedingt geeignet sind. Die Bauern der Gegend unternahmen immer wieder Anstrengungen, mit Gräben das Wasser schneller abzuführen, ganz besonders zu DDR-Zeiten. Dennoch prägen auch heute noch viele kleine sumpfige Wäldchen diesen Teil des Ost-Erzgebirges, umgeben von mehr oder weniger feuchtem Grünland. Aus einem dieser Karpatenbirkenwäldchen (südlich des kleinen Weilers Walddörfchen) tritt der Quellbach der Seidewitz hervor. Nur dreihundert Meter entfernt, im Nachbarwäldchen, sammelt die Trebnitz ihr Wasser.
Da die Neigung der Erzgebirgsscholle an ihrem Ostrand verhältnismäßig steil ist (knapp 3 % - fast dreimal so viel wie etwa zwischen Sayda und Freiberg), genügt dem kleinen Bach nur ein Anlauf von ein, zwei Kilometern, um sich ein beachtliches Kerbsohlental zu graben. Noch ungestört von Straßenbauten, bietet der Hennersbacher Grund reizvolle Wander- und Naturerlebnisse.
Schon kurz unterhalb von Walddörfchen ragen einige kleinere Felskuppen aus den Talhängen. Auch auf den angrenzenden Steinrücken oder im Geröll des Baches erkennt man: hier dominiert uneingeschränkt Grauer Biotitgneis. Unterhalb von Hennersbach schneidet sich die Seidewitz immer tiefer in die Gneisfläche ein. 70 Meter Höhenunterschied auf gerade mal 200 m Luftlinie - so steil geht es von der Talsohle hinauf zum felsigen Grat des Ziegenrückens, der den links benachbarten Langen Grund vom Hennersbacher Grund trennt. Während dieser Ziegenrücken allerdings weitgehend mit Fichten bepflanzt wurde, wachsen am rechten Seidewitzhang naturnahe Laubmischwälder.
Die Bachsohle ist unterhalb von Hennersbach mit 30 bis 70 Metern recht schmal, und doch wird dem Gewässer hier noch der Luxus vieler Mäander gegönnt. Die meisten anderen Bäche in diesem Teil des Ost-Erzgebirges wurden begradigt und an den Rand ihrer Aue gedrängt, früher vor allem, um landwirtschaftliche Nutzfläche zu gewinnen, später dann, um Straßen, Eisenbahnen und Häuser bauen zu können. Der gewundene Seidewitzlauf hat im Gegenzug auch zu DDR-Zeiten eine allzu intensive Nutzung der Talwiesen verhindert, so dass sich, trotz aller Überweidungs- und Eutrophierungstendenzen der 1970er und 1980er Jahre, hier noch eine vergleichsweise artenreiche Grünlandvegetation erhalten konnte.
Bei extrem starken Niederschlägen, wie sie im östlichen Erzgebirge alle drei bis vier Jahrzehnte auftreten, läuft dem Seidewitztal von den umgebenden, großteils ackerbaulich genutzten Fluren von Breitenau und Liebenau, Waltersdorf und Börnersdorf sehr viel Wasser zu. In dem engen Grund wird die Hochwasserwelle schnell nach Norden geleitet, und vor allem Liebstadt war immer hart betroffen, wenn im Einzugsgebiet der Seidewitz Wolkenbrüche niedergingen. Als im Zuge der Intensivierung der DDR-Landwirtschaft in diesem Raum viele Feldraine und Steinrücken beseitigt wurden, stieg die Hochwassergefahr noch weiter an. Ein 24 m hoher Erdschüttdamm soll seit 1967 Sicherheit bieten. Das Hochwasserrückhaltebecken "Seidewitz" hat ein Wassereinzugsgebiet von 11,6 km² und einen Stauraum von 1,1 Millionen m³. Hinter dem Damm wird beständig eine Wasserfläche gestaut. Der Zweck dieses "Teilstaus" besteht darin, dass die mit plötzlich einströmendem Hochwasser angespülten Baumstämme und andere Festkörper abgebremst werden, bevor sie den Abfluss zusetzen oder Schäden am Staudamm verursachen könnten. So ganz nebenbei ist dabei aber auch ein für viele Tiere und Pflanzen wertvolles Stück Landschaft entstanden, während andererseits ein Damm jedoch die Wanderwege von Fischen unterbindet.
