Text: Jens Weber, Bärenstein
Fotos: Dietrich Papsch, Alexander Tinius, Andreas Köhler, Jens Weber, Ulrike Wendel
Mancher Winterurlauber hat Pech in Altenberg oder Zinnwald. Da kann nur wenige Kilometer nördlich herrlichster Sonnenschein sein, doch über den Erzgebirgskamm schwappt unablässig der "Böhmische Nebel". Die Großwetterlage treibt von Süden her die Luftmassen gegen den Erzgebirgskamm und zwingt sie zum Aufsteigen. Dabei kühlt sich diese Luft rasch ab und der in ihr gespeicherte Wasserdampf kondensiert zu Nebeltröpfchen. Richtig ungemütlich ist dann der daraus resultierende nasskalte stürmische Wind, der mitunter tagelang den Kahleberg umweht. Erst wenn die Südwindwetterlage vorbei ist, wird es besser. Dann kann man über die skurrilen Gestalten staunen, die der abgesetzte Nebel als Raufrost an Bäumen, Zäunen und Jagdkanzeln hinterlassen hat. "Anraum" nennen die Erzgebirgler diesen Winterzauber.
Man kann aber auch richtig viel Glück haben mit seinem Skiurlaub am Erzgebirgskamm. Wenn sich im Winter ein Hochdruckgebiet über Mitteleuropa festsetzt, dann ruhen die Winde. Es bilden sich so genannte Inversionswetterlagen aus: Kalte, schwere Luft sinkt in die Täler und sorgt dort im Extremfall für nasskaltes Nieselwetter. Kahleberg, Lugstein und Bornhau/Pramenác hingegen schauen raus aus der Inversionsschicht. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, während unten die weißen Wolken wabern. Weil der Lugstein eine der wenigen Stellen markiert, wo der Erzgebirgskamm ein kurzes Stück auf deutscher Seite verläuft, ist besonders der Blick nach Süden interessant. Dort ragt der 835 m hohe Milleschauer/Milešovka-Kegelberg einsam aus dem endlosen Wolkenweiß heraus, links daneben vielleicht noch der 706 m hohe Kletschen/Kletecná ("Kleiner Milleschauer"). Nicht selten bietet sich bei solchen Wetterlagen auch fantastische Fernsicht. Bis zum Isergebirge und Jeschken reicht der Blick - oder gar bis zur über 130 Kilometer entfernten Schneekoppe im Riesengebirge. Dafür braucht man dann allerdings eine Extraportion Glück im Winterurlaub.
Der klimatische Normalfall sind in Mitteleuropa jedoch Westwetterlagen. Feuchte Luftmassen vom Atlantik ziehen gen Osten, und wo immer sich Berge in den Weg stellen, hinterlassen sie etwas von dieser Feuchtigkeit in Form von Steigungsregen. Der Südwest-Nordost-verlaufende Erzgebirgskamm ist generell so ein Wolkenfänger, doch noch mehr gilt das für den nach Norden ragenden Seitenkamm des Kahlebergmassivs. Der durchschnittliche Jahresniederschlag liegt bei 1000 Litern pro Quadratmeter, ein knappes Drittel mehr als im Dresdner Elbtal (und fast doppelt so viel wie im Regenschatten des Nordböhmischen Beckens).
Von der 50 bis 70 Meter über die Umgebung hinausragende Platte des Kahleberges selbst läuft das Wasser ab. Doch in den Senken zu seinen Füßen, und noch mehr in der weiten Kammebene zwischen Lugstein und Bornhauberg/Pramenác, da verweilen Regentropfen, Nebelnässe und Schneeschmelze ziemlich lange. Wo sich das Wasser über undurchlässigen Gesteinsschichten staut, kommt es zur Moorbildung. Zumindest war das in den letzten sieben- bis zehntausend Jahren so. Georgenfelder Hochmoor, Seegrundmoor und Seifenmoor entstanden, darüber hinaus noch eine ganze Anzahl kleinerer Moorbereiche.
