Werner Ernst, Kleinbobritzsch; Jens Weber, Bärenstein; Dirk Wendel, Hartha (Zuarbeiten von Torsten Schmidt-Hammel, Dresden und Immo Grötsch, Freital)
Fotos: Maxi Binder, Gunnar Klama, Gerold Pöhler, Torsten Schmidt-Hammel, Jens Weber, Dirk Wendel, Ulrike Wendel
Für Förster ist der Tharandter Wald das Lehrobjekt Sächsischer Forstwirtschaft, für Gesteinskundler die "klassische Quadratmeile sächsischer Geologie", für Tourismus-Werber der "Mittelpunkt Sachsens". Der Begriff Tharandter Wald steht gleichermaßen für eine beliebte Erholungslandschaft vor den Toren Dresdens, für eine geologische Einheit, ein Landschaftsschutzgebiet sowie eine mit etwa 60 Quadratkilometern ungewöhnlich große Waldfläche am Nordrand des Ost-Erzgebirges.
>Schon auf Satelliten-Aufnahmen fällt die zusammenhängende dunkle Waldbedeckung auf, die man im Erzgebirge sonst nur in den unwirtlichen oberen Lagen findet. Von der bäuerlichen Erstbesiedlung des Erzgebirges (12. bis 14. Jahrhundert) blieb der Tharandter Wald - bis auf die Rodungsinsel Grillenburg - weitgehend unberührt. Als Siedlungsversuche sind lediglich Warnsdorf (Rodung 1162) und Alt-Naundorf am Rodelandsbach überliefert. Standen der landwirtschaftlichen Kolonisierung des Erzgebirgskammes vor allem klimatische Ursachen im Wege, so spielte beim Tharandter Wald der geologische Untergrund eine entscheidende Rolle. Die sauren und schwer verwitterbaren Porphyr- und Sandsteine sowie weiträumige Nassböden schränkten eine ackerbauliche Nutzung von vornherein ein. Allerdings kam dazu noch ein weiterer Grund: Der Tharandter Wald wurde bereits im 13. Jahrhundert markgräflicher Besitz und sollte der herrschaftlichen Jagd vorbehalten bleiben.Von etwas entfernten Aussichtspunkten der Umgebung, wie den Höhen um Freiberg, Frauenstein, Dippoldiswalde oder Freital, zeigt sich der Tharandter Wald immer als ein geschlossener, dunkler, scheinbar ebener Waldstreifen, nur von einzelnen, flachen Bergkuppen ein wenig überragt. Das Waldkleid verhüllt fast völlig das von Porphyrrücken und Sandsteintafeln geprägte Relief im Innern. Der überwiegende Teil des Tharandter Waldes befindet sich in 320 bis 380 m Höhenlage, wird aber von einigen Erhebungen aus Kreidesandstein (S-Berg, 426 m; Markgrafenstein, 414 m; Hartheberg, 405 m, Borschelsberg 388 m), aus Basalt (Ascherhübel, 417 m; Landberg, 430 m) und Porphyr (Tännicht, 461 m) überragt. Doch von keinem der genannten Berge ist eine umfassende Überschau möglich.
Eine recht auffällige, bis 50 m hohe Geländestufe zwischen Herzogswalde und Hartha markiert im Norden die landschaftliche Grenze des Tharandter Waldes - und gleichzeitig auch die des Naturraumes Ost-Erzgebirge. Im Osten hat sich die Wilde Weißeritz ihren Weg gebahnt und dabei ein bis 140 m tiefes Tal in die Nordabdachung des Ost-Erzgebirges gefräst. Kurze, gefällereiche Bäche fließen im Zeisiggrund, im Breiten und im Tiefen Grund der Weißeritz zu, während der etwas längere Seerenbach die Südostgrenze des Tharandter Waldes bildet. Im Südwesten strebt der Colmnitzbach zur Bobritzsch und trennt den Tännicht vom Hauptteil des Waldgebietes ab.
Die größeren Bergkuppen erheben sich nahe des Nord-, Ost- und Südrandes des Tharandter Waldes. Das Zentrum hingegen hat den Charakter eines großen flachen Kessels, der nur nach Westen geöffnet ist. In diese Richtung fließen Rodelandbach und die Triebisch. Beide speisen sich aus einer Vielzahl kleiner Wasserzüge, die ursprünglich in quelligen Waldmooren entsprangen, inzwschen aber fast alle zu Forstgräben begradigt worden sind.
