Zwischen Oberem Gasthof und Schellermühlenweg erstreckt sich eine verhältnismäßig flache Talmulde von der Ortslage Schellerhau zur Roten Weißeritz. Das Gelände gliedern der Gründelbach und viele kleine Gräben, die überwiegend entlang der etwa 80 Meter breiten Hufenstreifen gezogen wurden, um die moorigen Flächen nutzbar zu machen. Dabei erfolgte die Nutzung sicher meistens nur als Grünland, Ackerbau war durch die widrigen Standortbedingungen (Nässe, Nährstoffarmut, Frostmulde) selbst in Zeiten größter Not kaum erfolgversprechend. Beweidung war wahrscheinlich (trotz früher robusterer Nutztierrassen) nur eingeschränkt möglich, so dass hier einer der wenigen Grünlandkomplexe anzunehmen ist, der nicht erst seit der "Bergwiesenepoche" (Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) vorrangig durch Mahd geprägt wurde. Dabei stand gute Stalleinstreu, wie sie unter anderem das Pfeifengras der Weißeritzwiesen bringt, genauso hoch im Kurs wie Futterheu, das auf den hier kurzhalmigen Bergwiesen keinen großen Ertrag brachte.
Ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es nach und nach zur fast gänzlichen Nutzungsaufgabe der schwer zu bewirtschaftenden und selbst aus Sicht der DDR-Landwirtschaft kaum lohnenswerten Flächen. Das Brachfallen und die damit verbundene Akkumulation toter Pflanzen führten einerseits zu erheblichen Veränderungen der Standortbedingungen für viele Wiesenarten. Und dort, wo die Grasnarbe so schütter war, dass sich so rasch kein Streufilz ansammeln konnte - also auf den Borstgrasrasen und in den Kleinseggensümpfen -, da kamen Gehölze zur Keimung. Neben Ohrweidengebüschen entwickelten sich daraus umfangreiche Moorbirkenbestände. Andererseits blieben wegen eben dieser Nutzungsaufgabe die "vergessenen" Weißeritzwiesen verschont von Gülleschleudern ("Schleudertankwagen"), Drainagerohren und Pestizidbelastungen. An einem Bruchteil ihrer vorherigen Standorte konnten deshalb einstmals landschaftstypische Arten wie Arnika, Rundblättriger Sonnentau und Trollblume überleben. Unter Botanikern und anderen Naturfreunden war dieses Stück Heimat daher ganz und gar nicht "vergessen". 1992, als die sächsische Politik für Naturschutzanliegen noch aufgeschlossen war, wurde aus den Schellerhauer Weißeritzwiesen ein 23 Hektar großes Naturschutzgebiet (NSG) - eines der ersten nach der "Wende".
Die besondere Bedeutung des NSG Schellerhauer Weißeritzwiesen liegt also in der heute selten anzutreffenden Flächengröße von früher viel, viel häufigeren montanen Magerwiesengesellschaften. Im weniger nassen Bereich sind dies Borstgrasrasen und magere Bergwiesen. Die Übergänge zwischen beiden Vegetationstypen sind fließend, beide haben zahlreiche Arten gemeinsam: Bärwurz, Rot-Schwingel, Kanten-Hartheu, Berg-Platterbse, um nur einige zu nennen. Bemerkenswert sind die umfangreichen Bestände des einst als Wiesengrasschmarotzer gefürchteten Klappertopfes. In Schellerhau wächst sowohl der in Sachsen "gefährdete" Kleine Klappertopf als auch der noch seltenere, nach der Roten Liste "stark gefährdete" Große Klappertopf.
Während in den Bergwiesen aber auch anspruchsvollere Pflanzen wie Alantdistel, Wiesen-Knöterich, Weicher Pippau und viele weitere Arten zur Geltung kommen, sind die Borstgrasrasen zwar im allgemeinen eher artenarm, aber dennoch Lebensraum besonders konkurrenzschwacher Mitglieder des Pflanzenreiches. Auf den Schellerhauer Weißeritzwiesen gedeihen noch Wald-Läusekraut, Kreuzblümchen, Zittergras und Arnika. Eine Besonderheit stellt der erst im Hochsommer blühende Teufelsabbiss dar, dessen blaue Köpfe entlang des Schellermühlenweges im August in großer Anzahl zu bewundern sind. Zum Grundstock der Borstgrasrasen gehören außerdem Blutwurz-Fingerkraut und Harz-Labkraut.