Vor fünfhundert Jahren jedoch begannen Menschen, den Mooren das Wasser abzugraben. Denn: nicht nur in den Geländesenken sammelte sich die Flüssigkeit, sondern auch in den Gruben der Bergwerke. Das Problem des Grubenwassers wurde immer größer, je tiefer sich die Altenberger Bergleute vorarbeiteten. "Wasserkünste" sollten die Abbausohlen trocken halten. Angetrieben werden mussten diese hölzernen Hebevorrichtungen allerdings mit - Wasser. Die kleinen Bäche hier oben in Kammnähe bringen allein aber bei weitem nicht genügend Energie dafür auf, all diese Wasserkünste und außerdem noch Pochwerke und Erzwäschen in Gang zu halten. Also begannen die Bergwerks-Gewerkschaften, Kunstgräben dorthin zu graben, wo Wasser in großer Menge gespeichert war: in den Mooren. Einen Teil dieser Moorlandschaft verwandelten sie um 1550 gleich zu zwei Kunstteichen. In den nachfolgenden Jahrhunderten erfuhren diese Galgenteiche noch mehrfache Erweiterungen. Zwischen 1988 und 1992 kam noch ein dritter Speicher hinzu, und zwar dort, wo vorher die Reste des Seifenmoores lagen.
Die Hochmoore wurden bei alledem immer mehr ihres Lebenselixiers beraubt. Das endgültige Aus kam für die meisten von ihnen mit dem verheerenden Waldsterben der 1970er bis 1990er Jahre. Als die Fichtenforsten abstarben und die Förster im Wettlauf mit den Borkenkäfern die Bestände abholzen mussten, gingen auch der Verdunstungsschutz und die wichtigen Nebelsammler verloren (man stelle sich einmal bei Nebel unter eine Fichte und achte auf das Tropfen unter der Krone!). Die letzten, noch halbwegs intakten Moorreste kann man im Naturschutzgebiet Georgenfelder Hochmoor sowie - auf tschechischer Seite - im Seegrundmoor erleben. Aber auch diese wertvollen Lebensräume seltener Pflanzen und Tiere sind für ihr Überleben auf praktische Naturschutzmaßnahmen angewiesen. Nahe liegend und ziemlich effektiv ist dabei der Stau der alten Entwässerungsgräben.
Trotz Klimaerwärmung: Zinnwald und das Kahlebergmassiv gelten bislang als ziemlich schneesicher. Auch wenn ringsum alles weggetaut ist, die Loipe auf der Schneise 30 zwischen Lugstein und Kahleberg lockt dann immer noch die Skiausflügler. Auf der mehrfach erweiterten Biathlonarena im Hoffmannsloch finden internationale Wettkämpfe statt und locken tausende Besucher an. In der einerseits fragilen, noch immer mit den Folgen des Waldsterbens ringenden Landschaft, die andererseits aber auch Heimat für seltene Tierarten bietet, ist ein derartiger Massentourismus nicht unproblematisch.
Vor 310 bis 305 Millionen Jahren, am Ende der Variszischen Gebirgsbildung im Karbon, ging es heiß her in der Gegend, die später zum Ost-Erzgebirge werden sollte. Wahrscheinlich befand sich hier der Nordrand eines riesigen Supervulkans. Der größte Teil von dessen viele Quadratkilometer umfassender Caldera (Einsturzkrater) ist heute unter viel jüngeren Gesteinen in Nordböhmen verborgen. Die "Altenberger Scholle" hingegen wurde rund 280 Millionen Jahre später mitsamt dem heutigen Erzgebirgskamm angehoben. Die seither erfolgte Erosion hat die Gesteine des Erdaltertums in unterschiedlichem Maße abgetragen, je nach deren Verwitterungsbeständigkeit.