In Liebstadt fließen der Seidewitz von links der Döbraer und von rechts der Börnersdorfer Bach zu, deren Talstraßen sich für interessante Fahrradausflüge eignen. Vor allem der Molchgrund in Richtung Börnersdorf zeichnet sich, ähnlich wie der Hennersbacher Grund, durch naturnahe Waldbestände und vergleichsweise artenreiche Wiesen aus.
Wo der Börnersdorfer Bach in die Seidewitz mündet, erhebt sich am steilen Osthang das Schloss Kuckucksstein - ein im engen Tal sehr mächtig wirkendes Bauwerk, dessen Ursprünge im Dunkeln liegen. Ob allerdings bereits um 930/940 König Heinrich I. die Burg zu "Libenstat" hat anlegen lassen (wie in Tourismus-Publikationen oder unter www.kuckucksstein.de behauptet), darf doch bezweifelt werden. Zu dieser Zeit dürfte diese Gegend noch frei von Siedlungen und voll ursprünglicher Natur gewesen sein - der geringe strategische Nutzen einer Burg hätte hier im Niemandsland ("reichsunmittelbarer" Besitz des Königs) kaum den enormen Aufwand des Baus und der Unterhaltung gelohnt. Erst zwei- bis dreihundert Jahre später begannen die Burggrafen von Dohna, Kolonisten in den Miriquidi-Urwald südlich ihrer Feste zu schicken.
Liebstadt selbst wurde im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt. Ungewöhnlich für das Ost-Erzgebirge, zwängte es sich schon damals in die hochwassergefährdete Talaue. Zu Füßen der Burg ist allerdings wenig Raum für die Ansiedlung. Kaum 100 Häuser fanden hier Platz, und mit weniger als 1000 Einwohnern blieb Liebstadt lange Zeit kleinste Stadt Sachsens. Daran änderte sich auch im 19. und 20. Jahrhundert nicht viel, zu abgeschnitten war Liebstadt von den prosperierenden Industriezentren im Elbtal. Erst 1871 wurde durch französische Kriegsgefangene von Pirna her die schmale Talstraße im engen Seidewitztal gebaut. Die drängenden Bitten der Bürgerschaft um einen Eisenbahnanschluss, wie er etwa im Gottleuba- und Müglitztal zur spürbaren Belebung der Wirtschaft geführt hatte, blieben ungehört.
Beiderseits des Seidewitztales verliefen zwei alte Passwege in Richtung Erzgebirgskamm und weiter nach Böhmen: östlich der ab dem 18. Jahrhundert als "Alte Dresden-Teplitzer Poststraße" bezeichnete Höhenweg über Nentmannsdorf/Laurich - Göppersdorf - Börnersdorf (heute weitgehend identisch mit dem Verlauf der Autobahn A17); westlich eine kleinere Route über Großröhrsdorf - Seitenhain - Berthelsdorf - Döbra. Dieser Weg ist noch immer als "Pilgerpfad" bekannt, da er auch von Wallfahrern genutzt wurde, die ab dem 17. Jahrhundert nach Mariaschein (Bohosudov - heute Ortsteil von Krupka/Graupen) zogen.
Vom 17. bis ins 19. Jahrhundert prägten Schafe die Landschaft um Liebstadt ganz entscheidend mit. Wie zahlreiche andere Rittergüter des Ost-Erzgebirges hielt die Liebstädter Herrschaft eine über 1000-köpfige Schafherde, deren Wolle einen nicht unerheblichen Anteil an den Einnahmen der auf dem Schloss ansässigen Adligen ausmachte. Damit die Wolle allerdings fein genug für die teuren sächsischen Tuche wurde, durften die Schafe nicht zu üppiges Futter fressen. Magere Borstgrasrasen und Halbtrockenrasen waren dafür gerade richtig - heute sehr seltene Biotope, die einstmals die Landschaft geprägt haben müssen.