Im Triebischtal und im Rodelandbach wurden einige kleinere Fischteiche angelegt, am Seerenbach ein Wasserspeicher für die bis 1875 betriebenen Flößerei. Die Grillenburger Teiche gehen wahrscheinlich schon auf die Anfangszeit einer Burganlage oder/und eines Klosters am Ort des späteren Jagdschlosses Grillenburg zurück und dürften damit an die 800 Jahre alt sein.
Der Tharandter Wald wirkt im geologischen Sinne fast wie ein verkleinertes Abbild des Ost-Erzgebirges. Viele Aufschlüsse liefern Einblicke in den Gesteinsaufbau - natürliche Felswände an den Talflanken von Weißeritz, Colmnitzbach und Triebisch ebenso wie zahlreiche aufgelassene Steinbrüche. Alle wesentlichen Etappen der geologischen Entwicklung findet man hier durch Gesteine belegt:
Diese geologische Vielfalt des Tharandter Waldes auf engem Raum hat ihre Ursache in seiner eigentümlichen geotektonischen Position im Kreuzungsbereich von Verwerfungen, die zu verschiedenen Zeiten der Erdgeschichte wirksam waren. Der Nordostteil gehört der "Elbezone" an, einer sehr alten Schwächezone der Erdkruste. Das Nossen-Wilsdruffer Schiefergebirge greift mit Phylliten, Quarzitschiefern und Diabasen von Nordwesten her tief in den erzgebirgischen Gneiskomplex ein, wogegen zwischen Tharandt, Braunsdorf und Hainsberg-West der "Tharandter Gneissporn" erhalten blieb.
Während der variszischen Gebirgsbildung kam es auch im Tharandter Wald zu heftiger Falten- und Bruchtektonik. Das "Altenberg - Tharandter Bruchfeld" erstreckte sich entlang einer Tiefenstörung zwischen Teplitz/Teplice und Meißen über große Teile des Ost-Erzgebirges. Auch die alte Mittelsächsische Störung zwischen Gneis und Schiefer brachte Verwerfungen mit sich. Die vorhandenen Gesteine wurden umgewandelt ("Metamorphose"), aufdringendes Magma erstarrte in der Erdkruste zum Niederbobritzscher Granit oder überdeckte als porphyrische Lava bzw. Vulkanasche die erzgebirgischen Gneise und die Ausläufer des Schiefergebirges. Über längere Zeit wiederholten sich heftige Eruptionen. Das daraus hervorgegangene Gestein prägt heute fast 40 % des Tharandter Waldes. Geologen unterscheiden einen etwas älteren "Quarzarmen Porphyr" (dunkelbraune bis violette Grundmasse mit nur wenigen erkennbaren Quarz- und Feldspatkristallen) sowie einen jüngeren "Quarzporphyr" (rotbraun mit vielen, bis 3 mm großen Quarzeinsprenglingen). Eine besondere Varietät ist der "Kugelpechstein" bei Spechtshausen, Mohorn und bei Braunsdorf. Der "Tharandter Eruptivkomplex" entspricht einer großen Caldera, also dem Krater eines Riesen-Vulkans, der als Folge des Masseverlusts in der Tiefe einbrach.
Das ursprüngliche Oberflächenbild dieser Vulkanlandschaft ist jedoch durch die mindestens 250 Mill. Jahre währende Verwitterung und Abtragung völlig verloren gegangen. Dadurch sehen wir heute nur noch einen tiefen Anschnitt der alten Vulkanbauten.
Etwa an der Wende Unter-/Oberkreide zog sich ein Flusslauf, der "Niederschönaer Fluss", von West nach Ost quer durch das Gebiet des heutigen Tharandter Waldes. Dessen Ablagerungen ("Grundschotter") wurden später, als sich das Kreidemeer auch bis hierher ausbreitete, von weiteren Sedimenten überlagert. In küstennahen, wassergefüllten Senken wuchs vor knapp 100 Millionen Jahren ein üppiger Laubmischwald mit Eichen, Ahorn, Eukalyptus sowie einer heute ausgestorbenen, platanenähnlichen Gattung namens Credneria. Deren Fossilien sind nicht selten in tonigen Zwischenschichten des Crednerien-Sandsteins zu finden, der etwa 5 % des Tharandter Waldes bedeckt ("Niederschönaer Schichten" - ein bekannter Aufschluss befindet sich im Steinbruch am ehemaligen Forsthaus Niederschöna). Über diesen "Crednerien-Schichten" lagerte sich feinkörniger Dünensandstein ab, der als Werkstein für Architektur und Bildhauerei begehrt war (z.B. Steinbruch am Jägerhorn bei Grillenburg). Bis zu 15 m lagert obenauf der im flachen Kreidemeer entstandene Quadersandstein. Den oberen Abschluss bildet feinkörniger, plattiger Plänersandstein, der mehreren Erhebungen des Tharandter Waldes eine tafelbergartige Plateauform verleiht (vor allem dem S-Berg).