Den meisten Widerstand leistet dabei der Teplitzer Quarzporphyr (heute als Rhyolith bezeichnet). Bei diesem handelte es sich ursprünglich um zähflüssige, saure Lava, welche aus einer langen Spalte austrat, die sich vom Supervulkan aus in Richtung Norden erstreckte. Gegenüber chemischer Verwitterung ist das dichte, meist rötliche Vulkangestein außerordentlich beständig. Die daraus resultierenden Böden sind arm, flachgründig und nur für sehr anspruchslose Pflanzen ausreichend. Jedoch: während des Erkaltens der Lava muss es ziemlich turbulent zugegangen sein in der Erdkruste des späteren Erzgebirges. Der Quarzporphyr wurde gepresst und gequetscht. Die dabei entstandenen Klüfte im Gestein bieten seither der physikalischen Verwitterung Angriffsflächen. Dies wirkte sich besonders während der Eiszeiten recht nachhaltig aus. Wasser drang in die Klüfte und gefror. Je kälter es wurde, um so mehr vergrößerte das Eis sein Volumen ("Anomalie des Wassers"). Beim nächsten Auftauen ließ der Druck nach, die zusammengepresste Gesteinsmasse konnte sich wieder ausdehnen, wobei sich die Bindungskräfte zwischen den Mineralen lockerten. Über lange Zeiträume wiederholt, sprengten diese Prozesse den scheinbar unverwüstlichen Quarzporphyr zu großen Blöcken. Das Ergebnis liegt auf den Blockhalden des Kahleberges zutage.
Die Klüftigkeit des Kahleberg-Porphyrs hatte auch schon am Anfang seiner Entstehung Konsequenzen. Kieselsäure drang in die Ritzen und Spalten und veränderte das Gestein. Im Gegensatz zu den Quarzporphyrklippen des Lugsteins erscheint das Material der Kahlebergblockhalde eher graugrün. Und es ist noch härter als der Rest. So gibt es zwischen dem Steinmeer nur ganz wenige Bodenkrümel.
Nicht alles Magma des Oberkarbons erreichte die Erdoberfläche. Ein Teil blieb auch weit unter den Bergkämmen des damaligen Variszischen Gebirges stecken und erkaltete zu Granit. Der Schellerhauer Granit bildet vom Kahlebergfuß aus nordwestwärts die Landschaft. Weil dieses Gestein der Verwitterung deutlich weniger entgegenzusetzen hat als der extraharte Quarzporphyr des Kahleberges, hat sich die markante, weithin sichtbare Landstufe herausgebildet.
Der Bergbau benötigte nicht nur Wasser, sondern auch Holz. Und das in großen Mengen - anfangs für den Brandweitungsabbau des Erzes (das Felsgestein wurde durch Hitze gelockert), vor allem aber auch für die Schmelzhütten. Anders als in anderen Bergrevieren wurde in Altenberg das Zinn gleich im Ort aus dem Erz gewonnen. Bereits im 16. Jahrhundert erhielt der Kahleberg seinen Namen, als der dortige Wald abgeholzt war. Einer schnellen natürlichen Wiederbewaldung standen die ungünstigen klimatischen und Bodenverhältnisse entgegen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte die systematische Aufforstung mit Fichten. Dabei wurde auch das heute noch prägende System von Flügeln und Schneisen angelegt.
Ab den 1960er Jahren machten sich dann immer mehr die Abgase nordböhmischer Braunkohleverbrennung bemerkbar. Der "Böhmische Nebel" - wie eingangs gezeigt, eigentlich eine ganz natürliche Erscheinung - brachte Schwefeldioxid in immer größeren Konzentrationen mit sich. Die Fichtenforsten waren dem nicht gewachsen. Das SO2 selbst führte zu akuten Schäden in den Nadeln, die im Nebel enthaltene schweflige Säure verursachte Verätzungen, und die in die Böden eingespülte Säure zog langfristige Störungen der ohnehin schwierigen Nährstoffversorgung der Pflanzenwurzeln nach sich. In trockenwarmen Sommern machten sich Borkenkäfer in großen Schwärmen über die Fichten her, die keine Kraft mehr aufbrachten, die Rinden-Eindringlinge hinaus zu harzen. Anfang der 1980er Jahre war der Kahleberg wieder kahl, eine gruselige Landschaft voller Baumgerippe.