Unterhalb von Liebstadt verengt sich das Seidewitztal noch weiter zu einem von Felshängen begrenzten Kerbtal. Grund dafür ist die breite Barriere aus Quarzporphyr (= Rhyolith), den der Bach hier durchschneiden musste. Es handelt sich um einen mit etwa 500 Metern besonders breiten Riegel des "Sayda-Berggießhübler Porphyr-Gangschwarmes", der auf vulkanische Aktivitäten gegen Ende der Variszischen Gebirgsbildung (Wende Karbon/Perm, vor ca. 300 Millionen Jahren) zurückgeht.
Nachdem die Seidewitz den harten Quarzporphyr hinter sich gelassen hat, bleibt das Tal dennoch eng, steil und felsig. Von kleineren Porphyrgängen durchzogener Gneis bildet hier Felsklippen wie die "Kleine Bastei", die einen großartigen Blick auf die bewaldeten Hänge bietet.
In Höhe der Schneckenmühle verlässt die Seidewitz das Ost-Erzgebirge, durchbricht die "Mittelsächsische Störung" und dringt in den Rumpf des alten Elbtalschiefergebirges ein. Deutlich weitet sich zunächst das Tal und bietet wieder Platz für eine, wenn auch nicht allzu breite Aue mit einstmals artenreichen Wiesen. Die hier anstehenden Phyllite (= Tonglimmerschiefer) sind vergleichsweise weich und bieten der Erosion weniger Widerstand als die härteren Kristallingesteine (Gneis und - deutlich mehr noch - Porphyr) des Erzgebirges. Doch schon bald behindern wieder Felshänge den weiteren geradlinigen Lauf der Seidewitz nach Norden. Das Tal verengt sich erneut, wird aber sofort wieder breiter, um sich gleich darauf abermals zu verengen. Fast senkrecht aufgerichtete Schichten unterschiedlicher Gesteine prägen in rascher Abfolge das Elbtalschiefergebirge. Nach den überwiegend weichen Phyllitschiefern folgen härtere Diabastuffe; außerdem Kalklager, die über lange Zeit abgebaut wurden und eine - für die ansonsten sauren sächsischen Verhältnisse - besondere basenliebende Vegetation beherbergen. Talabwärts schließlich kommt noch eine Schicht sehr harter Kieselschiefer und Hornblendegesteine. Im Hartsteinwerk Nentmannsdorf wird dieser metamorph umgeformte Diabas heute in einem großen, tiefen Steinbruch gewonnen. (Diabas ist ein altes vulkanisches Ergussgestein, das in diesem Fall später noch einmal unter hohen Druck und hohe Temperaturen geriet, dabei umgewandelt und noch härter wurde.)
Das Elbtalschiefergebirge hat eine weit zurückliegende, komplizierte Entstehungsgeschichte hinter sich. Lange bevor das Variszische Gebirge (mit dem "Ur-Erzgebirge") entstand, lagerten sich im Erdaltertum auf dem Meeresgrund Tone und andere Sedimente ab, über einen kaum vorstellbaren Zeitraum von mindestens 150 Millionen Jahren. Im Verlaufe der Erdgeschichte wurden diese Ablagerungen zu Sedimentgesteinen verdichtet, wie sie heute noch im Norden des Elbtalschiefergebirges als "Weesensteiner Grauwacke" anstehen. Vor allem aber erfuhren sie während der Variszischen Gebirgsbildung - als die unteren Schichten enormem Druck und hohen Temperaturen ausgesetzt waren - eine Umwandlung ("Metamorphose") zu Phylliten und anderen Schiefergesteinen. Ab und zu drangen basische Magmen auf und bildeten Diabas.