Während Oberkreide und Tertiär kam es in der Region wieder zu Erdkrustenbewegungen ("Wendischcarsdorfer Überschiebung" und "Weißeritzstörung"), verbunden mit Vulkanismus. Die am Landberg und Ascherhübel vorkommenden nördlichsten Basalte des Erzgebirges gelten - regional, wie zeitlich gesehen - als letzte Ausläufer des nordböhmischen Vulkanismus. (Strenggenommen handelt es sich nicht um "richtigen" Basalt, sondern um ein verwandtes Gestein namens Olivin-Nephelinit).
Die von Skandinavien vordringenden Gletscher der Elster-Kaltzeit erreichten fast den Nordrand des Tharandter Waldes, sie kamen bei Wilsdruff, Großopitz und Somsdorf zum Stillstand. Die folgenden Eisvorstöße während Saale- und Weichselkaltzeit endeten bereits weit nördlich des Erzgebirges. Doch die aus deren vegetationsfreiem Vorfeld ausgeblasenen Staubmassen bedeckten auch den Tharandter Wald als dezimeter- bis meterdicke, ursprünglich kalkhaltige Lößschicht. Den größten Teil haben die Bäche seither wieder fortgetragen, doch mittlerweile entkalkter Lößlehm prägt auch heute noch auf vielen - vor allem ebenen - Standorten die Bodenbildung und die Wuchsbedingungen für die Vegetation. Lößlehm bessert einerseits die Nährstoffversorgung über den armen Gesteinen (Porphyr, Sandstein) auf, führt wegen seiner sehr kleinen Korngröße ("Schluff") aber andererseits auch zur Ausbildung von nahezu wasserundurchlässigen Bodenschichten. Viele Senken und Plateaubereiche des Tharandter Waldes stellen deshalb mit Pseudo- und Stagnogleyen eher ungünstige Forststandorte dar - zumindest für in Reih und Glied gepflanzte Fichtenmonokulturen.
Wer sich, aus dem Elbtal kommend, dem Tharandter Wald nähert, bemerkt nicht nur den Geländeanstieg, sondern spürt auch zu allen Jahreszeiten deutliche klimatische Unterschiede. Man befindet sich hier an der Schwelle des Erzgebirges! Aber ebenso wichtig wie das Makroklima ist das Geländeklima. Während im tief eingeschnittenen Tal der Wilden Weißeritz die Sonneneinstrahlung beträchtliche Unterschiede zwischen Nord- und Südhängen hervorruft, treten in den Senken des Tharandter Waldes häufig ausgeprägte "Kaltluftseen" auf. In wolkenarmen Nächten sinkt kalte, spezifisch schwerere Luft herab und kann aus dem flachen Kessel nicht entweichen. Von Forstbeständen umgebene Kahlschläge verstärken diesen Effekt, häufige Frostschäden an der Vegetation sind die Folge. Besonders ausgeprägte Kaltluftseen bilden sich auf den Triebisch-Wiesen zwischen Ernemannhütte und Jungfernloch. Selbst im Hochsommer treten dort nachts Minustemperaturen auf, die Gesamtanzahl der Frosttage ist größer als auf dem Fichtelberg, die Jahresmitteltemperatur entspricht einer 250 m höheren Lage!
Der Tharandter Wald liegt oberhalb der Grenze des an vorgeschichtlichen Funden so reichen Elbhügellandes zum diesbezüglich "unergiebigen" Erzgebirge. Jungsteinzeitliche Relikte wurden am Kienberg bei Tharandt, bei Herzogswalde und Naundorf geborgen. Auch aus der Bronzezeit sind Sachzeugen (Lanzenspitzen, Sicheln, Beile und Schmuck) erhalten geblieben. Die einstige mittelalterliche Wehranlage auf dem Kienberg (oberhalb des forstbotanischen Gartens) und die Burgruine von Tharandt befinden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Orten, die bereits vor drei- bis viertausend Jahren genutzt wurden.