In den schlimmsten Zeiten Mitte der 1980er Jahre konnte ein Kubikmeter Luft 2000 Mikrogramm SO2 und mehr enthalten. Das war nicht nur schlecht für die Wälder, sondern durchaus auch kritisch für die Gesundheit (wobei die Belastungen der Menschen im Nordböhmischen Becken ja noch unvergleichlich schlimmer waren). Mit der "Wende" war die Hoffnung auf schnelle Besserung groß, doch 1996 brachte einen herben Rückschlag und veranlasste viele Menschen, bedeutend größere Anstrengungen zur Luftreinhaltung beiderseits der Grenze zu fordern. Die Altenberger Bürgerinitiative "Gesunder Wald" organisierte, von der Grünen Liga wesentlich unterstützt, mehrere große Demonstrationen.
Inzwischen gehört das Schwefeldioxid-Problem - hoffentlich - der Vergangenheit an. Wenn die Wetterlage ganz ungünstig ist, kann die SO2-Konzentration manchmal noch 20 Mikrogramm betragen. Meistens aber ist die Luft am Kahleberg rein. Die mühsam gepflanzten Bestände an "rauchtoleranten" Ersatzbaumarten sowie die natürlich angesiedelten Vogelbeerbäume lassen die Narben langsam in Vergessenheit geraten.
Die E55 entwickelte sich seit den 1970er Jahren immer mehr zur Haupt-Transitachse zwischen Mittel- und Südosteuropa. Zwei-, dreihundert Lkws rollten in den 1980er Jahren über den Zinnwalder Erzgebirgspass. Mit der Wende schnellte diese Zahl auf über siebenhundert pro Tag. Das war schlimm für die Zinnwalder, weil sich die Laster in ihrem Ort vor der Zollabfertigung stauten. Und es war höchst kritisch für die ohnehin stark geschädigten Wälder. "Der Umwelt dienen - Güter auf die Schienen" stand etwas hilflos auf dem Spruchband, mit dem auf Initiative der Grünen Liga 1992 ein Häuflein besorgter Umweltschützer eine halbe Stunde lang die Grenzstation in Zinnwald blockierte.
Das immer weiter anschwellende Transitproblem und die anhaltenden Beschwerden der Ost-Erzgebirgler führten Mitte der 1990er Jahre schließlich zur Einrichtung einer "Rollenden Landstraße" im Elbtal. Der Huckepacktransport von Lkws auf der Eisenbahn trug nicht unerheblich dazu bei, dass die Lastermenge auf der B170 zunächst konstant blieb. Den leidgeplagten Anwohnern blieb bis Ende der 90er Jahre Schlimmeres erspart, weil mit der ROLA eine Alternative zur Verfügung stand - und weil Straße und Grenzabfertigung nicht mehr bewältigen konnten.
Doch 1997 zeichnete sich ein Schreckgespenst ab: die B170 sollte ausgebaut, durchlässiger gemacht werden, vor allem mit einer riesigen neuen Grenzzollanlage in Zinnwald. Die Grüne Liga Osterzgebirge versuchte dagegen mobil zu machen, kämpfte sich durch Berge von Planungsunterlagen, stritt sich mit den Planungsbehörden. Es half nichts. Rund 12 Hektar Bergwiesen wurden unter Beton begraben, und 2001 nahm die größte deutsche Grenzzollanlage ihren Betrieb auf. Das Haltbarkeitsdatum klebte zu diesem Zeitpunkt schon dran, denn der EU-Beitritt Tschechiens und der nachfolgende Wegfall der Zollkontrollen war absehbar.
Nicht minder klar absehbar war der nachfolgende sprunghafte Anstieg der Lkw-Zahlen. Nicht mehr "nur" 700, sondern 2.000 Vierzigtonner quälten sich nun tagtäglich über den Erzgebirgskamm. In der Ortslage Zinnwalds war durch den Tunnelbau Ruhe eingekehrt, doch das Leben der Anwohner entlang der übrigen Strecke wurde zur Hölle. Wiederum auf Initiative der Grünen Liga Osterzgebirge fanden sich einige engagierte Bürger zu einer Initiative zusammen, die das nicht erdulden wollte. Die Bürgerinitiative "Lebenswertes Erzgebirge" (kurz: BI B170) organisierte verschiedene Protestformen, unter anderem eine große Demonstration am 9. August 2002 in Schmiedeberg. Eintausend Luftballons stiegen an diesem Tag in den Himmel, daran hing die Forderung nach Sperrung der Straße für den Gütertransit.