Nachdem dieses vielgestaltige Gesteinspaket zunächst zwischen Erzgebirgskristallin (dem "Ur-Erzgebirge") und Lausitzer Granitmassiv zusammengepresst wurde, veränderte sich die Richtung der tektonischen Plattenbewegung gegen Ende der Variszischen Gebirgsbildung. Lausitz und Erzgebirge begannen, sich voneinander zu entfernen - die dazwischenliegende "Elbtalzone" (an die heutige Elbe war damals freilich noch lange nicht zu denken) wurde zum Grabenbruch. Damit sanken auch die hier lagernden Phyllite, Kalksteine, Diabase, Grauwacken und sonstigen Gesteine in die Tiefe, und zwar in der Mitte stärker als an der Grenze zum Erzgebirgskristallin. Diese Entwicklung führte am Ende dazu, dass die ursprünglich übereinander lagernden Gesteinsschichten an ihrem Südwestrand fast senkrecht aufgestellt wurden.
Dieses Bild rasch wechselnder, steiler Schieferfelsen bietet sich heute vom Elbtalschiefergebirge in den Tälern von Müglitz (zwischen Mühlbach und Weesenstein), Seidewitz (zwischen Schneckenmühle und Autobahn) sowie Bahre (unterhalb Friedrichswalde-Ottendorf). Auf den dazwischenliegenden Hochflächen nimmt man das "Gebirge" allerdings kaum als solches wahr. Zu lange und zu intensiv haben die Kräfte der Abtragung gewirkt, als dass noch nennenswerte Höhenrücken übriggeblieben wären, abgesehen vom Ziegenrücken zwischen Weesenstein und Oberseidewitz.
Die Vielgestaltigkeit der Gesteine, vor allem aber die eingeschlossenen Kalklager, verleihen dem Elbtalschiefergebirge eine große Bedeutung für die Artenvielfalt. Fast 500 Pflanzenarten sind hier zu Hause, darunter zum Beispiel neun Orchideenarten.
Wegen seines herausragenden geologischen, botanischen und auch zoologischen Wertes wurde 1997 das mittlere Seidewitztal als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Auf einer Tallänge von 5,5 Kilometern, zwischen der Schneckenmühle und dem Steinbruch unterhalb der Nentmannsdorfer Mühle, steht seither eine Fläche von 187 Hektar unter Naturschutz, davon zwei Drittel naturnahe Mischwälder und ein Drittel Offenland, vor allem Auwiesen. Sie vereinigt damit recht gegensätzliche Ausbildungen wie schattige Nordhänge, trocken-warme Südhänge, Felswände, Magerrasen, Streuobstflächen, Wälder mit Mittel- und Niederwaldbewirtschaftung und gut durchfeuchtete Auen.
Das Hochwasser 2002 hat darüberhinaus einige Schotterflächen in der Aue hinterlassen, die auch vor den nachfolgenden Aufräumungen und Ausbaggerungen bewahrt werden konnten. Die darauf ablaufenden Sukzessionsprozesse - Ansiedlung zunächst lichtbedürftiger Pflanzen, dann zunehmend Gehölzaufwuchs - liefern wertvolle Einsichten in ökologische Prozesse.
Als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet "Seidewitztal und Börnersdorfer Bach" sowie als Bestandteil des EU-Vogelschutzgebietes "Osterzgebirgstäler" bildet das Gebiet auch einen wichtigen Baustein innerhalb des gesamteuropäischen Biotopverbundnetzes NATURA 2000.
Aber auch dies konnte den gravierendsten aller mögliche Eingriffe in den Naturhaushalt, den Bau einer Autobahn, nicht verhindern. Zwar wurden zahlreiche Maßnahmen getroffen, die Auswirkungen der A17-Brücke im unteren Seidewitztal, die Zerschneidungswirkung der Trasse zwischen den Lebensräumen Bahre- und Seidewitztal sowie die Wahrscheinlichkeit von Gewässerbelastungen im Quellgebiet des Börnersdorfer Baches zu minimieren. Dennoch hat die Region viel von ihrem Reiz verloren, und weitere Vorhaben, wie ein großes Gewerbegebiet an der Autobahnabfahrt Bahretal, drohen zusätzlich Unruhe in die Gegend zu bringen. Nur bei einer Wanderung oder Radtour im engen, gewundenen Tal der Seidewitz ist zum Glück von all dem noch wenig zu spüren.