Beginnend etwa im 12./13. Jahrhundert vollzog sich die bäuerliche (fränkische) Besiedlung in der Umgebung des Tharandter Waldes: Fördergersdorf, Herzogswalde, Niederschöna, Naundorf, Colmnitz, Klingenberg, Dorfhain, Höckendorf. Danach (13. Jahrhundert und später) kamen die Waldhufenfluren der Rodungsdörfer Hintergersdorf, Pohrsdorf, Hetzdorf (mit Herrndorf) und Somsdorf hinzu. Die nach markgräflichem Willen vorgesehene Forstgrenze des Tharandter Waldes sollte ursprünglich (1173) viel weiter im Nordosten verlaufen.
Die Jagdpfalz "Grillenburg" wurde schon 1289 erwähnt und blieb über die Jahrhunderte hinweg als kurfürstliches Amt mit Jagdschloss der geographische Mittelpunkt des Tharandter Waldes.
Vor dem 19. Jahrhundert, als das heutige System aus sich rechtwinklig schneidenden Flügeln und Schneisen angelegt wurde, gingen die Wege strahlenförmig von einem Mittelpunkt zwischen Grillenburg und Warnsdorfer Quelle aus. Das noch ältere Netz von unregelmäßig verlaufenden, sich dem Relief anpassenden Wegen, von denen einige auch dem Fernverkehr dienten (Salzstraße über Freiberg und Dippoldiswalde sowie der "Meißner Weg" von Böhmen über Ossegg -Rechenberg - Frauenstein - Wilsdruff - Sora nach Meißen) ist im Laufe der Jahrhunderte über weite Strecken unkenntlich geworden bzw. nur noch in Teilabschnitten erhalten. Am Waldspielplatz Hartha ist ein Stück des historischen Jacobsweges rekonstruiert, und im Umfeld des Hartheberges sind noch mehrere Höhlen erkennbar.
Als großes, verbliebenes Waldgebiet zwischen den Städten Dresden und Freiberg lastete auf dem Tharandter Wald einer hoher Holz-Nutzungsdruck. Einerseits versuchten die Markgrafen und Kurfürsten (später auch die sächsischen Könige und, nicht zu vergessen, der nationalsozialistische Gauleiter) ihren herrschaftlichen Jagdbezirk in einem wildreichen Zustand zu halten, was eine übermäßige Holzplünderung ausschloss. Andererseits forderten der Silberbergbau an der Freiberger Mulde und an der Wilden Weißeritz bei Dorfhain, zunehmend auch der Freitaler Steinkohlebergbau Holz in Größenordnungen, die die meist armen Böden des Tharandter Waldes nicht nachhaltig zu liefern vermochten. Vor allem die Sandstein-Plateau-Lagen entwickelten sich zu baumarmen Heiden. In diesem Gebiet, vor den Augen des Regenten, kulminierte eine Entwicklung, die im 18. Jahrhundert ganz Sachsen und andere Teile Mitteleuropas ebenso betraf: Einerseits verlangte die aufstrebende Wirtschaft nach immer mehr Holz, andererseits waren die Vorräte der Wälder nach jahrhundertelangem Raubbau erschöpft.
Die königlich sächsische Regierung berief Anfang des 19. Jahrhunderts schließlich den Thüringer Forstmann Heinrich Cotta in ihre Dienste als "Direktor für Taxations- und Vermessungsgeschäfte". 1811 überführte Cotta seine bisher in Zillbach/Rhön betriebene forstliche Privat-Lehranstalt nach Sachsen. Anekdoten berichten davon, er habe das beschauliche Tharandt gegenüber der Residenzstadt Dresden vorgezogen, damit seine Studenten lernen und nicht ihre Zeit in Kaffeehäusern vertrödeln sollten. Viel mehr dürfte allerdings die Nähe zum Wald ausschlaggebend gewesen sein. Der Tharandter Wald wurde zum sächsischen Lehr- und Versuchsforst. "Nachhaltigkeit des Holzertrags", "Sächsische Schmalkahlschlagswirtschaft" und "Bodenreinertraglehre" sollten hier modellhaft eingeführt und perfektioniert werden.
Heinrich Cottas Sohn, Bernhard von Cotta (1808 - 1879) wuchs in Tharandt auf und wurde später zu einem der bedeutendsten Geologen des 19. Jahrhunderts. Als Professor an der Bergakademie Freiberg und einer der ersten Kartierer des Tharandter Waldes schrieb er schon 1834: "Man möchte wohl behaupten, die hiesige Gegend sei ein Ort, wo die Bildungsgeschichte des ganzen Erzgebirges studiert werden könne."