Man könnte fast glauben, dass dieser Hilferuf gegen die himmelschreienden Zustände etwas bewirkte: In den folgenden Tagen kam eimerweise Wasser von oben, in Altenberg vierhundert Liter pro Quadratmeter. Gewaltige Mengen strömten unter anderem von der neuen Grenzzollanlage ungehindert talwärts.
Das "Jahrtausendhochwasser" zerstörte auch die Bundesstraße. Lkw-Transit war hier nicht mehr möglich. Und siehe da: die Wirtschaft brach deswegen nicht zusammen. Dessen ungeachtet gehörte es zu den obersten Prioritäten der sächsischen Regierung, die B170 so schnell wie möglich wieder für den Güterverkehr freizumachen. Es wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt, an vielen Stellen zulasten der Natur. Bereits nach einem dreiviertel Jahr, als viele hochwassergeschädigte Wohnhäuser noch Ruinen waren, konnten die Transit-LKW wieder rollen. Da halfen keine Bittbriefe, Petitionen und Demonstrationen.
Einen neuen Sprung gab es 2004 mit dem Wegfall der meisten Zollkontrollen in Zinnwald. Gleichzeitig war der Staatsregierung die "Rollende Landstraße" zu teuer geworden. Hinzu kam die Freigabe der Autobahn A17 bis zur Anschlussstelle B170. Von nun an stauten sich täglich über dreitausend, nicht selten auch viertausend schwere Transit-Lkw zwischen Eichwald/Dubí und Bannewitz. Immer mehr Menschen fanden sich zusammen, um sich nicht länger von Politikerversprechen vertrösten zu lassen. Besonders lautstark wurde der Protest, als die Verantwortlichen 2006 plötzlich nichts mehr davon wissen wollten, dass nach Fertigstellung der A17/D8 die Bundesstraße 170 für den grenzüberschreitenden Gütertransit gesperrt wird.
Wenigstens in diesem Punkt war die Bürgerinitiative dann schließlich doch erfolgreich. Das Problem ist jetzt vom Kahleberg an den Sattelberg verlagert worden. Dort fahren inzwischen noch deutlich mehr Laster als in schlimmsten Zeiten auf der B170. Die Menge der ausgestoßenen Abgase ist enorm, konkrete Zahlen aber nicht zu bekommen.
Neben giftigen, chemisch komplizierten Kohlenwasserstoffverbindungen wirken sich vor allem die Stickoxide aus. Sie wirken als Dünger in der Landschaft und lassen die heimische Artenvielfalt von Brennnesseln und anderen Konkurrenzstrategen verdrängen. Weiterhin tragen die in Wasser zu salpetriger Säure gelösten Stickoxide zur Bodenversauerung bei. Und schließlich entsteht in der vermeintlich sauberen Gebirgsluft durch die Einwirkung von UV-reicher Sonnenstrahlung Ozon - ein aggressives Zellgift. Wie hoch die aktuellen Ozonwerte in Zinnwald sind, kann man sich unter http://www.umwelt.sachsen.de/de/wu/umwelt/lfug/lfug-internet/Luftonline_neu/Applikation/Station.cfm anschauen. Doch ist dies kein spezifisches Problem des Ost-Erzgebirges. Unter den vom Ozon wesentlich mit hervorgerufenen "Neuartigen Waldschäden" leiden fast alle mitteleuropäischen Gebirge.
Und die riesige Grenzzollanlage in Zinnwald? Die wird eigentlich nicht mehr gebraucht und sollte nach der ursprünglichen Baugenehmigung ("Planfeststellungsbeschluss") wieder abgerissen werden. Aber Altenberg möchte hieraus lieber einen großen Parkplatz machen. eine neue Zufahrtsstraße soll von hier aus zur Biathlonarena gebaut werden - mitten durch den Lebensraum von Birkhuhn und Wachtelkönig.
