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Flöhatal bei Borstendorf


Reichlich fünf Kilometer unterhalb von Pockau liegen linksseitig an der Flöha Grünhainichen und rechtsseitig Borstendorf und bilden ein weiteres Zentrum der Holzindustrie. Das 1350 erstmalig erwähnte Grünhainichen beherbergte schon um 1600 Kastelmacher und Röhrenbohrer, die Fichtenstämme zu Wasserrohren ausbohrten. 1919 wurde eine Staatliche Spielwarenfach- und Gewerbeschule gegründet. Ein Heimatmuseum berichtet von diesen Industriezweigen, eine Spanziehmühle zeigt die Gewinnung von Holzspänen für die Herstellung von Spanschachteln. Sowohl in Grünhainichen als auch in Borstendorf werden heute noch Spielzeug und Holzfiguren hergestellt.

Der größte Betrieb war lange Zeit eine Papierfabrik, die nach der Erschließung des Flöhatals durch die Eisenbahn erbaut wurde.

Eine Erfindung aus dem Erzgebirge - kurze Geschichte des Papiers

(Jens Weber, Bärenstein)

Im Mittelalter gab es nur wenige des Schreibens Kundige, selbst die mächtigsten Könige und Fürsten hatten in der Regel keine Ahnung von Buchstaben und Ziffern. Der Bedarf an geeignetem Material, auf dem etwas niedergeschrieben werden konnte, war daher gering. Einzig in den Klöstern beschäftigten sich einige Mönche mit dem Abmalen heiliger Schriften und sonstiger Dokumente. Dazu verwendeten sie entweder aus Tierhäuten hergestelltes Pergament oder Leinenstoff. Flachs - die Fasern der auch im Erzgebirge früher überall angebauten Leinpflanzen - bildete dann auch lange Zeit den Grundstoff für die Herstellung von Papier. Mit der Einführung des Buchdruckes ab dem 15. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Stoffen, auf denen die Lettern ihre Druckerschwärze verewigen konnten. Doch es dauerte noch mehr als 200 Jahre, bis für die Herstellung von Papier ein Verfahren gefunden wurde, das auch größere Mengen des mittlerweile begehrten Produktes liefern konnte. Ab Anfang des 18. Jahrhunderts stampften wasserkraftbetriebene "Holländer-Maschinen" Leinen-Lumpen zu Faserbrei, aus dem dann mit großen Sieben das Papier geschöpft wurde. Die Nachfrage nach Lumpen stieg dadurch rapide an und machte aus abgetragener, löchriger Kleidung (so genannte "Hader" - diesen Begriff verwenden die Erzgebirgler heute noch für Scheuerlappen!) einen wertvollen Rohstoff früher "Recycling"-Wirtschaft.

Der Bedarf an Büchern, Zeitschriften und Schreibheften sowie an Papier für die Akten der erwachenden Bürokratie in Deutschland stieg und stieg. Ein neues, effektiveres Verfahren der Papierherstellung musste dringend gefunden werden. Im 18. Jahrhundert hatten schlaue Köpfe immer wieder die Methode der Wespen bewundert und auf Nachnutzbarkeit untersucht. Mit allen möglichen Pflanzenfasern wurde experimentiert, auch mit Holz. Doch erst 1843 schaffte es der Tüftler Friedrich Gottlob Keller, ein industriell einsetzbares Verfahren zu entwickeln. Es gelang ihm, mit wasserkraftbetriebenen Schleifsteinen Holz so aufzufasern, dass der entstehende "Holzschliff" letztlich zu brauchbarem Papier verarbeitet werden konnte. Ort des Geschehens: Kühnhaide, zehn Kilometer südwestlich von Olbernhau.

Die Erfindung des Erzgebirglers setzte eine technische Revolution in Gang. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden überall in Deutschland, wo genügend Wasserkraft und Holz zur Verfügung standen, neue Holzschleifereien und Papierfabriken - so auch an den Flüssen des Ost-Erzgebirges. Der Markt für Druckerzeugnisse aller Art schien grenzenlos, und hinzu kam eine immer größere Nachfrage nach preiswertem Verpackungsmaterial. In rapide steigenden Mengen wurden neben Papier auch Pappen und Kartonagen erzeugt.