Der Tharandter Wald wurde besonders stark von den Abgasen der nur wenige Kilometer westlich liegenden Freiberger Schmelzhütten belastet. Die jahrhundertelangen, stark schwermetallhaltigen Emissionen der Hüttenbetriebe sind auch heute noch in Böden, Grundwasser und Vegetation nachweisbar.
Dessen ungeachtet erfreut sich der Tharandter Wald nach wie vor großer Beliebtheit unter Waldbesuchern. Etwa eine dreiviertel Million Menschen kommen jährlich in den Tharandter Wald. Die meisten halten sich bevorzugt im Dreieck Tharandt - Kurort Hartha - Grillenburg auf.
Um nachhaltig die Wirtschaft mit Holz beliefern zu können, glaubte man im 19. Jahrhundert, zunächst einmal Ordnung im Wald schaffen zu müssen. Dieser "räumlichen und zeitlichen Ordnung" galt seither das Hauptinteresse der meisten Tharandter Forstwissenschaftler. Der Begründer der Forstakademie, Heinrich Cotta, ließ zunächst ein regelmäßiges Raster von Flügeln und Schneisen im Tharandter Wald anlegen. Diese heute noch existierenden Flügel sind mit Buchstaben bezeichnet und verlaufen im Idealfall, mit etwa einem Kilometer Abstand zueinander, geradlinig von Nordosten nach Südwesten, meistens ungeachtet landschaftlicher Hindernisse oder standörtlicher Unterschiede. Genau im rechten Winkel dazu wurden aller 200 bis 250 m Schneisen gezogen und mit Zahlen versehen. Dazwischen entstanden somit durchschnittlich 25 Hektar große Forstabteilungen. Für jede Forstabteilung wird seither regelmäßig der Holzvorrat im Forsteinrichtungswerk erfasst.
Die nach Südwesten - der im Ost-Erzgebirge vorherrschenden Hauptwindrichtung - ausgerichteten Streifen zwischen den Flügeln bilden sogenannte Hiebszüge. Parallel zu den Schneisen sollte aller 10 bis 20 Jahre ein etwa 50 Meter breiter (und eben einen Kilometer langer) Waldstreifen kahlgeschlagen und anschließend wieder mit Fichten (auf extrem armen Standorten auch Kiefern) aufgeforstet werden. Nadelhölzer wurden - und werden - von der Wirtschaft nachgefragt und kommen auch mit den klimatisch extremen Bedingungen auf Kahlflächen besser zurecht als anspruchsvollere Baumarten. Nach weiteren 10 bis 20 Jahren erfolgte südwestlich angrenzend der nächste Schmalkahlschlag, und auch diese Fläche wurde wieder aufgeforstet. Im Verlaufe der Zeit entstand somit ein allmählich von Südwest nach Nordost ansteigendes Wipfeldach. Die jüngeren Baumstreifen sollten die dahinterliegenden älteren vor Sturmwürfen schützen.
Die nach Heinrich Cotta bekanntesten Vertreter der Tharandter Forstwissenschaft, Max Robert Pressler (1840 bis 1883 Mathematikprofessor) und Johann Friedrich Judeich (1866 bis 1893 Akademiedirektor und Professor für Forsteinrichtung) führten dieses sächsische Forstwirtschaftssytem zur theoretischen Perfektion: der Bodenreinertragslehre. Danach sollte ein Bestand genau dann geerntet - in Försterfachsprache: "abgetrieben", also kahlgeschlagen - werden, wenn das in die Pflanzung gesteckte Kapital die höchste Verzinsung gebracht hat. Fichten sind demnach im zarten Baumjugendalter von 80 bis 100 Jahren dran, dann lässt ihr jährlicher Holzzuwachs allmählich nach. Waldwachstum wurde allein unter dem Gesichtspunkt maximalen finanziellen Gewinns betrachtet. Obgleich es seither, auch in Tharandt, zahlreiche Forstwissenschaftler gab (und gibt), die den Wald als Ökosystem betrachten und naturnähere Bewirtschaftungsformen lehrten, hat das "Sächsische Bestandesverfahren" weltweite Beachtung und Nachahmer gefunden.