Die Heimat der Bäume, die heute wieder einen jungen Wald um den Kahleberg bilden, liegt eigentlich in weiter Ferne: Stech-Fichten (in einer besonderen Farbvariante als Blaufichten bekannt) stammen aus den Rocky Mountains. Ebenfalls im Westen Nordamerikas sind die Murray-Kiefern zu Hause (und heißen ihrer unsymmetrischen Zapfen wegen eigentlich Dreh-Kiefern). Aus Fernost schließlich kommen die Japan-Lärchen mit ihren bläulichen Nadeln und rötlichen Trieben. Außerdem wurden noch Omorika-Fichten aus Serbien und Europäische Lärchen aus den Alpen oder Karpaten gepflanzt (bzw. Hybrid-Lärchen - eine Kreuzung zwischen der Japanischen und Europäischen Art). Auf ihnen allen ruhten in den 1980er Jahren die Hoffnungen der Förster, dass sie nicht nur mit den harschen Klima- und Bodenverhältnissen des Kahleberggebietes klarkommen, sondern auch mit den zeitweise extremen Abgasbelastungen. Nach mehrmaligen Nachpflanzungen und enormen Kraftanstrengungen kann das Vorhaben aus forstlicher Sicht als geglückt gelten. Ein reichliches Jahrzehnt nachdem der Böhmische Nebel das letzte mal richtig schlimm nach Schwefeldioxid roch, wächst wieder Wald am Kahleberg. Viele Osterzgebirgler, nicht zuletzt die Tourismusverantwortlichen, sind froh darüber.
So mancher Naturschützer allerdings hätte es vorgezogen, wenn den Selbstheilungskräften der Natur etwas mehr Zeit und Raum gegeben worden wäre. Die kahlen Blößen zwischen den toten Fichten hatte sich nämlich nicht nur ein Teppich aus Wolligem Reitgras ("Calamagrostis-Steppe") erobert. Auch seltene Tiere, allen voran das Birkhuhn. hatten sich diesen neuen Lebensraum erobert. Denn nicht überall reichten die Bodennährstoffe für einen richtig dichten Calamgrostis-Teppich, auch Zwergsträucher wie Heidekraut, Blau- und Preiselbeere konnten sich erhalten. In den Mooren gab und gibt es zudem noch Wollgras, die Lieblingsspeise balzender Birkhähne (Wollgraspollen versetzen sie angeblich in die richtige Balzstimmung).
Aus dem Unterstand der Forsten waren nach dem Absterben der Fichten die zuvor unterständigen Ebereschen übrig geblieben. Der erzgebirgische "Vuuchelbeerbaam" hatte sich als sehr robust erwiesen. Nur leider versprach er nicht den Holzertrag, den die Wirtschaftsplaner der DDR trotz der Rauchschäden von den Förstern erwarteten. So beließ man lediglich im Lugsteingebiet eine größere Fläche der ungestörten Vegetationsentwicklung ("Sukzession"), wo die Ebereschen nun allmählich einen naturnahen Vorwald bilden. Allerdings scheint diese Baumart, die das Waldsterben der 1980er und 90er Jahre überstanden hatte, nun ziemlich anfällig gegenüber den Neuartigen Waldschäden. Meistens schließen die Vogelbeerbäume ihre Vegetationsperiode heutzutage bereits im August ab: die Blätter verdorren und rollen sich zusammen. Die weitere Entwicklung auf der Sukzessionsfläche am Lugstein bleibt jedenfalls spannend.