Nicht minder bedeutsam sind die Kleinseggenrasen, wobei auch hier zu den nassen Borstgrasrasen (mit Sparriger Binse) fließende Übergänge bestehen. Neben zahlreichen Seggenarten fallen hier im Mai/Juni teilweise flächendeckend die weißen Fruchtstände des Schmalblättrigen Wollgrases auf. In richtig moorigen Abschnitten tritt auch das bedeutend seltenere Scheiden-Wollgras (mit nur einem Wollbüschel am Stängel) hinzu. Die Orchideenarten Breitblättrige und Gefleckte Kuckucksblume bilden sehr hübsche violette und rosa Kontraste dazu. Sehr nasse, nährstoffarme und von sonstiger Vegetation weitgehend freie Bereiche besiedeln lichtbedürftige Hungerkünstler. Dazu gehören auch die beiden "fleischfressenden" Arten Rundblättriger Sonnentau und Echtes Fettkraut, die die Ernährungsdefizite ihrer Standorte durch das Festhalten und allmähliche Verdauen kleinster Insekten ausgleichen.
Der bedeutende Biotopkomplex der Weißeritzwiesen mitsamt der sich darin entwickelten Gehölzstrukturen setzt sich auch nördlich des Schellermühlenweges auf noch einmal rund 20 Hektar fort, findet dort allerdings weniger Beachtung
Die Pflege der zum großen Teil nassen und von Gräben durchzogenen Weißeritzwiesen ist aufwendig und erfordert Spezialtechnik sowie ein sensibles Herangehen, um Schäden zu vermeiden. Beide Voraussetzungen bringt der Pflegetrupp des Fördervereins für die Natur des Osterzgebirges mit und organisiert in hervorragender Weise die alljährliche Mahd der meisten Wiesen des Naturschutzgebietes. Ein nicht unbeträchtlicher Flächenanteil bleibt dennoch der besonders schonenden, traditionellen Handmahd vorbehalten. Dazu lädt die Grüne Liga Osterzgebirge seit 1996 jedes Jahr im August Studenten verschiedener Universitäten ein. Das "Schellerhauer Naturschutzpraktikum" hat sich mittlerweile zu einem anspruchsvollen Projekt entwickelt, das interessierten jungen Leuten Einblicke in die vielfältigen Betätigungsfelder des Naturschutzes in der Region vermittelt.
gekürzt aus: www.goemon5.com
Neuer Aushang am schwarzen Brett der Allgemeinen Geologie: die Grüne Liga Osterzgebirge e.V. lädt zum Naturschutzpraktikum in Schellerhau. Schau an, eine Einladung zum Arbeiten. Was soll's, ich brauch eh noch vier Wochen Praktikum. Zwar gibt es keine finanzielle Entschädigung, und ich muss auf eigene Kosten anreisen, aber immerhin ist die Unterbringung kostenfrei und mit drei täglichen Mahlzeiten verbunden.
Wann ist Anmeldeschluss? Heute!? Ja denn mal los. Mail. Rückmail: ich bin akzeptiert, super!
Wo liegt eigentlich dieses Schellerhau? Laut Atlas an der tschechischen Grenze, südlichstes Sachsen. Tolle Wurst, also zwei Stunden Bahn und eineinhalb Stunden Busfahrt. Na, da seh' ich wenigstens mal was von der Welt.
Während der Busfahrt fällt mir auch wieder ein, warum ich Sachsen so mag: der Akzent ist einfach urkomisch.