Doch die Technologie war es nicht allein, die diese Entwicklung möglich machte. Eine zweite Voraussetzung bestand in der Verfügbarkeit von ausreichend Rohstoff. Noch wenige Jahrzehnte zuvor hatte der allerorten zu beklagende Holzmangel den Beamten und Bergwerksbetreibern, den Stadtvätern und Schmelzhüttenbesitzern überall große Sorgen bereitet. Bau- und Brennholz waren noch mehr Mangelware als etwa Lumpen für Papier. Mitte des 19. Jahrhundert wendete sich das Blatt. Um 1820 bis 1840 hatte, von Tharandt ausgehend, die "geregelte Forstwirtschaft" in den Wäldern Einzug gehalten. In einer gewaltigen volkswirtschaftlichen Kraftanstrengung hatten die Förster die jahrhundertelang geplünderten Waldbestände mit einem geometrischen Netz von Flügeln und Schneisen überzogen, in den dazwischen eingeschlossenen Abteilungen systematisch das "nutzlose Gestrüpp" (aus heutiger, ökologischer Sicht: die Reste naturnaher Vegetation) beseitigen und Fichten in unüberschaubarer Zahl pflanzen lassen.

Diese Fichten waren inzwischen zu geschlossenen Jungbeständen hochgewachsen. Damit sich die Reih-und-Glied-Bäume nicht gegenseitig das Licht wegnahmen, mussten sie "durchforstet" werden. Massenweise fiel dabei junges Fichtenholz an, wie geschaffen für die Holzschleifereien.

Von nun an konnten Zeitungen verlegt, Schulbücher gedruckt und alle möglichen weiteren Papier-Massenprodukte gefertigt werden, ohne die die Anfänge der Wissensgesellschaft nicht möglich gewesen wären. Ohne die Papierherstellung aus Holzschliff, die an den Quellen der Schwarzen Pockau vor 165 Jahren ihren Anfang nahm, gäbe es heute auch keinen "Naturführer Ost-Erzgebirge".

Das Flöhatal ist auch hier noch ein enges Kerbsohlental, das geradeso Platz für die Bahn hat, aber nicht für eine Fahrstraße. Der Fluss ist gesäumt mit Bäumen, die Feuchtigkeit lieben, wie Schwarz-Erle, Bruch-Weide und Trauben-Kirsche. Am Ufer gibt es größere Bestände des eindrucksvollen Straußfarns. Der geschützte Geißbart wächst in größeren Mengen, ebenfalls Gewöhnliche Pestwurz sowie, seltener, Bunter Eisenhut und Akelei-Wiesenraute. In Ufernähe bildet inzwischen auch hier das Drüsige Springkraut große Bestände und bedrängt Wasserdost und Aromatischen Kälberkropf. Anspruchsvolle Pflanzen verraten den nährstoffreichen Boden: Echte Sternmiere, Quirlblättrige und Vielblütige Weißwurz, Hexenkräuter, Waldmeister und, dicht am Boden, die kleine Haselwurz. Eine Besonderheit ist die Kletten-Distel, die hier an der Flöha den einzigen Standort in Mittelsachsen hat.

Auf einer großen Industriehalde, auf der jahrzehntelang Abfälle, meist die Schlacke aus den Feuerungsanlagen der Grünhainichener Papierfabrik, deponiert wurden, entwickelte sich eine Ruderalflora mit Arten wie Kanadische Goldrute, Rainfarn, Drüsiges Springkraut, Schwarze Königskerze, Gewöhnliche Wegwarte und Weißer Steinklee. Inzwischen sind Sträucher und Bäume in Ausbreitung begriffen: Birken, Sal-Weiden, Ebereschen, Spitz- und Bergahorn. Innerhalb weniger Jahre ist hier ein dichter Mischwald entstanden. Das ist ein Zeichen dafür, dass die heimatliche Natur nichts Statisches ist, sondern dass sie sich weiter entwickelt, wenn der Mensch sie gewähren lässt.


Flöhatal unterhalb von Grünhainichen