Wer im Kahleberggebiet heute unterwegs ist, wird nur selten ein Birkhuhn beobachten können. Den Tieren behagen die dichten Nadelholz-Jungbestände nicht, sie zeigen sich seit einigen Jahren wieder in ihre Kernlebensräume - die Moore - zurück. Und außerdem bereitet ihnen die zunehmende touristische Nutzung Probleme. Insbesondere große Sportereignisse in der Biathlonarena sind problematisch, wenn Licht und Lärm die Winterruhe stören. Damit Besucher und Birkhühner auch weiterhin hier gemeinsam die Landschaft nutzen können, ist es ganz wichtig, dass erstere etwas Rücksicht nehmen. Dazu gehört insbesondere, im Winter strikt auf den Loipen und im Frühling auf den Hauptwanderwegen zu bleiben.
Zu den häufigsten Vögeln, denen der Naturfreund am Erzgebirgskamm begegnen kann, zählen die Birkenzeisige - kleine Vögel mit rotem Scheitel, die in kleinen Trupps zwischen den Birken der Moore umherfliegen. Wo noch reichlich Totholz vorhanden ist, kann man gelegentlich auch einem größeren Singvogel mit schwarzem Augenstreif begegnen: Dem Raubwürger. Von den noch vorhandenen größeren Offenlandbereichen der Waldschadensregion profitieren Baum- und Wiesenpieper, die sich von erhöhter Singwarte in die Luft schwingen und mit markanten Tonreihen langsam zu Boden sinken. Heckenbraunelle und Neuntöter sind dann mehr in den jungen und noch niedrigen Pflanzungen zu Hause, während die Nadelbaum-Jungbestände das Revier des Fitis sind. Dieser kleine, unscheinbar graugrüne Laubsänger ist im Frühling nicht zu überhören: sein Gesang beginnt ähnlich dem bekannten Buchfinkenschlag, plätschert jedoch nach den ersten kraftvollen Tönen müde aus. In den Moorkiefernbeständen des Georgenfelder Hochmoores sowie überall sonst, wo nach dem Waldsterben "Latschen" gepflanzt worden sind, kann man ab Spätsommer Fichtenkreuzschnäbel auf der Suche nach reifen Zapfen beobachten. Wer an Juni-Abenden im Lugsteingebiet unterwegs ist, dem wird das laute, monotone "Crex-crex, crex-crex, crex-crex" des Wachtelkönigs (lateinischer Name: Crex crex) nicht entgehen. Dabei handelt es sich um einen der seltensten Vögel Mitteleuropas.
Weitere typische Tiere des Kahleberggebietes sind Waldeidechsen, die man insbesondere im Sommer auf den noch allgegenwärtigen Reisighaufen entdecken kann, sowie Kreuzottern, für die sich in den Reitgrasteppichen ein reichhaltiges Mäusemenue (Schermaus, Feldmaus, Erdmaus und andere) anbietet.
Seltene wirbellose Moorbewohner sind unter anderem die Alpen-Smaragdlibelle und der Hochmoor-Gelbling. Letzterer wurde allerdings schon längere Zeit nicht mehr auf der deutschen Seite beobachtet. Auf den Bergwiesen um Altenberg und Zinnwald trifft man darüber hinaus auf eine große Vielfalt an Insekten.
Zu den eindrucksvollsten Naturerlebnissen am Erzgebirgskamm zählt jedoch die Brunft der Rothirsche. Während auf deutscher Seite die Jäger des Staatsforstes - im Interesse der vielen neu gepflanzten Bäume - die Rotwildbestände in den letzten Jahren drastisch reduziert haben, werden die "Könige des Waldes" auf dem tschechischen Erzgebirgskamm noch kräftig durch die Winter gefüttert. In Vollmondnächten im September/Oktober kann man deren Röhren weithin vernehmen.
Förderverein für die Natur des Osterzgebirges (Hrsg.; ohne Datum): Hochmoore; Geschützte Biotope im Osterzgebirge; Broschüre
HAMMERMÜLLER, Martin (1964): Um Altenberg, Geising und Lauenstein; Werte der deutschen Heimat Band 7
RÖLKE, Peter u.a. (2007): Wander- und Naturführer Osterzgebirge; Berg- und Naturverlag Rölke
SCHILKA, Wolfgang (1997): Entstehung und Geschichte geologischer Besonderheiten rund um die Bergstadt Altenberg; Broschüre
www.umwelt.sachsen.de