Der Mayenhof ist eine gemütlich-rustikale, Jugendherbergs-ähnliche Einrichtung, in der wir eine gesamte Etage belegen. Jens von der Grünen Liga Osterzgebirge koordiniert die Arbeitseinsätze. Jetzt lässt er auch die Katze aus dem Sack und erzählt, dass es hier hauptsächlich um unsere Mitarbeit bei der Heumahd geht. Hab ich's doch gewusst: er will nur unsere Körper! Mélanie kommt aus Frankreich und ist damit eine der wenigen Franzosen, die ihre Kenntnisse der deutschen Sprache öffentlich zugeben, Respekt! Martin ist aus der Slowakei angereist und wird nie müde, gehobenes Deutschverständnis und Humor zu präsentieren. Markus studiert irgendwelchen Natur-Biologie-Kram in Eberswalde. Stephan ist ein eher still-fröhlicher Gesell und studiert Forstwirtschaft. Sein Interesse an der Geologie sichert ihm prompt zwei Bonus-Sympathie-Punkte. Sabrina und Mareike studieren gemeinsam mit Markus. Ortrun und Cora stecken bereits im Berufsleben und haben sich extra für die Erhaltung der Bergwiesen Zeit genommen. Ortrun bringt auch gleich noch ihr Kleinkind mit (anderthalb Jahre, oder so), um den Nachwuchs zur Umweltpflege zu erziehen. Melanie trifft erst am Abend ein, sie studiert Naturschutz und pendelt zigeunerartig zwischen mindestens vier Wohnorten. Dass sie jede zweite Pflanze beim Nachnamen nennen kann, lässt sie mir irgendwie unheimlich erscheinen.
Bei der Einstiegsexkursion versucht Jens, mir ein graues Gekröse mit Feldspäten als Granit zu verkaufen. Auch nach längerer Bearbeitung mit dem Hammer will keines der Handstücke irgendwelche Mineralparagenesen, geschweige denn Strukturen zeigen. Ich bleibe skeptisch.
Das warme Abendessen im Schellereck (Name bewusst geändert) wirft erste Komplikationen auf, da wir die Kellnerin zwingen müssen, sich mit dem Begriff "Vegetarier" auseinanderzusetzen.
Den Tagesabschluss bildet ein Diavortrag mit grandiosen Bildern der schönsten Osterzgebirgslandschaften.Nach einer Busfahrt gen Zinnwald erwartet uns Peter, der sich an jedem größeren Steinhaufen in der Flechtenbestimmung übt, das Georgenfelder Hochmoor präsentiert und uns auf der Rückwanderung nach Schellerhau die Pflanzengesellschaften des Kahleberggebiets erklärt.
Heute werden Wiesen gemäht. Hurra ich kann Sensen! Das ist schon was anderes als diese plumpen elektromechanischen Rasenmäher. Beim Wetzen der Klinge schneide ich mir auch prompt in den Daumen, eine stete Erinnerung an meinen ersten richtigen Sensengebrauch. Heute stößt noch Andreas zu uns, der Förster, Jäger, Naturschützer und wohl noch einiges mehr in sich vereint.
Am Abend erklärt uns Thomas, warum wir die Wiesen eigentlich mähen und warum auch diese Pflanzenvergesellschaftungen, die mit der natürlichen Flora eigentlich nicht mehr viel zu tun haben, geschützt werden müssen. Die meisten Arten haben nämlich ohnehin kaum noch Refugien und sind somit auf unsere Wiesenmahd angewiesen.
Heute findet eine arge Gruppenspaltung statt: nach einer umfassenden Führung durch den Botanischen Garten verbleibt ein Teil dort, andere mähen weiterhin auf den Nasswiesen. Letztere sind gewohnt morastig und auch heute droht einiges an Gummistiefeln mitsamt darin steckender Personen verloren zu gehen.
Abends findet diesmal ein Besuch bei Dietrich Papsch statt, der eine fast-autonome regenerative Energieanlage betreibt. Beheizung über Sonnenkollektoren und Holzpellets, Stromerzeugung via Photovoltaik und der Betrieb des Kleinwagens mittels Salatöl sind durchaus beeindruckend. Hier steht ein Musterbeispiel an Energienutzung!
Am Vormittag liefere ich mir mit Martin und Stephan eine Schubkarrenrallye durch den Botanischen Garten, wir transportieren den lebenswichtigen Boden-Mulch-Mix für die Neupflanzungen im Ostteil.
Abends wird ein Lagerfeuer entfacht. Immo, ein pensionierter Naturschützer, klärt mich über die Zusammenhänge von Konsum und Gesellschaftszerfall auf: jeder Mensch hat Bedürfnisse (zum Leben einigermaßen unmittelbar notwendig) und Begierden (quasi die Boni, immer mehr und immer besser, Luxusgüter). Demnach ist es durchaus gerechtfertigt, Bedürfnisse zu erfüllen, aber jede Befriedigung von Begierden stellt einen Überkonsum dar. Letzterer wird auf Kosten der Bedürfnisse finanziert, demzufolge kauft man lieber die billig importierten Waren als die "teuren" einheimischen, damit Geld für den Luxus bleibt. Wenn man aber auf Luxus verzichtet und statt dessen mehr von den einheimischen Produkten kauft, stärkt man somit die eigene Wirtschaft und schont die Ressourcen der restlichen Welt.