Die strukturreiche Tal-Landschaft und die zugrundeliegende geologische Vielgestaltigkeit lassen auch eine mannigfaltige Flora gedeihen, die wiederum Grundlage für eine artenreiche Fauna ist.
Das Quellgebiet der Seidewitz wird von kleinen Wäldchen geprägt, die zwar teilweise mit Blaufichten bepflanzt wurden, nachdem die Rauchschäden der 1980er Jahre die vorher hier stockenden Fichten hinweggerafft hatten. Die nassen Standorte werden hingegen von Karpatenbirken bewachsen, einer östlichen Unterart der Moorbirke. Außerdem kommen einzelne Erlen, Ebereschen sowie, in der Strauchschicht, Faulbaum und Ohrweide vor. Die Bodenvegetation setzt sich aus einer Mischung von Feuchtwiesenarten (Gewöhnlicher Gilbweiderich, Sumpf-Hornklee u.a.) und Bergwaldarten (Quirlblättrige Weißwurz, Fuchs-Kreuzkraut, Wolliges Reitgras) zusammen. In besonders nassen Bereichen haben sich auch noch Torfmoose den Entwässerungsversuchen widersetzt, während vor allem am Rande der Wäldchen Stickstoffzeiger wie Brennnessel und Himbeeren noch heute von den früher reichlichen Dünger- und Güllegaben auf den umliegenden Grünlandflächen profitieren. Dieses Grünland soll vor einigen Jahrzehnten noch recht artenreich gewesen sein, aber intensive Weidenutzung hat davon nur wenig übrig gelassen.
Auch die Auwiesen im Hennersbacher Grund, im Molchgrund, im Langen Grund und am Döbraer Bach waren einstmals deutlich vielgestaltiger und artenreicher als heute, ebenso die schmale Talaue unterhalb von Liebstadt. Dennoch kann man auch heute noch eine Reihe von Pflanzen finden, die für solche Lebensräume typisch sind. Entlang der oberen Talabschnitte wachsen noch einzelne feuchte Bergwiesen mit Bärwurz, Alantdistel, Perücken-Flockenblume und Wiesen-Knöterich, näher am Bach auch Feuchtwiesen und Uferstaudenfluren mit Rauhem Kälberkropf, Mädesüß, Kohl-Distel und Sumpf-Pippau. Auch einzelne Trollblumen und Sterndolden verbergen sich in den Tälern. Teilweise haben sich Erlengehölze entwickelt und entsprechen natürlichen Sternmieren-Schwarzerlen-Bachauenwäldern. Unterhalb von Liebstadt wurden große Teile der noch in den 1980er Jahren bedeutenden Auenbereiche - unter anderem große Bestände der Herbstzeitlose - der Verlegung von kilometerlangen Abwasserrohren geopfert. Bei Nentmannsdorf entstand damals eine völlig überdimensionierte Kläranlage, an die sich (auf politischen Druck hin) die Gemeinden anschließen ließen - und dann auf beträchtlichen Schuldenbergen sitzen blieben.
Die Wiesenhänge rings um Liebstadt beherbergen einige Arten, die für das Ost-Erzgebirge botanische Besonderheiten darstellen. In erster Linie ist das nicht seltene Auftreten der Wiesen-Schlüsselblume zu nennen, die eigentlich basenreichere Böden bevorzugt, als der vorherrschende Gneis normalerweise hervorzubringen vermag. Offenbar ist hier - wie auch im Trebnitzgrund und um Glashütte - der Gneis deutlich reicher an Kalzium und Magnesium als anderswo. Auch das Stattliche Knabenkraut, das früher vom regelmäßigen Kalken der Wiesen profitiert hatte, kann sich an einigen wenigen Stellen (Flächennaturdenkmal "Liebstädter Wiese") behaupten.