Doch die Praxis wird meistens leider der Theorie nicht gerecht. Nicht nur erwiesen sich die Fichtenmonokulturen als besonders anfällig gegenüber Borkenkäfern und Luftschadstoffen, auch der Windschutz des ausgeklügelten Hiebszugsystems funktioniert nur, wenn der Sturm von Südwesten weht. Kommt er hingegen aus Norden oder Osten, treffen die Böen mit aller Wucht auf die ungeschützte Waldkante des letzten Kahlschlags.
Seit 1990 haben Kahlschläge als Forstwirtschaftsprinzip auch in Sachsen ausgedient. Naturnähere Waldbauverfahren sollen stattdessen die Fichtenforste wieder zu stabileren Mischwäldern zurückführen. Im Forstrevier Naundorf allerdings wird das System der "Sächsischen Bestandeswirtschaft" auf 500 Hektar auch heute noch als "Walddenkmal" weitergeführt.
So bunt die geologische Karte des Tharandter Waldes auch sein mag, in der aktuellen Pflanzenwelt spiegelt sich diese Vielfalt nicht wider. Zum einen bilden sich über den hiesigen Porphyren und Sandsteinen gleichermaßen arme, saure und für die meisten Pflanzenarten eher ungünstige Böden aus. Lößeinwehungen führen darüberhinaus zur Nivellierung der Bodennährstoffe. Zum anderen mangelt es in dem geschlossenen, recht ebenen Waldgebiet an reliefbedingter klimatischer Standortvielfalt, wie sie etwa im benachbarten Weißeritztal gegeben ist. Und schließlich lassen die einförmigen Nadelholzforsten kaum anspruchsvollere Waldarten gedeihen.
Neben einheimischen Fichten (55 %) und Kiefern (16 %) findet man im Tharandter Wald auch noch viele verschiedene nichteinheimische Nadelbaumarten (insgesamt 10 %), die teilweise schon vor langer Zeit auf Versuchsflächen der Forstakademie/TU Dresden gepflanzt wurden. Von Buchen dominierte Laubmischwälder hingegen wachsen an den Hängen zum Weißeritztal und den angrenzenden Nebenbächen, außerdem im Norden des Tharandter Waldes über Basalt.
Von Natur aus hingegen würden Buchen-Mischwälder die Vegetation des Tharandter Waldes dominieren, im Nordosten in ihrer Hügellandsform mit einem hohen Anteil an Eichen, im Südwesten hingegen als Fichten-Tannen-Buchenwald. Ursprünglich war hier auch der Anteil der Weißtannen sehr hoch, besonders auf wechselfeuchten Standorten, wo kaum eine andere Baumart mit solch einer Wurzelenergie die Stauschichten zu durchdringen vermag. Heute existieren im gesamten Tharandter Wald nur noch wenige Alttannen.
Typische Arten der Buchenmischwälder sind Schmalblättrige Hainsimse, Drahtschmiele, Wiesen-Wachtelweizen, Schattenblümchen, verschiedene Habichtskräuter, Maiglöckchen, Wald-Sauerklee und Vielblütige Weißwurz. Auf Basaltstandorten - die allerdings wegen der Lößlehmauflagerung hier nicht annähernd solch eine üppige Vegetation wie am Wilisch oder Luchberg hervorbringen - gedeihen außerdem einzelne anspruchsvollere Arten wie Waldmeister, Goldnessel und Gemeiner Wurmfarn.
Die Sträucher der nördlichen Waldrandbereiche zeigen deutlich den Einfluss des Hügellandklimas: Schlehe, Roter Hartriegel und Pfaffenhütchen sind wärmeliebende Arten, genauso wie die Bodenpflanzen Echte Sternmiere, Wiesen-Storchschnabel, Wegwarte und Pechnelke, die hier ebenfalls noch vorkommen.
Das Innere des Tharandter Waldes hingegen ist submontan bis montan geprägt. Dazu trägt die geschlossene Waldbestockung bei, besonders aber der Frostwannencharakter der Landschaft. An Waldwegen und Bestandesrändern findet man selbst in 350 m Höhe noch Berglandsarten wie Bärwurz und Alantdistel, im Wald selbst auch Purpur-Hasenlattich und Harz-Labkraut. Feuchte, kühle Standorte beherrscht das Wollige Reitgras, teilweise mit dichten Teppichen fast wie im oberen Bergland. Quellsümpfe in ausgesprochenen Frostlagen sind der Lebensraum von Pfeifengras, Zittergras-Segge und Siebenstern.