Wenn ihr also das nächste Mal euer Gehalt umsetzt, achtet mal darauf, was ihr so einkauft. Brauche ich den Billigzucker, für den in Südamerika ganze Urwälder gerodet werden? Wie hoch war wohl der Stundenlohn der asiatischen Kinder, die diese Jacke zusammengenäht haben? Gereicht der Erlös einer mittelamerikanischen Schokoladenplantage den dortigen Arbeitern zum Überleben oder iniziiere ich mit dem Kauf weitere Regenwaldverluste? Und muss ich nächstes Jahr wirklich wieder nach Mallorca fliegen oder kann ich stattdessen mein Auto auf Biodiesel umrüsten lassen? Fehlerhafter Konsum mit all seinen negativen Folgen beginnt beim Konsumenten! Und wenn wir uns umstellen und uns weigern, diesen Unfug weiter zu unterstützen, nur dann wird sich das Weltbild verändern. Immos Buchtip zu diesem Thema ist übrigens Peter Kafkas "Gegen den Untergang" (ein Weltwirtschaftskrimi in drei Bänden). Um eine Neuauflage wird noch gekämpft.
Im Forst bauen wir einen Zaun ab und basteln aus den Gittern Drahthosen als Verbiss-Schutz für die Weißtannen. Die Pfähle gewinnt Andreas durch das Fällen von Lärchen. Somit wird der Forst gleich doppelt gepflegt: Lichtung des Baumbestandes und Schälschutz helfen den Tannen beim Weiterwachstum.
Nebenbei werden Pilze gesammelt (mindestens 6 kg, ungelogen!), ich harze meine Hose ein (Mama soll ja auch was von meinem Praktikum haben) und lasse mir zum krönenden Abschluss einen Granitblock auf den Fuß fallen.
Das erste Abendessen besteht aus einer leckeren Pilzpfanne, die bei fast allen Konsumenten ein erstes Sättigungsgefühl herbeiführt. Anschließend noch einmal Lagerfeuer. Nebenbemerkung: Immo kann singen. So banal sich diese Aussage auch anhört, aber der Mann singt einfach super! Melanie steht dem in nichts nach: eine geschulte Stimme mit unvergleichlichem Klang. Auch mir wird ein gewisses Gesangstalent nachgesagt - als Andreas mir aber von Duetten erzählt, die ich wohl mit Melanie gesungen hätte (ohne dass ich den Text der besagten Lieder kennen würde), kommen mir Zweifel und meine anfängliche Euphorie verfliegt.
Morgens präsentiert mir Jens den wohl einzigen "echten" Aufschluss von Schellerhauer Granit, der so schnell vergrust, dass er hier als Sand-Ersatz abgebaut wurde (das Ost-Erzgebirge besteht fast ausschließlich aus Metamorphiten und einigen Plutoniten & Vulkaniten). Natürlich wandern einige Handstücke in Zeitungspapier in meinen Rucksack.
Ein Forstmann führt uns durch das Naturschutzgebiet Hofehübel; hier stehen Tannen von über einhundert Jahren Lebensalter. Damit sind die Forste im Ost-Erzgebirge in keiner Weise mit den Kulturlandschaften Brandenburgs zu vergleichen und verdienen fast schon die Bezeichnung "Wald". Jedenfalls zeigt sich die Natur im Pöbeltal von ihrer besten Seite, allein diese Bilder waren die Reise wert.Beim nächsten Öffnen meines Rucksacks erkenne ich, dass der Granitgrus wohl etwas feucht war. Er hat die Zeitungsverpackung verlassen und sich im gesamten Innenraum ausgebreitet. Den Abschluss bilden ein großes Eisbecheressen und ein Abschied voller Wehmut (schon wieder 5,10 Euro für die Busfahrt).
Insgesamt hinterlässt das Naturschutzpraktikum Schellerhau einen sehr runden Eindruck - mit netter Gesellschaft, interessanter Arbeit und auch geologisch interessanten Exkursionsteilen. Wer also Uhus, Bergwiesen, Steinrücken und Apfelsaft zumindest nicht negativ gegenüber steht, dem sei dies Praktikum wärmstens empfohlen!