Auch im Seidewitztal wurden an vielen Stellen die Wälder in Fichtenforsten umgewandelt. Doch dank der überwiegend bäuerlichen Besitzverhältnisse einerseits und der teilweise schwer zu bewirtschaftenden Steilhanglagen andererseits blieben außerdem sehr abwechslungsreiche, naturnahe Waldbestände bestehen. Überwiegend handelt es sich um Traubeneichen-Buchenwälder, in denen durch jahrhundertelange Mittelwaldwirtschaft die stockausschlagsfähigen Eichen zulasten der zwar eigentlich konkurrenzkräftigeren, aber hierzulande kaum stockausschlagsfähigen Buche gefördert wurden. In der Bodenflora dieser Wälder fällt der hohe Anteil an Wald-Schwingel auf. Auf nährstoffreicheren, schattigen Standorten wachsen auch Ahorn, Eschen und, heute nur noch vereinzelt, Berg-Ulmen. Diese Edellaubholz-Schatthangwälder waren ein wichtiger Grund für die Ausweisung des Gebietes als FFH-Gebiet. Ebenso von überregionaler Bedeutung sind die Eibenbestände an den Talhängen unterhalb Liebstadts.
Eine herausragende Fülle an Pflanzen- und Tierarten beherbergt das Naturschutzgebiet "Mittleres Seidewitztal" mit seiner geologischen Mannigfaltigkeit, den daraus resultierenden unterschiedlichen Böden, Hangrichtungen und -neigungen, aber auch der in der Vergangenheit erfolgten menschlichen Eingriffe in das Gebiet. Die wahrscheinlich bereits seit dem 16. Jahrhundert genutzten Kalklagerstätten bei Nentmannsdorf haben Steinbrüche, Halden und Stollen hinterlassen, die kalkliebenden Pflanzen genauso Lebensraum bieten wie auch geeignete Landschaftsstrukturen für verschiedene Tierarten. Beispielsweise bezieht hier ein Teil der Kleinen Hufeisennasen ihr Winterquartier. Es handelt sich dabei um eine sehr seltene Fledermausart, die im nordöstlichen Osterzgebirgsvorland ihr deutschlandweit bedeutendstes Vorkommen hat.
Bisherige Untersuchungen im Schutzgebiet brachten Nachweise von rund 470 Pflanzenarten. Stellvertretend sollen hier genannt werden: Europäisches Pfaffenhütchen, Großblütiger Fingerhut, Leberblümchen, Wald-Labkraut, Pfirsichblättrige Glockenblume, Schwärzender Geißklee, Echtes Tausendgüldenkraut, Herbst-Zeitlose, Rauhe Nelke, Weiße Schwalbenwurz, Skabiosen-Flockenblume, Bärenschote und verschiedene Waldorchideen (am häufigsten: Breitblättriger Sitter). Insbesondere die Kalkschotterhalden und Kalkfelsen des Naturschutzgebietes sind für sächsische Verhältnisse einzigartig.
Bisher wurden etwa 50 Brutvogelarten, z. B. Rotmilan, Raubwürger, Pirol und Wasseramsel erfasst. Weiterhin bemerkenswerte Vertreter der Fauna sind Feuersalamander (teilweise noch in erfreulich großer Zahl), Siebenschläfer und Große Wasserspitzmaus. Etwa 20 Laufkäfer-, reichlich 30 Tagfalter- und zehn Heuschreckenarten komplettieren die lange Liste bedeutender Tierarten des Naturschutzgebietes.
Jobst, Walter; Grundig, Heinz (1961): Um Gottleuba, Berggießhübel und Liebstadt; Werte der deutschen Heimat 4
Kastl, Christian (1978): Dokumentation der geschützten Wiesenflächen im NSG Oelsen. - Institut für Landschaftsforschung und Naturschutz, Arbeitsgruppe Dresden; Unveröffentlichtes Manuskript
Weber, Jens u.a. (1972): Schutzwürdigkeitsgutachten für das geplante Naturschutzgebiet "Seidewitztal"; Naturschutzbund Sachsen, unveröffentlicht