Als "Allerweltsarten" der Fichtenforsten kommen Drahtschmiele und Dornfarn vor, auf den nährstoffarmen Hochflächen tritt Heidelbeere hinzu. Ausreichende Wasserzügigkeit vorausgesetzt, kann der Adlerfarn auf den Sandsteinplateaus dichte Bestände bilden.
Der Tharandter Wald ist Heimat einer breiten Palette von Waldvögeln. Noch vor 20 Jahren waren auf den damals weit verbreiteten Kahlschlägen Baumpieper und Turteltauben häufig zu hören, bis 1990 kam hier auch die Heidelerche noch vor. Inzwischen sind die meisten dieser ehemaligen Bestandeslücken zu 5 bis 10 Meter hohen Jungbeständen herangewachsen. Hier sind überwiegend die Stimmen von Fitis, Mönch- und Gartengrasmücke sowie Erlenzeisig zu vernehmen. Auf sie macht der Sperber Jagd. Für ältere Nadelholzforste hingegen sind Habicht, Sperlingskauz, Tannenhäher, Fichtenkreuzschnabel, Tannenmeise und Sommergoldhähnchen typisch. Die für Vogelfreunde interessantesten Bereiche jedoch sind die kleinen eingestreuten Bucheninseln wie am "Buchhübel" im Norden oder am "Pferdestall" im Südosten, wo der Schwarzspecht seine Höhlen hämmert, die dann auch von Hohltaube, Raufußkauz und weiteren Nachnutzern bezogen werden.
Anfang des 13. Jahrhunderts brachte der Meißner Markgraf Dietrich den Tharandter Wald - einen noch ungerodeten Teil des Miriquidi-Urwaldes - in seinen Besitz. Zum Schutze seines Herrschaftsbereiches ließ er auf dem Markgrafenstein einen Wachturm und zur Befriedigung seiner Jagdgelüste eine Jagdpfalz anlegen. Von da ab sind im späteren Grillenburg immer wieder ausgiebige Jagdaufenthalte der Markgrafen und Kurfürsten nachgewiesen. 1470 ließ Herzog Albrecht den Tharandter Wald "berainen" und umritt dazu höchstselbst die Grenzen.
Die Wälder sollten zwar auch Holz für die Bergwerke liefern, doch zunehmend traten die Jagdinteressen in den Vordergrund. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts begann sich der Tharandter Wald immer mehr in eine Art Wildpark zu verwandeln. König August, der sich mit seiner "Holzordnung" nicht nur um die Erhaltung der Forsten sorgte, sondern sehr wohl auch der Waidleidenschaft frönte, ließ Grillenburg zu einer veritablen Jagdsiedlung ausbauen. Gleichzeitig entstand ein Wegesystem mit strahlenförmig verlaufenden Flügeln, diese spinnennetzartig verbunden mit Querwegen. An den Kreuzungen befanden sich Pirschhäuser inmitten kleiner, umzäunter Lichtungen, auf die das Wild getrieben werden musste. Zum Treiben hatten zahlreiche Untertanen des Landesherrn zu erscheinen. Zwischen Bäumen wurden Tuchreihen ausgehängt. Nur selten durchbrach ein Tier diese bunten Absperrungen, "ging durch die Lappen".
Während anfangs noch das Wild gefangen oder zu Tode gehetzt wurde, setzte sich mit der Entwicklung der Schusswaffen immer mehr die Schießjagd durch. Anfangs galt das noch als unwaidmännisch, weil mit vielen qualvollen Fehlabschüssen verbunden ("viel Wild wurde zu Holze geschossen, das elend verluderte"). Im 18. Jahrhundert schließlich arteten die kurfürstlichen Jagden zu regelrechten Massenabschlachtungen aus. Besonders Kurfürst Friedrich August I. ("August der Starke") tat sich dabei hervor. Im Mittelpunkt des jagdlichen Interesses stand bereits damals das Rotwild, insbesondere männliche Rothirsche mit großen Geweihen. Die Bauern in den umliegenden Dörfern klagten derweil über extrem hohe, teilweise existenzbedrohende Wildschäden.
Für Raubtiere, besonders die großen Vertreter Braunbär, Wolf und Luchs, war da natürlich kein Platz mehr in den Wäldern. Noch im 17. Jahrhundert, besonders in der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg, müssen diese Tiere im Erzgebirge noch recht häufig gewesen sein. Zwischen 1611 und 1717 wurden in Sachsen nachweislich 709 Bären, 6937 Wölfe und 305 Luchse erlegt. Doch im 18. Jahrhundert erfolgte die komplette Ausrottung (der letzte Braunbär des Ost-Erzgebirges 1721 bei Bärenhecke, der - damals - letzte sächsische Wolf 1802 in der Dippoldiswalder Heide). Auch Biber, Dachs, Fuchs, Fischotter, Uhu und sämtliche Greifvögel galten als schädlich und wurden bekämpft.
Im 19. Jahrhundert trat dann das jagdliche Interesse am Tharandter Wald gegenüber seiner Funktion als Holzlieferant deutlich zurück. Mit Heinrich Cotta erfolgte die Einführung geregelter Forstwirtschaft, und 1849 verlor der sächsische König auch seine Jagdprivilegien. Doch diese Entwicklung war nur von kurzer Dauer. Ab etwa 1880 stieg der Wildbestand erneut so stark an, dass Forstkulturen in immer größerem Umfang eingezäunt werden mussten. Die Unterordnung aller anderen Waldfunktionen unter die Jagdgier erlebte der Tharandter Wald zur Zeit des Nationalsozialismus, als Gauleiter Martin Mutschmann das Gebiet zum "Hege- und Zuchtrevier" auserkoren hatte. Ziel waren dabei wieder möglichst starke Trophäen. Insgesamt 800 Rothirsche tummelten sich damals im Tharandter Wald, und damit diese Überpopulation nicht abwandern konnte, erfolgte die komplette Einzäunung des Gebietes. Nach dem Krieg wurde der Zaun beseitigt; sowjetische Soldaten verwandelten einen großen Teil des Wildbestandes zu Fleisch.
Ab den 1960er Jahren begann dann die "planmäßige Bewirtschaftung" des Wildbestandes. Der Tharandter Wald beherbergte fortan zwischen 50 und 80 Rothirsche, außerdem Wildschweine, Rehe und Mufflons. Letztere wurden - als nicht der Landschaft angepasste, fremdländische Wildart - seither fast vollständig wieder abgeschossen. Der Rotwildbestand bewegt sich heute bei etwa 40 Stück. Wildschäden an Forstkulturen treten damit zwar immer noch auf, aber mit der Umwandlung der monotonen Nadelholzforsten in abwechslungsreiche Mischwälder wird sich in naher Zukunft auch das natürliche Äsungsangebot verbessern. Wäre nur noch zu hoffen, dass eines Tages auch Luchs und Wolf den Weg wieder zurückfinden ...
Hegegemeinschaft Rotwild - Tharandter Wald: Ein geschichtlicher Abriss zur Rotwildjagd im Tharandter Wald; Broschüre Forstamt Tharandt, 2004
Hobusch, Erich: Das große Halali; Berlin 1986
Akademie der Wissenschaften: Zwischen Tharandter Wald, Freital und dem Lockwitztal; Werte unserer Heimat Band 21; 1973
Grüne Liga: Ulli Uhu entdeckt das Ost-Erzgebirge; Broschüre zum Computer-Natur-Lernspiel, 2005
Haubrich, Frank: Geologisches Freilichtmuseum Porphyrfächer Mohorn-Grund; Faltblatt des Fördervereins Geologie Tharandter Wald
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Magirius, Heinrich; Oelsner, Norbert ; Spehr, Reinhard: Grillenburg; Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege, Heft 10; 2006
Müller, Heidi: Forstliche Lehr- und Forschungsstätte Tharandt - Gschichte und Gegenwart; Beiträge zur Heimatgeschichte, Heft 9; 1986
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Schmidt, Peter A.; Denner, Maik; Zieferink, Marita: Geobotanische Exkursion im Osterzgebirge (Exkursionsbegleiter), ohne Jahresangabe
Schmidt, P. A.; Gnüchtel, A.; Kießling, J.; Wagner, W. & Wendel, D.: Erläuterungsbericht zur Waldbiotopkartierung im Sächsischen Forstamt Tharandt, 1998, Abschlussbericht zum Projekt, TU Dresden, Fachrichtung Forstwissenschaften Tharandt (Mskr.)
Wotte, Herbert: Tharandter Wald, Wanderheft 17, 1986
http://www.niese-mohorn.de ("Wanderung im Geologischen Freilichtmuseums rund um den Porphyrfächer in Mohorn - Grund" - detaillierte Beschreibung des "Geologischen Freilichtmuseums")